Viele Firmen gehen pleite, Deutschland steckt im dritten Rezessionsjahr und Jobs wie bei Bosch fallen zu Tausenden weg. Zugleich erreicht der DAX immer neue Rekorde. Wie passt das zusammen?
Erst vor wenigen Monaten hat Aquinos Bedding Germany Insolvenz beantragt. Jahrzehntelang wurden in Deutschland Matratzen gefertigt und die bekannte Marke mit der Dampfwalze im Logo aufgebaut.
Nun stehen die Bänder im Werk in Wattenscheid still. Viele Beschäftigte waren seit Jahrzehnten dabei und entsprechend der Schock. „Nach 30 Jahren zu sehen, dass es vorbei ist“, resümiert eine langjährige Mitarbeiterin. „Es ist schon traurig.“
Gründe sind u. a. hohe Logistikkosten, ein veralteter Maschinenpark und Schieflagen bei Schwestergesellschaften. Aquinos ist kein Einzelfall: 2024 wurden bundesweit 21.812 Insolvenzen gezählt. Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit liegt knapp unter drei Millionen – und doch steigt der DAX seit drei Jahren. Warum?
Trotz Konjunkturschwäche: Warum der Dax steigt
An der Frankfurter Börse ist von der Krisenstimmung kaum etwas zu spüren. Der DAX hat sich in drei Jahren etwa verdoppelt. „Wir sind in Deutschland speziell in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und trotzdem steigt der deutsche Aktienindex“, erläutert Fondsmanager Roger Peeters.
„Aber man muss sagen, wenn wir über deutsche Unternehmen reden oder deutsche Aktien, sind das in der Regel globale Konzerne, die nur einen kleinen Teil ihrer Wertschöpfung in Deutschland haben und hier den Firmensitz haben.“ So werde im Prinzip immer die Weltkonjunktur gespiegelt, ergänzt Peeters. Und da sehe es etwas besser aus als in Deutschland.
Gründe für die schwächelnde Industrie
Auch das Chemiewerk Venator in Duisburg ist insolvent. Insolvenzverwalterin Sarah Wolf erklärt: „Hier sind die Gründe sicherlich ganz vielschichtig. Sie haben einmal die gesamtwirtschaftliche Lage, die sich in den letzten Jahren ja nicht wirklich verbessert hat.“ Hinzu komme seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die angespannte Rohstoffmärkte und Energieversorgung.
„Energie ist enorm teuer geworden. Und all diese Dinge insgesamt als Paket führen manchmal dazu, dass es halt einfach nicht ausreicht und nicht mehr alle fälligen Verbindlichkeiten gezahlt werden können.“ Und auch Bürokratie, Steuern und Abgaben sind Insolvenzbeschleuniger – nicht nur die Chemieindustrie.
Wirtschaftsforscher: Struktur statt Konjunktur
Für Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Berater des Bundeswirtschaftsministeriums, ist die Flaute mehr als ein zyklischer Dämpfer: „Drei Jahre in Folge, das ist keine Konjunkturkrise. Wir haben vielmehr eine Strukturkrise:“ Selbst etwas Wachstum im nächsten Jahr werde daran wenig ändern.
Die Industrie müsse die Transformation stemmen, staatliche Maßnahmen sollten konsequent an Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet sein, so der Experte. „Die Wirtschaft ist unter großem Druck und Deutschland ist unter großem Druck“, so Wambach. Reine Konjunkturprogramme auf Pump reichen ihm nicht – der angekündigte „Herbst der Reformen“ müsse tatsächlich kommen, auch mit Anpassungen in den Sozialsystemen.
Viele Insolvenzen – aber keine extreme Pleitewelle
Trotz der aktuellen Fälle: Historisch lagen die Insolvenzzahlen schon deutlich höher, etwa nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder während der Finanzkrise. Von einer extremen Pleitewelle ist Deutschland also noch weit entfernt.
Für die Betroffenen bleibt das ein schwacher Trost. In Wattenscheid fand sich für die in die Jahre gekommene Produktion keine Investorin, der Markenname hingegen wurde verkauft. Lichtblick: Käufer Thomas Bußkamp kommt aus der Region und will Schlaraffia künftig in seinem Unternehmen in Bocholt produzieren. Den Beschäftigten machte er ein Übernahmeangebot. Mit ihnen soll es weitergehen – am Standort Deutschland.
