An der Wall Street hätten Sie sogar eine richtig gute Börsenphase verpasst. Der breite amerikanische Aktienmarkt, repräsentiert durch den S&P 500, hat den Jahresauftakt zwar vergeigt – europäische Aktien liefen viel besser und amerikanische fielen sogar zurück. Doch nach dem Zollschock im April zündete die Wall Street eine kleine Rallye. Genau genommen waren es einige wenige Aktien, aber für ETF-Anleger zählt ja die Performance des Indizes. Und die ist sensationell.
Oder andersherum, wer getreu „Sell in May“ handelte, verpasste am US-Markt das Beste. Wer Anfang Mai bei 5.600 Punkten ausgestiegen wäre, hätte auf einen Zuwachs von 18 Prozent verzichtet. Und wer Ende Mai bei 5.900 Punkten Gewinne mitgenommen hätte, hätte ein Plus von zwölf Prozent verpasst. Heute steht der S&P 500 bei etwa 6.600 Punkten, neue Allzeithochs in den vergangenen Wochen inklusive. Ein ähnliches Bild sehen wir beim Technologieindex Nasdaq 100.
2025 wären Verkäufe im Mai kein guter Ratschlag gewesen. Ich muss gestehen: Ich bin ein großer Fan dieser launigen Sprüche über die Börse. Viele sind Jahrzehnte alt, haben aber an Aktualität nichts verloren. Warren Buffetts „Sei gierig, wenn alle ängstlich sind, und ängstlich, wenn alle gierig sind“ beispielsweise ist eine Anleitung zum antizyklischen Investieren.
Oder der alte Spruch „Der größte Feind des Anlegers schaut ihm jeden Morgen aus dem Spiegel entgegen“. Mit dieser Börsenweisheit warnte der Wirtschaftsprofessor Benjamin Graham vor allzu emotionalem Handeln. Beide Sprüche sind sehr weise und sehr wahr, wie so viele Börsenweisheiten.
Ob „Sell in May and go away, but remember to come back in September“ als saisonale Strategie Substanz hat, wird in zahlreichen Studien immer wieder untersucht. Es stimmt, dass die Sommermonate – vor allem Juni und September – historisch betrachtet die schlechteren Börsenmonate sind. Wir reden aber davon, dass sie je nach Index und Zeitraum im Schnitt ein Minus zwischen null und ein Prozent pro Jahr brachten. Keine große Katastrophe, oder?
Sie könnten mir nun all die Beispiele und Jahre nennen, in denen Sie lieber an der Seitenlinie als auf dem Parkett gestanden hätten. Im Sommer haben viele Katastrophen, Krisen und Kriege begonnen. Da wäre man im Nachhinein nicht gerne investiert gewesen. Die Ölkrise von 1974 ist so ein Beispiel, der irakische Angriff auf Kuwait im Jahr 1990 ein weiteres. Und natürlich die Anschläge vom 11. September 2001 sowie die Rezession im Jahr 2002.
