Formale und Materiale Gerechtigkeit:
Eine spannende Reise in die Welt der Rechtsphilosophie
Gerechtigkeit ist ein Begriff, der uns alle betrifft, sei es in unserem täglichen Leben oder in der Gesellschaft als Ganzes. Gerade derzeit, wo Präsidenten sich gerieren wie Fürsten. Doch was bedeutet eigentlich “Gerechtigkeit”?
In der Rechtsphilosophie spielen zwei wichtige Konzepte dabei eine Rolle: die formale und die materiale Gerechtigkeit. Beide sind unerlässlich, um ein gerechtes Rechtssystem zu gewährleisten. Das Rechtssystem, das uns seit Ewigkeiten sehr vertraut und Gott gegeben vorkam. Lassen Sie uns diese Begriffe näher beleuchten und dabei zwei bedeutende Stimmen aus der Welt der Literatur und der Rechtsphilosophie betrachten – Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde und Alan Paton.
Formale Gerechtigkeit: Regeln, die für alle gelten
Formale Gerechtigkeit ist ein Konzept, das sich auf die faire und gleiche Anwendung von Regeln und Verfahren konzentriert. Prof. Dr. Böckenförde, ein herausragender deutscher Rechtswissenschaftler, hebt in seinem Werk “Recht, Staat, Freiheit” (1991) die Bedeutung der formalen Gerechtigkeit hervor. Laut Böckenförde ist die Einhaltung von Verfahrensregeln und die Unabhängigkeit der Justiz die Grundvoraussetzung für Gerechtigkeit. Man könnte sagen, dass formale Gerechtigkeit die Rahmenbedingungen schafft, innerhalb derer materiale Gerechtigkeit stattfinden kann. Ebenjene Unabhängigkeit der Justiz, die in den USA und teilweise auch in unserem Land gerade großen Angriffen gegenübersteht.
Materiale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit, die über Regeln hinausgeht
Im Gegensatz zur formalen Gerechtigkeit beschäftigt sich die materiale Gerechtigkeit mit dem Inhalt von Rechtsnormen und Entscheidungen, die soziale Fairness und Gleichheit fördern sollen. Alan Paton, ein bekannter südafrikanischer Schriftsteller, bringt dieses Konzept in seinem Roman “Cry, the Beloved Country” (1948) ins Spiel. Paton thematisiert die durch das Rechtssystem gestützte Ungerechtigkeit im Kontext der Apartheid und betont, dass Gesetze oft bestehende Ungleichheiten festigen, anstatt sie zu korrigieren. Hier wird deutlich: Materiale Gerechtigkeit erfordert einen kritischen Blick auf die Auswirkungen von Gesetzen auf die Gesellschaft und bedarf einer Überprüfung durch eine oberste unabhängige Instanz, wie bspw. unseres Bundesverfassungsgerichtes.
“It’s not the judge that makes the law, it’s the people…”
Ein berühmtes Zitat von Alan Paton lautet: “It is not the judge that makes the law, it`s the people. Therefore if the judge judges according to the law we call this justice even if it is not just.” Dieses Zitat verdeutlicht, dass Richter an die Gesetze gebunden sind, die vom Volk oder den gewählten Vertretern geschaffen wurden, auch wenn diese Gesetze selbst manchmal wenig gerecht erscheinen. In Südafrika wurden diese Apartheidgesetze einfach unhinterfragt angewendet. Diese verdeutlicht die Notwendigkeit von obersten Verfassungsgerichten, gerade in unserer heutigen Zeit.
Diese Aussage kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:
- Rechtspopulistische Perspektive: Hier wird das Zitat als Ausdruck des Gedanken gesehen, dass das Recht dem Volkswillen untergeordnet sein sollte. Das birgt die Gefahr, dass die Justiz für politische Zwecke instrumentalisiert wird.
- Rechtsstaatliche Perspektive: Diese Perspektive unterstreicht die Wichtigkeit der Rechtsstaatlichkeit. Die Justiz muss den Gesetzen folgen, die durch demokratische Prozesse entstehen. Der Richter entscheidet im Rahmen dieser Gesetze, was der Willkür entgegenwirkt.
- Soziologische Perspektive: Das Zitat verweist darauf, dass Gesetze und Recht nicht isoliert von den sozialen Werten und Bedingungen existieren. Sie spiegeln die gesellschaftlichen Normen wider und tragen dazu bei, diese zu formen.
Fazit: Eine Balance zwischen beiden Gerechtigkeiten finden
Formale und materiale Gerechtigkeit sind wie zwei Seiten einer Medaille. Ein gerechtes Rechtssystem muss sicherstellen, dass Verfahrensregeln fair angewendet werden, während gleichzeitig der Inhalt der Gesetze soziale Gerechtigkeit fördert. Alan Patons Zitat erinnert uns daran, dass wahre Gerechtigkeit nicht nur in der Anwendung bestehender Gesetze liegt, sondern auch in der kritischen Betrachtung und Anpassung dieser Gesetze, im Idealfall durch ein gut funktionierendes oberstes Verfassungsgericht. Denn letztlich formt die Gesellschaft das Recht, und das Recht formt die Gesellschaft.
In unserer kontinuierlichen Reise zu einem gerechteren Rechtssystem müssen wir beide Aspekte im Blick behalten, um gerecht zu handeln und gleichermaßen gerechte Normen zu schaffen. Fehlt eine Instanz, die beide Formen der Gerechtigkeit in Einklang bringt, dann entsteht soziale Ungleichheit, soziale Ungerechtigkeit, sozialer Unfrieden. So wie derzeit überall auf der Welt. Mit den Worten Ernst-Wolfgang Böckenförde’s: „Darf das sein?“