Die Bundeswehr benötigt dringend moderne Elektronik – doch zu viele Vorschriften erschweren den Einstieg der Elektroindustrie in den Rüstungsmarkt. Regulierung und Bürokratie verhindern schnelle Lieferungen und treiben die Kosten. Das illustriert besonders der „Baumarkt-Beifang“.
André Bodemann gibt den Stimmungstöter. „Ich muss Sie jetzt herunterziehen“, kündigt der Stellvertreter des Befehlshabers Operatives Führungskommando der Bundeswehr zu Beginn seiner Rede auf dem eSummit 2025 an, dem Branchenkongress der deutschen Elektroindustrie. „Wir befinden uns zwar nicht im Krieg, formaljuristisch ohnehin nicht. Aber wir befinden uns leider auch schon lange nicht mehr im Frieden“, sagt der Generalleutnant zu rund 500 von Minute zu Minute merklich stiller und betroffener werdenden Gästen.
„Wir werden angegriffen – und zwar jeden Tag. Insbesondere in der hybriden Art und Weise: mit Desinformation, Fake News, Cyberangriffen, Sabotage, aber auch mit Ausspähen und Spionage in einer Art und Weise, wie wir es zuletzt im Kalten Krieg hatten.“ Deutschland müsse sich daher resilienter aufstellen.
Der Elektro- und Digitalindustrie kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Schließlich stellt die Branche Technologien her, die für eine wirkungsvolle Verteidigungsausrüstung unverzichtbar sind, seien es Sensorik, Halbleiter, Elektronik-Komponenten, Software oder Künstliche Intelligenz (KI). „Der Elektronikanteil an der Verteidigungsausrüstung ist in den letzten 25 Jahren dramatisch gewachsen“, beschreibt Gunter Kegel, der Präsident des Branchenverbandes ZVEI. Aktuell liege er schon bei knapp 20 Prozent, bis 2030 sollen es sogar 25 Prozent sein. „Früher hat Elektronik eine untergeordnete Rolle gespielt, heute ist sie der dominante Teil der Preisgestaltung.“
Das wissen auch die entsprechenden Unternehmen. Zumal Zeitenwende und milliardenschwere Sondervermögen für Aufmerksamkeit und Anziehungskraft sorgen. Trotzdem steht erst rund ein Drittel der Branchenbetriebe in Geschäftsbeziehungen mit Anbietern aus der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Und weitere haben Interesse und klopfen dafür aktuell ihre Chancen ab. Dass es viel mehr werden, scheint trotzdem nicht ausgemacht. Das zeigt eine aktuelle Mitgliederbefragung des ZVEI, die WELT exklusiv vorliegt. Zu umständlich, zu teuer, zu stark reguliert – das sind die größten Kritikpunkte der knapp 100 befragten Unternehmen nach deren Sondierungen.
Rund die Hälfte der Betriebe beklagt zu viele Auflagen für den Einstieg in den Sicherheits- und Verteidigungsbereich und dass diese Vorschriften noch dazu weit in das zivile Geschäft der Unternehmen hineinreichen. 41 Prozent monieren zudem zu komplexe Beschaffungsprozesse bei der Bundeswehr. Aber auch mangelnde Planungssicherheit spielt für die Komponentenhersteller aus der Elektroindustrie eine Rolle. „Trotz der vor drei Jahren ausgerufenen Zeitenwende haben wir es verpasst, die Regulatorik an die neuen geopolitischen Realitäten anzupassen“, beklagt Kegel. Seine Forderung: „Die strengen Vorgaben der Rüstungskontrolle müssen für Zulieferer differenzierter angewendet werden.“
Der ZVEI plädiert zum Beispiel dafür, den sogenannten Baumarkt-Beifang weniger streng zu regulieren. Gemeint sind alle Produkte, die sich nur in Kleinigkeiten von solchen unterscheiden, die man auch im Baumarkt kaufen könnte oder die Massenware von Elektroindustrieunternehmen sind. „Diese Kleinigkeit infiziert am Ende das ganze Produkt“, beklagt Kegel und nennt als Beispiel für das von ihm lange geführte Unternehmen Pepperl&Fuchs einen sogenannten Näherungsschalter.
Damit lässt sich unter anderem kontrollieren, ob die Kupplung eines Anhängers sauber eingehängt ist oder wo sich ein Paket in einem Warenverteilzentrum gerade bewegt. „Die werden in der Industrie millionenfach eingesetzt“, sagt Kegel. Diesen Schalter könne leicht abgewandelt aber auch Rheinmetall nutzen. „Dann wäre er immer noch zu 95 Prozent gleich, trotzdem fällt er sofort unter die Gesetzgebung der Rüstungskontrolle.“ Und dann dürfe das Produkt nicht mehr in Drittstaaten hergestellt werden. „Local content“ lautet das entsprechende Stichwort. Weil Pepperl&Fuchs diese Stecker aber vornehmlich in Asien fertigt, da Stückzahlen und Kosten dort nach Angaben von Kegel im besten Verhältnis stehen, wird nichts aus der von Rheinmetall gewünschten Geschäftsbeziehung.
Eine Drohne muss nicht 15.000 Euro kosten
Lieferanten finden die Rüstungskonzerne trotzdem. Denn einige wenige Unternehmen haben sich auf Komponenten für Militäranwendungen spezialisiert. Das hat allerdings seinen Preis. „Deshalb sind Rüstungsgüter auch so unfassbar teuer“, sagt Kegel im WELT-Gespräch. „Nicht weil sie besser sind, sondern weil die kleinen Stückzahlen an den falschen Standorten auf der Welt produziert werden.“ Dadurch aber werde der Verteidigungshaushalt in Deutschland unnötig strapaziert. „Hier wird Geld ausgegeben für überteuerte Elektronik, die skalieren könnte, wenn man die Möglichkeit der zivilen Herstellung nutzen würde. Wir könnten die Rüstungsmilliarden also viel besser einsetzen.“
So aber werde viel Geld für 08/15-Technologie ausgegeben. Und das habe Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit. „Wenn eine Drohne 15.000 Euro kostet, kann man es sich nicht leisten, 500.000 Stück davon loszuschicken. Wenn sie aber nur 150 Euro kostet, weil sie mit zivilfähigen Produktionsmitteln hergestellt ist, sieht das ganz anders aus.“ Für Waffensysteme könne er die strengen Regeln ja verstehen, sagt Kegel. „Natürlich kann Heckler&Koch nicht sagen, dass sie nach Vietnam gehen, weil es in Deutschland und Europa zu teuer ist. Aber für Elektronik, deren geistiges Eigentum ohnehin schon auf der ganzen Welt verteilt ist, macht es überhaupt keinen Sinn so vorzugehen.“ Das Gesetz müsse daher aufgespalten werden, wenn eine Skalierung erreicht werden soll.
Ob das Generalleutnant Bodemann auch so sieht, hat er dem Plenum beim eSummit nicht verraten. Er sei auch nur der Bittsteller, der entsprechende Produkte benötigt und einkaufen will. „Wir brauchen Sensorik, wir brauchen Robotik und wir brauchen KI“, sagt der Bundeswehr-Kommandeur für Territoriale Aufgaben. Und all das müsse schneller eingekauft werden, gerne auch von der Stange. „Wenn es um die nationale Sicherheit geht, müssen wir andere Wege gehen. Andere Nationen tun das, wir nicht.“
Man könne verschiedene Wege einschlagen, um schneller zu werden und damit auch ein verlässlicher Partner zu sein, sagt Bodemann ohne nähere Präzisierung. In jedem Fall müsse der Turbo eingeschaltet werden. „Wir haben keine Zeit, wir müssen jetzt loslegen, wir sind schon zu spät dran. Der Zeitfaktor ist sehr wichtig. Russland wartet nicht, bis wir fertig sind. Die werden in die Lücken reingehen.“ Und nach aktuellen Erkenntnissen baue Russland Fähigkeiten auf, um das Potenzial zu haben, die Nato anzugreifen. „Ob sie es dann tun, das wissen wir nicht. Das hängt auch ziemlich stark von uns ab, ob wir uns so aufstellen, dass wir glaubhaft abschrecken und am Ende auch verteidigungsbereit sind.“
Um für den Austausch mit Bundeswehr, Ministerium und Behörden vorbereitet zu sein und mit einer Stimme zu sprechen, gründet der ZVEI nun einen Arbeitskreis für das Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das erste Treffen ist für Ende Mai anberaumt. Eisner der Teilnehmer wird dabei Philipp Steinberger sein, der Vorstandschef des fast 100 Jahre alten Mittelständlers Wöhner, der vor allem Energieverteilsysteme herstellt.
Das Familienunternehmen aus Oberfranken hat kürzlich für mehrere 100.000 Euro einen speziellen 3D-Drucker gekauft, um in einer abgeschirmten Produktion elektronische Komponenten für zum Beispiel Airbus und Hensold herzustellen. Zudem befindet man sich in einem behördlichen Akkreditierungsprozess für Produkte aus dem Bereich Infrastruktur und Energieverteilung. „Feldlager brauchen auch Energie“, nennt Steinberger den geplanten Einsatzzweck. Anreiz sei dabei in erster Linie nicht das Geld. „Das ist für uns kein Profit-Ding“, erklärt der Unternehmer.
Vielmehr gehe es um Verantwortung für den Erhalt der deutschen Wehrfähigkeit. Die Zeit, wo dual use verpönt war – der Begriff beschreibt die Möglichkeit, Güter sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwenden zu können –, sei vorbei.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.