Gutgläubigkeit und Verbotsirrtum beim Fahren mit US-Führerschein nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland – Zur strafrechtlichen Bewertung und BGH-Rechtsprechung
Von Dr. Dr. Iranbomy, Rechtsanwalt für Menschenrechte und Strafverteidiger
I. Ausgangssituation
Ein in Deutschland lebender Fahrer – hier konkret ein Nutzer eines Mitsubishi – wurde im Internet durch eine angebliche „Registrierungsstelle“ in den USA betrogen. Er erhielt einen US-amerikanischen Führerschein, der auf einem in der Heimat (Iran) ausgestellten Führerschein basierte. Ihm wurde glaubhaft versichert, dieser sei international gültig und berechtige ihn zum Führen von Fahrzeugen in Deutschland. Er war davon überzeugt, legal zu handeln.
II. Verlauf der behördlichen Behandlung
Als der Betroffene im Straßenverkehr auffiel – etwa durch ein Rotlichtvergehen – wurde sein Führerschein zunächst von der Polizei einbehalten. Doch bemerkenswert: Nach nur einem Monat gab die zuständige Führerscheinstelle den US-Führerschein zurück, ohne Auflagen oder Verbote, obwohl der Betroffene bereits über vier Jahre in Deutschland lebte.
Diese behördliche Rückgabe erzeugte bei dem Betroffenen den legitimen Eindruck, sein Führerschein sei ordnungsgemäß anerkannt, und er dürfe damit fahren. In der Folge fuhr er erneut – und wird nun strafrechtlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) verfolgt.
III. Juristische Bewertung: Verbotsirrtum (§ 17 StGB)
Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn jemand sich über die Rechtswidrigkeit seines Tuns irrt. Dieser Irrtum ist nur dann entschuldbar, wenn er unvermeidbar war. Der Maßstab ist streng – jedoch nicht absolut.
In dem geschilderten Fall sprechen mehrere objektive Gründe für einen entschuldbaren Verbotsirrtum:
- Täuschung durch Internetbetrug – Der Mandant war Opfer eines gezielten Betrugs. Das allein begründet zwar keine Straflosigkeit, zeigt aber den Anfang der Fehlvorstellung.
- Bestätigung durch staatliches Handeln – Die Rückgabe des Führerscheins durch die deutsche Fahrerlaubnisbehörde nach polizeilicher Einziehung ist ein starkes Indiz für behördliche Mitverantwortung. Dies könnte bei einem rechtlich nicht geschulten Laien den Eindruck erwecken, dass der Führerschein – trotz langjährigem Aufenthalt – anerkannt wurde.
- Keine weiteren Auflagen oder Verbote – Die Führerscheinstelle informierte den Fahrer nicht über die fehlende Gültigkeit des Führerscheins nach § 29 FeV. Es lag also kein ausdrückliches Fahrverbot oder eine Anordnung der Umschreibung vor, was den Irrtum verstärkt.
IV. BGH-Rechtsprechung
Die bisherige BGH-Rechtsprechung stellt zwar hohe Anforderungen an die Unvermeidbarkeit von Verbotsirrtümern, doch sie lässt Raum für behördlich mitverursachte Fehlvorstellungen:
- BGH, Beschl. v. 25.01.1996 – 4 StR 606/95: Ein Verbotsirrtum ist regelmäßig vermeidbar, sofern keine behördliche Bestätigung vorliegt.
- BGH, Beschl. v. 19.06.2008 – 4 StR 241/08: Der Irrtum kann entschuldbar sein, wenn sich der Betroffene bei Behörden erkundigt hat und falsch informiert wurde oder ihm irreführende Signale gegeben wurden.
In diesem Fall könnte das Verhalten der Führerscheinstelle als irreführend gewertet werden – zumal die Rückgabe des Führerscheins nach § 47 FeV eigentlich nur erfolgen darf, wenn keine Zweifel an der Fahreignung oder Berechtigung bestehen.
V. Verteidigungsstrategie
- Unvermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB: Da der Mandant auf die Rückgabe des Führerscheins durch die Behörde vertraute, ist seine Fehlvorstellung nicht nur subjektiv, sondern möglicherweise rechtlich entschuldbar. Dies könnte zur Freisprechung führen.
- Hilfsweise: Verbotsirrtum als schuldmindernd (§ 17 Satz 2 StGB): Sollte das Gericht die Unvermeidbarkeit verneinen, so muss es zumindest die geringe Schuldwürdigkeit berücksichtigen, was zu einer Geldstrafe im unteren Bereich oder sogar zur Einstellung des Verfahrens führen kann (§ 153a StPO).
- Eventuell auch § 35 StGB (entschuldigender Notstand), wenn der Mandant nachweisen kann, dass er auf das Fahren aus familiären oder beruflichen Notlagen zwingend angewiesen war.
VI. Fazit
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen eines entschuldbaren Verbotsirrtums nach § 17 StGB ausnahmsweise gegeben. Die behördliche Rückgabe des Führerscheins trotz langer Aufenthaltsdauer ist als staatliches Mitverschulden zu bewerten. Das Vertrauen auf eine amtliche Entscheidung kann auch für rechtlich unkundige Ausländer schutzwürdig sein. Es ist zu fordern, dass in vergleichbaren Fällen die Justiz nicht blind formale Kriterien anlegt, sondern die tatsächliche Irreführung durch Verwaltungshandeln in die Beurteilung der Schuld einbezieht.
Rechtliche Quellen:
- § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis)
- § 17 StGB (Verbotsirrtum)
- § 29 FeV (Gültigkeit ausländischer Fahrerlaubnisse)
- § 47 FeV (Entziehung und Rückgabe der Fahrerlaubnis)
- BGH, 4 StR 606/95
- BGH, 4 StR 241/08
- OLG Köln, Beschluss vom 24.02.2021 – 1 RVs 261/20