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Trotz Wachstumsschwäche, Gewinneinbruch und Jobabbau: Es gibt mehrere Anzeichen dafür, dass es wirtschaftlich bergauf gehen könnte. Ist die tatsächliche Lage besser als die Stimmung?
Angesichts der schlechten Stimmung in Deutschland überrascht das aktuelle Zeitschriften-Cover des Verbands der Familienunternehmer: „Yes! Zuversicht“ prangt auf dem farbenfrohen Titelblatt. Genau das ist das Motto bei einem Mitgliedsunternehmen, der Behn-Unternehmensgruppe in Eckernförde, die zwei Geschäftsfelder hat: Getränkegroßhandel vor allem für die Gastronomie und Spirituosenproduktion mit Marken wie dem bekannten „Kleinen Feigling“.
Gerade übernimmt mit Lisa und Asmus Behn die fünfte Generation des Unternehmens mit 320 Beschäftigten an der Ostsee. Trotz aller Herausforderungen gehe sie die Aufgabe mit Zuversicht an, so Lisa Behn. Ihr Cousin ergänzt: „Ohne Optimismus macht das Leben als Unternehmer wenig Sinn.“ Weil die neue Bundesregierung die Mehrwertsteuer in der Gastronomie senken will, glauben die jungen Unternehmer an einen Wachstumsimpuls.
Industriestrompreis weckt Hoffnungen
Im Sauerland soll ein anderes Koalitionsprojekt noch einen wesentlich größeren Effekt haben: Der geplante „Industriestrompreis“ soll die Energiekosten beim Hygienepapier-Hersteller Wepa mit seinem Stammsitz in Arnsberg dauerhaft senken. Das Vorhaben ist nach Ansicht von Vorstandsmitglied Andreas Krengel „essenziell“ für sein energieintensives Unternehmen, das mit seinen europaweit 4.000 Beschäftigten einen Umsatz von 1,6 Milliarden Euro macht.
Zudem will die Koalition die Abschreibungsbedingungen für Investitionen verbessern. Das hilft dem Unternehmen konkret, denn weitere Investitionen in Erneuerbare Energieprojekte sind bereits geplant, so Krengel. Hinter ihm liegen schlechte Erfahrungen: Als die Energiepreise explodierten, musste er zum ersten Mal in der Firmengeschichte einzelne Maschinen abschalten lassen, um Kosten zu sparen.
Inzwischen gibt es aus der Industrie Hoffnungszeichen. PMI, ein international anerkannter Produktions-Index, lag seit 2021 in Deutschland oft unter 50, was eine schrumpfende Produktion bedeutet. In den vergangenen beiden Monaten hat der Wert die 50er-Marke übersprungen. Das bedeutet eine wachsende Produktion.
Sondervermögen als „Gamechanger“
In einer ganz anderen Dimension soll ein weiteres Projekt der neuen Regierung die wirtschaftliche Lage in Deutschland verbessern. 500 Milliarden Euro stehen nach der Grundgesetz-Änderung für Investitionen in die Infrastruktur bereit. Nach Einschätzung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), könnte dieses Vorhaben zum „Gamechanger“ werden – unter einer Bedingung: „Wenn die neue Bundesregierung glaubhaft beweist, dass sie diese Gelder auch wirklich investieren wird, dann werden Unternehmen auch selbst am deutschen Standort investieren.“
Wegen des so genannten Sondervermögens hat die Deutsche Bank ihre Konjunkturprognose für das nächste Jahr von ein Prozent auf 1,5 Prozent angehoben. 2027 soll das Wachstum dann auf zwei Prozent ansteigen.
„Das hängt von uns ab“
Bereits jetzt hat sich die Stimmung in der Wirtschaft verbessert. Der ifo-Geschäftsklimaindex ist seit dem Tiefpunkt im Dezember vergangenen Jahres (84,7) Monat für Monat angestiegen. Zuletzt – im Mai – lag er bei 87,5, was allerdings noch immer weit vom zehnjährigen Durchschnitt (95,2) entfernt ist.
Warum der Optimismus nur so langsam wächst, erklärt Wirtschaftsexperte Fratzscher so: „Wir Deutsche sind heute sicherlich ein Stück weit Opfer des eigenen Erfolgs nach den goldenen 2010er-Jahren.“ Die Zeiten mit wachsenden Exporterfolgen und stetig wachsender Beschäftigung seien vorbei. Dennoch sei er überzeugt, dass es auch in Zukunft gute Jahre mit wachsendem Wohlstand geben könne. „Das hängt von uns ab, wie wir heute handeln.“
Das Arbeitszeitkonto füllt sich wieder
Schon zurück in der Erfolgsspur ist das Unternehmen Ziehl-Abegg aus Künzelsau im Norden Baden-Württembergs. Der Produzent von Aufzugsmotoren und Industrieventilatoren musste im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von sieben Prozent auf 893 Millionen Euro hinnehmen. „Etwas Angst hatte ich damals schon“, erinnert sich Monteur Efdal Balaban ans vergangene Jahr. „Jetzt freuen wir uns über Samstagsarbeit und Überstunden.“
Da füllt sich das zwischenzeitlich geschmolzene Arbeitszeitkonto wieder auf; 250 neue Kollegen sind seit Jahresanfang als Zeitarbeiter dazugekommen. Unternehmens-Chef Joachim Ley glaubt, dass dieses Tempo bei der Veränderung das „neue Normal“ sei.
Stabilität statt Hin und Her
Zugleich hat er klare und zugleich bescheidene Erwartungen an die neue Bundesregierung. Er hofft auf „Stabilität und Verlässlichkeit“. Das Hin und Her wie zuletzt bei der Ampel-Koalition habe Planungen fast unmöglich gemacht. „Auf für uns schlechte Entscheidungen kann ich mich zumindest einstellen“, so der Vorstandsvorsitzende.
Wenn die Auftragslage sich weiter so gut entwickelt, will er spätestens im Sommer die Stammbelegschaft vergrößern. Das könnte dann eine von vielen positiven Nachrichten sein, die den Optimismus Stück für Stück nach Deutschland zurückbringen. Denn aktuell gilt nach der Einschätzung von DIW-Chef Fratzscher: „Die wirtschaftliche Realität ist heute in Deutschland deutlich besser als die Stimmung. Wir reden uns schlecht.“