In meiner Mandatsführung erlebe ich immer wieder unterschiedliche Konstellationen von Vollmachtsmissbrauch, die alle eine Gemeinsamkeit haben: Dritte nutzen aus finanziellen Motiven die Hilfsbedürftigkeit betagter und/oder kranker Menschen durch Erstellung von Vorsorgevollmachten aus. Die Täter gehen dabei i. d. R. stufenweise vor. Nachdem sie sich das Vertrauen der betroffenen Personen persönliche Fürsorge erschlichen haben, folgt im nächsten Schritt die Manipulation.
Den Geschädigten – zukünftigen Vollmachtgebern – wird suggeriert, die Täter seien die einzigen Personen, auf die jederzeit und in jeder Hinsicht Verlass wäre. Die Verwandten und Freunde würden sich ja sowieso nicht melden. Die Verbringung in ein Seniorenheim über kurz oder lang sei eine sichere Sache, besonders dann, wenn ein gerichtlicher Betreuer bestellt werde.
Auf diese oder ähnliche Weise wird eine Drohkulisse und daran anknüpfend ein Abhängigkeitsverhältnis aufgebaut, aus dem sich die Geschädigten in ganz überwiegender Zahl nicht selbst befreien können – sofern sie die Situation, in der sie sich befinden, überhaupt realisieren.
Im weiteren Verlauf wird den Geschädigten eine Vorsorgevollmacht zur Unterschrift vorgelegt. Die rechtliche Bedeutung und Reichweite einer Vorsorgevollmacht ist den Geschädigten oft nicht bewusst. Sie unterschreiben mitunter sogar, ohne das Dokument überhaupt zu lesen. Ein Betroffener in einem der von mir bearbeiteten Mandate ging gar davon aus, eine notwendige routinemäßige Beauftragung für einen Pflegedienst vor sich zu haben, als er eine alle Lebensbereiche umfassende Vorsorgevollmacht für den ihm bis dato fast vollständig unbekannten Vorsorgebevollmächtigten unterschrieb.
Auch fällt Geschädigten mitunter nicht auf, welches Datum von den Tätern in der Vollmachtsurkunde eingetragen wird.
Ganz besonders erschütternd sind die Fälle, in denen die Geschädigten der sicheren Ansicht sind, sich nach geleisteter Unterschrift von der Vorsorgevollmacht und der bevollmächtigten Person nicht mehr lösen zu können. Die Schlussfolgerung „Ich habe das halt unterschrieben. Jetzt kann ich nichts mehr daran ändern und bin ausgeliefert“ ist falsch:
1.
Eine Vorsorgevollmacht kann vom Vollmachtgeber widerrufen werden. Die Zustimmung des Bevollmächtigten ist selbstverständlich nicht erforderlich.
Voraussetzung für den Widerruf ist allerdings die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers.
2.
Doch auch dann, wenn ein Widerruf der Vollmacht wegen Geschäftsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, gibt es einen Ausweg durch Einleitung eines gerichtlichen Betreuungsverfahrens.
Vorherige rechtliche Beratung ist jedoch dringend zu empfehlen.
Denn zum einen sind in der Zwischenzeit zu befürchtende weitere schädigende Handlungen der Täter ggf. zu verhindern. Auch auf den Gang und den Inhalt des Betreuungsverfahrens kann durch anwaltliche Vertretung effektiv Einfluss genommen werden. Meine Erfahrung zeigt, dass der Zeitraum zwischen Verdacht und Aufdeckung von Vollmachtsmissbrauch bis zum Zeitpunkt, zu dem der Bevollmächtigte die Ausübung der Vollmacht endgültig aufgibt (bzw. aufgrund gerichtlicher Entscheidung aufgeben muss) für alle Beteiligten extrem belastend, in Einzelfällen sogar bedrohlich sein kann. Zudem erfordert die Einrichtung einer Betreuung gerichtliche Ermittlungen. Verfahrensvorschriften sind einzuhalten. Das alles nimmt Zeit in Anspruch – auch in dringenden Fällen.
3.
Sofern der Vollmachtgeber bereits bei Erstellung der Vorsorgevollmacht geschäftsunfähig ist, ist die Vollmacht unwirksam. Wenn Täter von der Geschäftsunfähigkeit wissen oder sie vermuten, wird – um sicher zu gehen – das Datum der Vollmacht oftmals über Jahre rückdatiert. Das Rückdatieren von Vorsorgevollmachten geschieht in den meisten Fällen durch Verwendung von Formularvollmachten, die im Handel erhältlich sind oder aus dem Internet heruntergeladen werden.
Wenn Sie also evtl. verwundert darüber nachdenken, warum Sie die Bevollmächtigte Ihres betagten und vermögenden besten Freundes, die angeblich bereits seit 5 Jahren für alle Lebensbereiche bevollmächtigt ist, überhaupt nicht kennen, sollten Sie diesen Gedanken zu Ende denken und für Aufklärung sorgen. Gewissheit über die Rückdatierung einer Vorsorgevollmacht kann sich für einen Rechtsexperten bereits auf den ersten Blick auf die Vollmachtsurkunde ergeben.