Das städtische Unternehmen Hamburger Energienetze baut ein Wasserstoffnetz für die Hansestadt auf – ohne einschätzen zu können, wie viele Unternehmen zu welchem Zeitpunkt daran angeschlossen werden können. Zugleich bleibt das Erdgasnetz wohl in den kommenden 20 Jahren noch weitgehend in Betrieb.
Eine neue Bundesregierung, ein unberechenbarer US-Präsident, der Krieg in der Ukraine – langfristige Investitionen in die Energieversorgung sind derzeit besonders schwer zu planen und umzusetzen. Mit öffentlicher Förderung baut Hamburger Energienetze ein lokales Wasserstoffnetz auf, es ist Voraussetzung dafür, den Energieträger Wasserstoff in der Hansestadt überhaupt nutzen zu können. Gabriele Eggers, 53, die Geschäftsführerin für Finanzen und Recht von Hamburger Energienetze, sagt WELT AM SONNTAG, wie das Netz gebaut wird.
WELT AM SONNTAG: Frau Eggers, mehrere Vorhaben zum Einsatz von Wasserstoff wurden in der Metropolregion Hamburg jüngst verschoben oder abgesagt, etwa ein Pilotprojekt beim Stahlhersteller ArcelorMittal im Hafen. Bereitet Ihnen das Sorge, wenn es um den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Hamburg geht?
Gabriele Eggers: Wir wollen das „Henne-Ei-Problem“ auflösen, auch mit starker Unterstützung durch die Stadt Hamburg. Nachfrage nach Anschlüssen für Wasserstoff entsteht, wenn die nötige Infrastruktur dafür existiert. Die wollen wir mit dem Wasserstoffnetz bereitstellen. Von 2027 an steht das Netz für Kunden zur Verfügung, die ihre Prozesse dekarbonisieren wollen. Wir haben schon Vorverträge, zum Beispiel mit dem Unternehmen Tesa, und es werden weitere hinzukommen. 2027 soll der 100-Megawatt-Wasserstoff-Elektrolyseur der Hamburger Energiewerke ans Netz gehen. Klar ist: Die Unternehmen müssen von ihren klimaschädlichen Emissionen wegkommen.
WAMS: Airbus hat die Einführung von Flugzeugen mit Wasserstoffantrieb verschoben, die der Konzern zunächst für die Mitte des kommenden Jahrzehnts avisiert hatte.
Eggers: Es geht ja nicht nur um den Wasserstoffantrieb. Airbus will auf der Flugzeugwerft in Finkenwerder Wasserstoff ja auch nutzen können, um Flugzeuge aller dort vertretenen Typen zu bauen und um auch dadurch den Produktionsprozess am drittgrößten Standort des zivilen Flugzeugbaus weltweit zu dekarbonisieren.
WAMS: Sie setzen den Plan für das Hamburger Wasserstoffnetz also um?
Eggers: Wir bauen an unserem Netz und haben schon über zehn Kilometer realisiert. Die Nachfrage nach mehr Anschlüssen wird kommen, auch mehr Elektrolyseanlagen und der Import von regenerativ erzeugtem, „grünem“ Wasserstoff im Hafen. Diese Energie wird etwa in Form von Ammoniak importiert werden, in dem grüner Wasserstoff mit Stickstoff gebunden wird und sich so auf Schiffen einfacher transportieren lässt.
WAMS: Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Eggers: Das Hamburger Wasserstoff-Industrienetz HH-WIN wird vom Bund und dem Land Hamburg finanziell gefördert. Der Bau der ersten 40 Pipeline-Kilometer im und am Hamburger Hafen soll bis 2027 realisiert sein. Wir sind im Zeitplan. Weitere 20 Kilometer bauen wir bis Ende 2031.
WAMS: Können Sie für HH-WIN Teile des Erdgasnetzes umrüsten?
Eggers: Im ersten Abschnitt bauen wir vor allem neue Leitungen. Außerdem konnten wir von einem anderen Netzbetreiber eine bestehende Erdgas-Hochdruckleitung im Hamburger Süden kaufen. Die Leitung ist wasserstofffähig und wird in HH-WIN integriert. Wir haben die Leitung zu einem wirtschaftlich sehr vernünftigen Preis gekauft. Wir können damit nun 18 Millionen Euro Investitionen für den Neubau vermeiden und dieses Geld zur Deckung möglicher Kostensteigerungen einsetzen.
WAMS: Was wird das neue Wasserstoffnetz kosten?
Eggers: Die gesamten 60 Kilometer kosten rund 300 Millionen Euro. Für die ersten 40 Kilometer haben wir eine sogenannte IPCEI-Förderung in Höhe von rund 125 Millionen Euro erhalten, die zu 70 Prozent der Bund und zu 30 Prozent die Stadt Hamburg finanziert.
WAMS: Anfangs werden die Hamburger Energienetze voraussichtlich nur wenige Wasserstoffkunden am Netz haben. Kann das – etwa durch einen zu geringen Gasdurchsatz – technische Probleme mit sich bringen?
Eggers: Uns war bewusst, dass die Zahl der Anschlüsse erst nach und nach mit den Kunden wachsen wird. Das ist natürlich auch eine technische Herausforderung. Zu Beginn wird die Flexibilität und damit die Druckhaltung nur durch die Einspeisung der Kunden gewährt sein, bis das System wächst und dann auch große Speicher am Kernnetz angebunden sind. Wichtig ist dabei auch: Wenn wir mehr Wasserstoff im Hamburger Netz erwarten, als die Kunden im Netzgebiet selbst verbrauchen, kann dieser Wasserstoff in das Fernleitungsnetz eingespeist werden. Dieses künftige deutsche Wasserstoff-Kernnetz umfasst auch unsere zukünftigen 60 Kilometer Leitungen. Wir können also künftig auch Wasserstoff aus Hamburg heraus in die norddeutschen Wasserstoffspeicher abgeben, die in den kommenden Jahren gebaut werden.
WAMS: Sie gehen davon aus, dass die Hamburger Energienetze das Wasserstoffnetz aufbauen kann, ohne wirtschaftlichen Schaden zu nehmen?
Eggers: Wichtig ist dafür in der ersten Ausbaustufe mit 40 Kilometern vor allem die erwähnte IPCEI-Förderung des Bundes und der Stadt Hamburg. Die weiteren 20 Kilometer Ausbau basieren finanziell darauf, dass unser Hamburger Netz zum deutschen Wasserstoff-Kernnetz gehören wird. Wir können dadurch auf den bis 2055 angelegten Finanzierungsmechanismus und das damit verbundenen sogenannte Amortisationskonto zurückgreifen. Dieses Konto ist von der KfW-Bank als Darlehensgeberin abgesichert. Daraus finanzieren wir Planung und Weiterbau. Das Netzentgelt im Wasserstoffnetz ist gedeckelt, das ist wichtig und schafft Planbarkeit für die Kunden. Wenn wir wegen einer geringen Netzauslastung von wenigen Kunden diesen ein höheres Entgelt berechnen müssen, erhalten wir die Differenz zum gedeckelten Betrag vom Amortisationskonto. So wird es in den ersten Jahren nach dem Aufbau des Netzes sein. Nehmen wir später mit steigender Anzahl von Kunden und durch eine höhere Auslastung mehr Netzentgelt ein, zahlen wir Geld dorthin zurück. Die finanzielle Bilanz müssen wir bis spätestens 2055 ausgleichen. Die zusätzlichen 20 Kilometer könnten wir nicht bauen, ohne dass sie Teil des Wasserstoff-Kernnetzes werden, das wäre für uns finanziell zu riskant und für die Wasserstoffkunden zu teuer.
WAMS: Wird die künftige Bundesregierung aus Union und SPD den Hochlauf von Wasserstoff unterstützen?
Eggers: Die Wasserstoff-Förderung wird nicht zurückgenommen, der Hochlauf wird gefördert und beschleunigt, so pragmatisch wie möglich. Unklar ist, was die Förderung der CCS-Technologie für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bedeuten wird. Mithilfe von CCS – der Abtrennung von Kohlendioxid und dessen Einlagerung im Meeresboden – kann man aus Erdgas sogenannten „blauen“ Wasserstoff herstellen, das würde den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft voranbringen. Es könnte aber auch sein, dass manche Unternehmen zunächst weiter an Erdgas festhalten und das Kohlendioxid, das bei dessen Verbrennung entsteht, mithilfe von CCS aus dem Abgas etwa von Kraftwerken abfangen. Das würde den Ausbau des Wasserstoffsystems – von neuen Leitungen, Speichern, Kraftwerken – eher bremsen. Welche „Farbe“ der Wasserstoff hat, ob „grün“ oder „blau“, ist zunächst nicht entscheidend. Wichtig ist, dass der Hochlauf gelingt.
WAMS: Welches Interesse an Wasserstoffprojekten nehmen Sie bei Hamburger Unternehmen wahr?
Eggers: Das Interesse ist grundsätzlich groß, wir bekommen immer wieder Anfragen für Anschlüsse. Wir gehen aktuell von weit über 20 potenziellen Kunden aus. Eine Unsicherheit für die Unternehmen bleibt vorerst noch, was der Wasserstoff kosten wird. Aber wenn wir es unter den sehr guten Bedingungen in Hamburg nicht hinbekommen, eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, dann vermutlich nirgendwo. Als Netzbetreiber tun wir jedenfalls alles dafür, dass das gelingt.
WAMS: Die Hamburger Energiewerke bauen am Standort des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg einen der größten deutschen Wasserstoff-Elektrolyseure mit 100 Megawatt Leistung auf. Auf der vorhandenen Fläche könnten dort bis zu 800 Megawatt Elektrolyseleistung installiert werden.
Eggers: Wir stehen bereit, diesen Wasserstoff aufzunehmen. Für alle Beteiligten ist das eine nutzbringende Situation. Der Elektrolyseur wird einer der ersten großen Einspeiser von Wasserstoff in unser Netz sein, außerdem wird die Anlage in Moorburg dazu beitragen, große Mengen an Strom aus Windenergie in Wasserstoff umzuwandeln.
WAMS: Wie schnell wird Hamburger Energienetze das Hamburger Erdgasnetz stilllegen?
Eggers: Wir haben rund 7800 Kilometer Erdgasnetz in Hamburg. Hin und wieder entsteht der Eindruck, wir könnten das Netz „zurückbauen“ oder demontieren. Das wäre aber viel zu aufwendig und zu teuer. Das Netz würden wir schrittweise nur dort stilllegen, wo wir es mangels Kunden nicht mehr benötigen. Die Gasleitungen würden dann mit Stickstoff gespült und konserviert. Möglicherweise können Teile der Pipelines künftig auch zur Verlegung von Strom- oder Datenkabeln umgewidmet werden. Nach wie vor haben wir aber eine Anschlusspflicht an das Erdgasnetz. Allein im vergangenen Jahr haben wir noch rund 300 neue Anschlüsse hergestellt, daran hängen also auch neue Gasheizungen. Wir rechnen mit signifikant weniger Anschlüssen von 2030 an, allerdings nicht damit, das Netz dann gebietsweise stillzulegen. Ob Erdgas in Deutschland tatsächlich 2045 ausläuft, hängt von der künftigen Energiepolitik ab. Wir stellen uns darauf ein, das ist auch unsere Strategie, aber wir schauen uns jährlich an, wie sich die Zahl der Anschlüsse entwickelt. Bei allen möglichen Szenarien bleibt unsere Aufgabe, das Netz weiterhin technisch und versorgungssicher zu betreiben.
WAMS: Entscheidend für den Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff ist dann ja die Anschlusspflicht für Erdgas und die Frage, ob und wann es solch eine Pflicht des Netzbetreibers auch für Wasserstoff geben wird.
Eggers: Noch müssen wir jedem Haushalt einen Erdgasanschluss bereitstellen. Solange diese Anschlusspflicht besteht, wird es kaum möglich sein, Teile des Erdgasnetzes stillzulegen. Ob Wasserstoff in der Gebäudewärme eine relevante Rolle spielen wird, ist heute nicht absehbar. Künftig wird wohl vor allem mit Strom und Wärmepumpen oder mit Fernwärme geheizt werden. Wasserstoff als Wärmeenergie wird eher die seltene Ausnahme sein. Unser Fokus bei der Versorgung mit Wasserstoff liegt auf der Industrie und deren energieintensiven Prozessen.
Beim städtischen Unternehmen Hamburger Energienetze leitet Gabriele Eggers, 53, das Ressort Finanzen und Recht. Zuvor arbeitete sie seit Januar 2023 als kaufmännische Geschäftsführerin von Gasnetz Hamburg, das im Jahr 2024 mit Stromnetz Hamburg zu Hamburger Energienetze fusioniert wurde. Bei Gasnetz Hamburg steuerte Eggers vor allem die Transformation, die das Unternehmen im Rahmen der Energiewende bereits seit einigen Jahren durchlief. Zuvor arbeitete die gebürtige Hamburgerin und Volljuristin viele Jahre lang in der Energiewirtschaft im Ruhrgebiet.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die Energiewirtschaft zählt seit vielen Jahren zu seinen Schwerpunktthemen.