Wer freigestellt ist, arbeitet nicht mehr im Schichtdienst – und verliert damit auch die Schichtzulagen? Das dachte zumindest ein Arbeitgeber. Doch ein freigestellter Betriebsrat wollte sich das nicht gefallen lassen – und bekam nun Recht vor dem Bundesarbeitsgericht. Das Urteil betrifft viele Betriebsratsmitglieder, insbesondere in Schichtbetrieben.
Sachverhalt und Entscheidung:
Ein Notfallsanitäter, der in Wechselschicht arbeitete, wurde vollständig von seiner Tätigkeit freigestellt, um Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Während der Freistellung übte er diese Aufgaben zu regulären Bürozeiten aus – also ohne Nacht- oder Sonntagsarbeit. Der Arbeitgeber strich deshalb die bisher gezahlten Zulagen für Nacht-, Sonntags- und Wechselschichtarbeit sowie die Rufbereitschaftsvergütung.
Das wollte der Arbeitnehmer nicht hinnehmen und klagte – zunächst ohne Erfolg. Doch das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 28.8.2024 – 7 AZR 197/23) hob die Urteile der Vorinstanzen auf und stellte klar:
✅ Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder haben Anspruch auf Zulagen und Zuschläge, wenn sie diese bei regulärer Tätigkeit verdient hätten.
✅ Maßgeblich ist eine hypothetische Betrachtung: Was wäre gewesen, wenn der oder die Beschäftigte nicht freigestellt worden wäre?
✅ Dass die Betriebsratstätigkeit nicht zu zuschlagspflichtigen Zeiten stattfindet, spielt keine Rolle.
Rechtslage und Einordnung:
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG ist Betriebsratsmitgliedern das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das sie ohne die Betriebsratstätigkeit verdient hätten. Dazu gehören ausdrücklich auch Zulagen und Zuschläge für Erschwernisse, wie sie bei Nacht- oder Schichtarbeit anfallen.
§ 78 Satz 2 BetrVG verbietet eine Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern. Dieses Verbot greift aber nicht, wenn die Zulagen im Rahmen einer realistischen, hypothetischen Betrachtung gerechtfertigt sind.
Das BAG macht deutlich: Es kommt nicht darauf an, ob die Betriebsratstätigkeit in „erschwerten Zeiten“ stattfand, sondern ob das Mitglied ohne Freistellung dann gearbeitet hätte.
Fehleranalyse und Praxistipps:
❌ Was lief beim Arbeitgeber schief?
Er setzte fälschlich voraus, dass sich die Betriebsratstätigkeit eins zu eins an der tatsächlichen Lage der Arbeitszeiten orientieren müsse. Dass der Arbeitnehmer wegen der Freistellung aus dem Schichtsystem genommen wurde, durfte nicht zu finanziellen Nachteilen führen.
✅ Was sollten Betriebsratsmitglieder beachten?
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Bei vollständiger oder teilweiser Freistellung: Dokumentieren, wie die regulären Schichten ohne Freistellung verlaufen wären.
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Anspruch auf Zulagen geltend machen, wenn sie ohne Betriebsratstätigkeit gezahlt worden wären.
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Nicht verunsichern lassen, wenn die Tätigkeit jetzt tagsüber erfolgt – die Zuschläge sind trotzdem möglich.
📌 Tipp für Betriebsparteien:
Seit der Gesetzesänderung 2024 können Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam Verfahren zur Festlegung von Vergleichspersonen regeln. Das erleichtert die faire Festlegung von Vergütungsansprüchen erheblich – auch zur Vermeidung späterer Streitigkeiten.