Nach den fulminanten Zolldrohungen im April ist es Großbritannien als erster Nation gelungen, ein neues Handelsabkommen mit den USA zu schließen. Trump und der britische Premier Starmer lobten den Deal. Die Reaktion einer anderen Instanz ist indes vielsagend.
Großbritannien hat eine Handelsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet, die eine teilweise Erleichterung der von US-Präsident Donald Trump neu eingeführten, weitreichenden Zölle verspricht. Die Briten sind damit die ersten Handelspartner, denen ein solches Abkommen gelungen ist.
Als „vollständig und umfassend“ bezeichnete Trump die Vereinbarung auf seiner Plattform Truth Social. „Aufgrund unserer langen gemeinsamen Geschichte und Verbundenheit ist es eine große Ehre, unsere ERSTE Ankündigung mit dem Vereinigten Königreich zu machen.“ Viele weitere Abkommen würden folgen, kündigte er an. Über 80 Staaten sollen nach Angaben der Amerikaner Interesse geäußert haben. Gespräche laufen unter anderem mit der Europäischen Union, Japan, Indien und Vietnam.
Premierminister Keir Starmer sprach von einem „wirklich fantastischen, historischen Tag“ und lobte die Vereinbarung mit einer Reihe von Superlativen. Trump bezeichnete die Ankündigung als „groß und aufregend“, alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft worden.
Tatsächlich ist der Geltungsbereich extrem eng gefasst und weit entfernt von einem umfassenden Freihandelsvertrag. Lediglich eine überschaubare Zahl der Folgen der jüngsten US-Handelspolitik werden damit abgefedert. Der britischen Regierung ist dennoch der symbolische Erfolg gelungen, den ersten Deal mit den USA zu sichern.
Konkret wurde eine Quote für Autoimporte mit reduziertem Satz angekündigt. Auf Stahl und Aluminium fallen keine Abgaben mehr an. Außerdem gibt es unter anderem Erleichterungen bei der Einfuhr von Rolls-Royces-Flugzeugmotoren.
Der Basistarif von zehn Prozent für alle übrigen britischen Importe in die USA bleibt bestehen. Wirtschaftsminister Howard Lutnick verspricht sich davon Einnahmen für die US-Regierung von sechs Milliarden US-Dollar (5,3 Milliarden Euro).
Trump hat Anfang April eine Fülle von Zöllen auf Einfuhren aus aller Welt angekündigt. Dabei gilt ein Basissatz von zehn Prozent, deutlich höhere Zölle für eine Vielzahl einzelner Staaten – 20 Prozent für die EU – wurden vorübergehend für einen Zeitraum von 90 Tagen ausgesetzt. Darüber hinaus müssen Importe von Stahl, Aluminium und Autos mit 25 Prozent verzollt werden. Für die beiden USA-Nachbarstaaten Kanada und Mexiko gelten 25 Prozent. Gegen China wurde mit 145 Prozent der mit Abstand höchste Satz verhängt. Die Volksrepublik hat im Gegenzug 125 Prozent Zoll für US-Importe aufgerufen. US-amerikanische und chinesische Verhandler starten am Samstag in der Schweiz Gespräche über einen möglichen Kompromiss.
Starmer: Vereinbarung „lediglich ein Anfang“
Starmer und seine Minister haben gegenüber den USA in der Handelsfrage einen verbindlichen Kurs gewählt und auf Konfrontation verzichtet. Vergeltungsmaßnahmen wurden nicht ausgeschlossen, aber nicht umfassend diskutiert.
Jetzt betonte Starmer, die Vereinbarung sei „lediglich ein Anfang“, die Aufgabe sei noch nicht erledigt. „Wir sind ambitionierter, was Großbritannien und die USA gemeinsam tun können.“
Bei einer Pressekonferenz an einem Fertigungsstandort von Jaguar Landrover in Solihull in den Midlands betonte Starmer insbesondere die positiven Folgen für die Automobilindustrie. 100.000 Fahrzeuge können künftig mit einem reduzierten Satz von zehn Prozent statt den allgemeingültigen 25 Prozent eingeführt werden. Das betrifft fast die gesamte Fahrzeugausfuhr im vergangenen Jahr. Die USA sind für britische Hersteller wie Jaguar Landrover, Aston Martin und McLaren ein wichtiger Markt. Mit der Quote ist der vergünstigte Zugang allerdings bis auf Weiteres gedeckelt.
Für Stahl und Aluminium aus Großbritannien fallen künftig keine Zölle an. Darüber hinaus blieben viele Aspekte der Vereinbarung vage und bruchstückhaft. Lutnick kündigte an, dass Flugzeugmotoren von Rolls-Royce von Zöllen befreit werden. Im Gegenzug würde ein britisches Unternehmen in Kürze den Kauf von „Boeing-Flugzeugen im Wert von 10 Milliarden“ bekannt geben.
Für Pharmazeutika, für die die US-Regierung noch keine Zollsätze bekannt gegeben hat, sei eine Vorzugsbehandlung ausgemacht worden, sagte Starmer. Für die britische Pharmaindustrie ist der US-Markt von großer Bedeutung. Für amerikanische Hersteller eröffne der Vertrag einen milliardenschweren zusätzlichen Marktzugang, betonte Trump und erwähnte unter anderem Rindfleisch, Ethanol, Chemikalien und Maschinen. Lockerungen bei den Vorschriften für Lebensmitteln werde es aber nicht geben, hieß es von britischer Seite.
Trotz der überschaubaren Reichweite der Vereinbarung lobten Beobachter in Großbritannien sie als positiven Schritt. „Dringend benötigte Entlastung“ würden sie bringen, sagte Mike Hawes, Geschäftsführer des Automobilverbandes Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT). Die 25-prozentigen Zölle hätten „eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung für britische Autoexporteure“ dargestellt.
„Das Abkommen wird dazu beitragen, Unsicherheiten zu verringern“, sagte Andrew Bailey, Gouverneur der Bank of England, nachdem die Zentralbank kurz zuvor die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent gesenkt hatte. Er warnte aber, dass das Vereinigte Königreich als sehr offene Volkswirtschaft auch von den Zöllen auf andere Länder betroffen sei. „Ich sage das, weil ich hoffe, dass das britische Abkommen das erste von vielen ist.“
„Handelsbeziehung mit Europa vielleicht noch wichtiger“
Als diplomatischen Erfolg dürften die britischen Verhandler verbuchen, dass ihnen eine Vereinbarung gelungen ist, ohne die Tür zur EU zuzuschlagen. „Ich verstehe, warum unserem Handelsverhältnis mit den USA so viel Aufmerksamkeit zuteilwird – tatsächlich ist aber unsere Handelsbeziehung mit Europa vielleicht sogar noch wichtiger, denn die EU ist unser nächster Nachbar und Handelspartner“, hatte Schatzkanzlerin Rachel Reeves kürzlich der BBC gesagt.
Die Labour-Regierung setzt darauf, bei einem Gipfel mit EU-Vertretern in London am 19. Mai, der Erste seit dem Brexit, das Verhältnis zu Brüssel zu entspannen. Im Vordergrund steht eine engere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen, aber auch Erleichterungen beim Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und ein Mobilitätsprogramm für junge Menschen.
Die Entspannung der Beziehung zur EU ist ganz im Sinne der Bevölkerung. 73 Prozent der Briten sprechen sich für eine „gewisse“ oder „ausgeprägte“ Zusammenarbeit mit der EU in Handels- und Wirtschaftsfragen aus, belegt eine aktuelle Umfrage der Denkfabrik Good Growth Foundation. Angesichts der zunehmenden politischen Unberechenbarkeit bevorzugen 62 Prozent eine enge Partnerschaft mit der EU vor einer Vertiefung der Beziehungen zu den USA.
Anleger hat die Vereinbarung kalt indes gelassen. Der britische Index FTSE 100 verlor am Donnerstag 0,3 Prozent. „Bislang sehen wir kaum Anzeichen von Euphorie am britischen Finanzmarkt – und das sagt im Grunde alles darüber, wie Investoren das Abkommen einschätzen“, sagte Matthew Ryan, Leiter Marktstrategie beim Finanzdienstleister Ebury. Beobachter sollten nicht vergessen, dass es sich nicht um ein vollumfängliches Handelsabkommen handele. Dessen Finalisierung werde sich noch Monate, wenn nicht Jahre hinziehen.
Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.