Wem gehört das Erbe, wenn der Ehepartner stirbt – ohne Kinder, ohne Eltern, ohne Testament?
Stirbt ein Ehepartner ohne Kinder und ohne lebende Eltern, gilt: Der überlebende Ehegatte erbt in der Regel allein – selbst wenn noch Geschwister oder andere Verwandte vorhanden sind.
Nach der gesetzlichen Erbfolge (§§ 1924 ff., § 1931 BGB) und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2013, 2061) steht dem überlebenden Ehegatten das gesamte Vermögen zu, wenn kein Testament existiert und die Ehe im gesetzlichen Güterstand (Zugewinngemeinschaft) geführt wurde und weiteren Voraussetzungen vorliegen. Der gesetzliche Erbteil wird durch § 1371 BGB (Zugewinnausgleich im Erbfall) auf 100 % erhöht, wenn die Voraussetzungen vorliegen.
Verwandte der zweiten Ordnung, also Geschwister oder Nichten und Neffen, könnten in diesem Fall leer ausgehen. Sie sind auch nicht pflichtteilsberechtigt.
Ohne Kinder, ohne Eltern und ohne Testament könnte der Ehepartner alleiniger Erbe werden.
Empfehlung: Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, sollte die Erbfolge rechtzeitig und rechtssicher geregelt werden – am besten durch ein anwaltlich verfasstes Testament.
Der überlebende Ehegatte als Alleinerbe bei kinderloser Ehe und fehlenden Eltern – Zur Auslegung der gesetzlichen Erbfolge im Lichte der BGH-Entscheidung NJW 2013, 2061
In der anwaltlichen Praxis ist häufig zu beobachten, dass Angehörige von Verstorbenen – insbesondere Geschwister – fälschlich davon ausgehen, dass ihnen ein gesetzlicher Erb- oder Pflichtteilsanspruch zusteht, obwohl die Ehe des Erblassers kinderlos war und weder Eltern noch Kinder vorhanden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein Testament errichtet wurde und sich die Beteiligten auf die gesetzliche Erbfolge berufen müssen. Der folgende Beitrag erläutert die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen und verweist auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung.
Gesetzliche Ausgangslage
Nach deutschem Erbrecht (§§ 1922 ff. BGB) kommt es in Ermangelung einer wirksamen Verfügung von Todes wegen auf die gesetzliche Erbfolge an. Diese richtet sich nach der verwandtschaftlichen Ordnung (§ 1924–1932 BGB) und berücksichtigt dabei auch die besondere Stellung des überlebenden Ehegatten (§ 1931 BGB).
§ 1931 Abs. 1 BGB bestimmt, dass der überlebende Ehegatte neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel und neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte erbt. Lebt kein Verwandter der ersten oder zweiten Ordnung mehr, so erbt der überlebende Ehegatte allein (§ 1931 Abs. 2 BGB).
Kommt hinzu, dass die Ehe im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft geführt wurde, so wird dieser Zugewinnausgleich im Erbfall nach § 1371 BGB durch pauschale Erhöhung des Erbteils um ein weiteres Viertel berücksichtigt. Diese erbrechtliche Lösung tritt an die Stelle des zivilrechtlichen Zugewinnausgleichsanspruchs.
In der Gesamtschau führt dies dazu, dass der überlebende Ehegatte in einer kinderlosen Ehe und ohne lebende Eltern im Ergebnis Alleinerbe wird – ein Ergebnis, das oft zu Missverständnissen bei entfernten Verwandten führt, die sich eine Teilhabe am Nachlass erhoffen.
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
In der Entscheidung vom 27. Februar 2013 (Az. IV ZR 239/12, NJW 2013, 2061) hatte sich der Bundesgerichtshof mit einem Sachverhalt zu befassen, in dem ein überlebender Ehegatte mit Verwandten der zweiten Ordnung konkurrierte, konkret mit Geschwistern der verstorbenen Ehefrau.
Der BGH stellte unmissverständlich klar, dass der Ehegatte in dieser Konstellation Alleinerbe wird. Der pauschale Zugewinnausgleich gemäß § 1371 BGB führt dazu, dass sich der gesetzliche Erbteil von 1⁄2 auf 3⁄4 erhöht. Die restliche Quote fällt dem Ehegatten nach § 1931 Abs. 2 BGB zu, da keine Erben erster oder zweiter Ordnung mehr vorhanden sind. Der BGH stellte außerdem fest, dass Geschwister keine Pflichtteilsberechtigung haben, da sie nicht zu den in § 2303 BGB abschließend genannten Personen gehören.
Pflichtteilsberechtigt sind ausschließlich der überlebende Ehegatte, die Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers – nicht aber Geschwister oder deren Nachkommen.
Verfassungsrechtliche Einordnung
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ständigen Rechtsprechung die Bedeutung der Testierfreiheit als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG hervorgehoben (vgl. BVerfGE 112, 332 ff.). Die Freiheit, über das eigene Vermögen postmortal zu verfügen, ist grundrechtlich geschützt und unterliegt nur den Schranken der öffentlichen Ordnung und der Testierfähigkeit.
Gleichzeitig zeigt sich in der Rechtsprechung des BVerfG, dass Streitigkeiten um Erbquoten und Pflichtteile regelmäßig Ausdruck unklarer oder fehlender letztwilliger Verfügungen sind. Der Gesetzgeber schafft mit der gesetzlichen Erbfolge lediglich eine vermutete Regelung, die aber häufig nicht dem tatsächlichen Willen des Erblassers entspricht.
Praxisempfehlung: Testament vom Anwalt erstellen lassen
Aus anwaltlicher Sicht ist dringend zu empfehlen, die eigene Erbfolge durch ein notarielles oder anwaltlich geprüftes Testament rechtssicher zu regeln. In der Praxis sind selbst erstellte Testamente häufig angreifbar, widersprüchlich oder sogar formunwirksam. Dadurch entstehen kostspielige Erbauseinandersetzungen, die durch fachkundige Beratung leicht vermeidbar gewesen wären.
Ein Testament sollte nicht nur die Erben und etwaige Vermächtnisse eindeutig benennen, sondern auch die Pflichtteilsrechte, etwaige Enterbungen, die Teilungsanordnung und die Absicherung des überlebenden Ehegatten oder minderjähriger Kinder regeln.
Gerade in kinderlosen Ehen besteht oft der Wunsch, auch gemeinnützige Organisationen oder entfernte Verwandte zu bedenken, was jedoch nur durch eine wirksame letztwillige Verfügung möglich ist.
Keine Haftung für allgemeine Informationen – individuelle Rechtsberatung erforderlich
Die vorstehenden Ausführungen dienen der allgemeinen Information und ersetzen keine individuelle Rechtsberatung. Jeder Erbfall ist rechtlich und tatsächlich anders gelagert. Es ist daher unerlässlich, sich frühzeitig und umfassend von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen.
Unsere Kanzlei übernimmt für die hier bereitgestellten Informationen keine Haftung. Vor der Abgabe von Erklärungen, Zahlungen an Dritte oder der Einleitung gerichtlicher Schritte sollte stets eine konkrete rechtliche Prüfung erfolgen.
Wichtig
Die Vorstellung, dass Geschwister oder andere Verwandte auch ohne Testament automatisch Anspruch auf einen Teil des Nachlasses hätten, ist bei kinderloser Ehe und fehlenden Eltern unzutreffend. Der BGH hat mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2013 klargestellt, dass der überlebende Ehegatte in dieser Konstellation Alleinerbe wird und keine Pflichtteilsansprüche durch entfernte Verwandte geltend gemacht werden können.
Gleichwohl sollte man sich nicht allein auf die gesetzliche Erbfolge verlassen. Wer Klarheit über seine Nachfolge und Sicherheit für die Angehörigen schaffen will, sollte ein anwaltlich ausgearbeitetes Testament errichten lassen.
Kontakt:
Dr. Dr. Iranbomy
Rechtsanwalt – Fachgebiete: Erbrecht, Antidiskriminierungsrecht
www.IRANBOMY.com