In Frankfurts Bankenviertel startet eine neue Generation durch: ehrgeizige Berufseinsteiger, die für Spitzenjobs alles geben. Hohe Gehälter und Prestige locken. Doch der Preis ist enorm.
Ein Tower im Frankfurter Bankenviertel. Die Wohnungen hier haben Blick auf die Skyline und kosten so viel wie anderswo ein ganzes Haus. Hier wohnt Vaana, sie ist 24 und arbeitet im Corporate Banking bei einer Großbank. Wie viel sie verdient, will sie nicht sagen. Aber sie könne „ruhig schlafen“.
Auf Instagram und TikTok folgen ihr Zehntausende Menschen, wenn sie ihr Leben als „finance girl“ in Frankfurt teilt: Morgen-Routinen, Afterwork-Events, Styling, Luxus. Es ist ein Lifestyle, der viele fasziniert – und mit dem Klischee über die Generation Z nur wenig zu tun hat.
Sechs Tage Urlaub im Jahr
16-Stunden-Tage, Networking bis spät in die Nacht und der ständige Druck, gut zu performen gehören zum Alltag der Szene, in der Vaana sich bewegt. Es ist eine Welt aus Berufseinsteigern, Trainees, Influencern und Studierenden, für die das Ziel im Leben klar definiert ist: Sie wollen ganz nach oben, in die Top-Jobs der Finanzbranche. Was für sie zählt, ist Erfolg – um fast jeden Preis.
Da ist zum Beispiel Linh, 20, die ein duales Business Administration-Studium an der Frankfurt University of Finance absolviert – eine der Kaderschmieden für den angehenden Finanznachwuchs. Drei Tage in der Woche ist sie an der Uni, drei Tage in der Bank, sonntags lernt sie. Urlaub gönnt sie sich nur sechs Tage im Jahr; der Rest geht drauf, um für Klausuren zu lernen.
Partnerschaften blieben da oft auf der Strecke, sagt sie. 90 Prozent der Leute, die zu Beginn des Studiums einen Partner oder eine Partnerin gehabt hätten, seien inzwischen getrennt.
„Meine größte Angst wäre, durchschnittlich zu sein“
Sie alle seien bereit, für den großen Erfolg die Extra-Meile zu gehen, sagt Linh. „Meine größte Angst wäre tatsächlich, durchschnittlich zu sein.“ Sie wolle in 30 Jahren sagen können: „Boah, ich habe es richtig gerissen.“ Das Gefühl, im 30. Stock in einem der Bankentürme zu arbeiten, sei „schon richtig geil. Ich fühle mich jeden Abend so richtig mächtig. Komplett.“
Linh findet die Arbeit im 30. Stock eines Bankenhochauses „richtig geil“.
Christiane Weiland ist Professorin und Leiterin des Studiengangs BWL-Bank an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe. Sie hat gerade eine Studie veröffentlicht, in der sie junge Berufsstarter im Banking gefragt hat, was ihnen wichtig ist im Job.
Die Work-Life-Balance hat es nicht mal unter die Top 5 geschafft. „Karriere schlägt Komfort“, sagt Weiland: Nachwuchskräfte im Banking priorisierten Bezahlung, Entwicklungsperspektiven und Sinn. Allerdings gebe es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Bankern: „Junge Männer im Banking denken zuerst in Karriereschritten – junge Frauen setzen andere Prioritäten.“
Einstiegsgehälter zwischen 70.000 und 85.000 Euro
Was die Studie beschreibt, zeigt sich auch bei Leon. Er ist 28, war früher CDU-Politiker und hat mit Mitte 20 nochmal neu gestartet. In seinem vorigen Beruf sei er „so einer der Schlausten am Tisch“ gewesen, jetzt sei er als eine Art Underdog eingestiegen und könne noch viel lernen.
Leon ist heute Wirtschaftsprüfer bei einer renommierten internationalen Gesellschaft. „Der Job, den ich tue, der hat quasi einen Impact in der Welt. Das ist für mich wichtig“, sagt er. Das Ego sei auch immer dabei, von dem Klischee könne man sich nicht lösen. Und dann sei da natürlich noch das Geld.
Leon schätzt, dass seine berufliche Tätigkeit Auswirkungen hat – einen „Impact in der Welt“.
Das Einstiegsgehalt im Investmentbanking zum Beispiel liegt laut mehreren Branchenportalen bei 70.000 bis 85.000 Euro brutto jährlich. Wer einige Jahre in der Branche arbeitet, kann sein Gehalt sogar verdoppeln oder mehr. Und aufs Grundgehalt kommen oft noch hohe Boni. Für Hochschulabsolventen insgesamt – also unabhängig vom Studienfach – liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt laut einer Stepstone-Studie bei etwa 45.000 Euro pro Jahr.
„Der Schwächste verliert“
Doch wer’s nur fürs Geld tue, lebe gefährlich, meint „finance girl“ Vaana. Nicht alle könnten oder wollten dieses Leben leben. „Du kannst Burnout bekommen, du kannst krank werden“, sagt sie.
„Du bist in einem Umfeld, wo es einfach normal ist, abzuliefern und wo der Schwächste verliert“, sagt Mario. Er war früher Investmentbanker in Frankfurt, hat jahrelang auf den Top-Job hingearbeitet. Als er ihn dann hatte, habe er gemerkt: Ich pack‘ das nicht. Heute arbeitet er als angestellter Physiotherapeut und verdient weniger als die Hälfte seines früheren Gehalts. „Der Kopf wird so dermaßen beansprucht und diese psychische Belastung – das wirkt sich ganz klar auf dein körperliches Wohlbefinden aus“, sagt Mario.
Neben der Arbeit sei außer Grundbedürfnisse decken nicht mehr viel drin gewesen. Dazu sei der ständige Konkurrenzkampf gekommen: „Diese Ellbogen-Mentalität – ich will gewinnen und was du machst, ist mir egal.“
Nicht alle halten durch
Klar hätte er den Laptop um neun Uhr abends zuklappen können, sagt er. Aber er habe immer den Blick darauf gehabt: Sind die Arbeitskollegen noch online? „Davon lässt man sich natürlich unter Druck setzen. Denn wenn du deinen Laptop zuklappst, kannst du sicher sein: Du wirst nicht der Nächste sein, der die Karriereleiter hochklettert.“
Ihm sei es damals immer schlechter gegangen, erzählt Mario – bis er schließlich die schwerste Entscheidung seines Lebens treffen musste. Er kündigte und fing bei null an. Bereut habe er das jedoch bis heute nicht.
Auch Wirtschaftsprüfer Leon kennt Momente, in denen er sich fragt: Wofür das alles? Klar, er habe seine Wünsche und Ziele, und der Job bereichere ja auch. Aber vielleicht, sagt Leon, gehe es auch ein Stück weit darum, „sich selbst zu beweisen, dass man das durchhält“.
