Die Premium Food Group, vormals bekannt als Tönnies, darf das deutsche Rindfleischgeschäft von Konkurrent Vion nicht übernehmen. Das sorgt für Kritik aus der Branche wie auch aus der Politik. WELT skizziert, wie es weitergehen könnte.
Das Bundeskartellamt verbietet eine Großfusion in der Fleischbranche. Deutschlands größter Schlachtkonzern Premium Food Group, früher bekannt als Tönnies, darf das deutsche Rindfleischgeschäft des niederländischen Konkurrenten Vion Food Group mit insgesamt vier Schlacht- und Zerlege- so wie zwei Häuteverarbeitungsbetrieben nicht wie geplant übernehmen. Dadurch hätte sich die Marktposition von Tönnies zum Nachteil der Landwirte und der verbleibenden kleineren Wettbewerber in den betroffenen Regionen bedenklich verstärkt, begründet Kartellamts-Präsident Andreas Mundt. „Die Premium Food Group hätte neben ihrer bereits dominierenden Position in der Schlachtung und Verarbeitung von Schweinen in Deutschland auch im Bereich Rinder eine Führungsposition erlangt.“ Und das führe am Ende zu Nachteilen für die Abnehmer von Schlachtprodukten.
Bei der Premium Food Group zeigt man sich enttäuscht und warnt vor den Folgen für die betroffene Region Bayern. „Diese Entscheidung ist ein harter Schlag für die Landwirte in Süddeutschland, die seit Monaten auf eine klare Zukunftsentscheidung gehofft haben“, heißt es in einer Stellungnahme. Branchenexperten wiederum kritisieren das Verbot als überraschend und unglücklich. „Da ist eine Chance verpasst worden, verlässliche Strukturen zu schaffen“, sagt zum Beispiel Klaus Martin Fischer, Partner bei der Beratungsgesellschaft RSM Ebner Stolz, im WELT-Gespräch. Den Erzeugern in der Region sei mit der Entscheidung die Perspektive entzogen worden, ebenso den 2000 Beschäftigten in den Werken.
Hintergrund ist die ausgedünnte Lage bei den dortigen Schlachtkapazitäten. „In Süddeutschland gibt es nicht viele Alternativen“, hatte Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) bei der Verkündung des Deals im vergangenen Herbst skizziert. „Sollte es dort zu Schließungen kommen, werden die Transportwege für die Tiere bis zum nächsten Schlachthof deutlich weiter. Das aber steht dem Tierwohl-Thema entgegen und verursacht zudem noch hohe Logistikkosten, die an die Verbraucher weitergegeben werden müssen.“
Kritik kommt daher auch von Michaela Kaniber, der bayerischen Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. „Unsere bayerischen und süddeutschen Rinderbetriebe stehen mit der Entscheidung des Bundeskartellamts erneut vor der Frage, wo in Zukunft die Tiere abgenommen werden. Wir wollen kurze Transportwege, eine sichere Ernährungsversorgung und die Wertschöpfung möglichst im eigenen Land behalten“, sagt die CSU-Politikerin. Und anstatt froh zu sein, dass ein deutsches Unternehmen Schlachthöfe übernimmt und in die Zukunft investiert, schiebe das Kartellamt den Riegel vor. „Dieser Schritt ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.“ Der Sektor stehe unter enormen internationalen Wettbewerbsdruck. „Umso wichtiger wäre für eine regionale Fleischversorgung die Erhaltung und Schaffung ausreichender Schlacht- und Verarbeitungskapazitäten“, so Kaniber.
Dass Schließungen befürchtet werden, liegt an der strategischen Neuausrichtung von Vion. Der Fünf-Milliarden-Euro-Konzern aus Boxtel in den Niederlanden will sich aus dem wettbewerbsintensiven deutschen Markt zurückziehen und sich stattdessen stärker auf die Benelux-Länder konzentrieren. Einzelne Standorte hierzulande wurden deswegen bereits mit Freigabe der Kartellbehörden verkauft. Die entsprechende Vereinbarung mit der Premium Food Group für den größten Batzen des Geschäfts, allen voran den Standorten Buchloe im Ostallgäu, Crailsheim in Franken und Waldkraiburg in Oberbayern, ist nun allerdings hinfällig.
Investitionsstau in den Vion-Werken
In einer ersten Stellungnahme bemüht sich Vion, keine Panik bei Lieferanten und Kunden aufkommen zu lassen. „Die Entscheidung hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Tagesgeschäft“, heißt es in einem Schreiben. „Auch wenn das Ergebnis anders ausgefallen ist als geplant, bin ich voll und ganz davon überzeugt, dass wir unsere Märkte bedienen können, während wir die Bewertung des Bundeskartellamts analysieren und die besten nächsten Schritte festlegen“, wird Tjarda Klimp zitiert, die Vorstandschefin der Vion Food Group.
Denkbar sind dabei zwei Szenarien: der Verkauf an einen anderen Interessenten oder ein Verbleib von Vion in Deutschland. Variante eins hält Branchenexperte Fischer für unrealistisch. „Dafür ist allein der Investitionsstau in den Werken zu groß.“ Auf über 150 Millionen Euro schätzt der Berater die notwendige Summe, um Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung auf einen Stand zu bringen, mit dem nachhaltig Geld verdient werden kann. „Diese Mittel hat keiner der nationalen Wettbewerber.“ Und internationale Konzerne hätten kein Interesse an einem Einstieg in den deutschen Markt. „Die würden allenfalls zuschlagen, um sich den Zugriff auf Rohware zu sichern.“ Das geschlachtete Vieh würde dann also zur Weiterverarbeitung ins Ausland gefahren und damit dem deutschen Markt entzogen. „Auch das wäre ein Rückschlag für die Kunden im Süden“, so Fischer.
Dass Variante zwei nach dem Kartellamtsentscheid zumindest nicht mehr ausgeschlossen scheint, zeigen weitere Aussagen von Vion im Pressestatement. „Das Transformationsprogramm des Unternehmens hat zu guten Ergebnissen seit Jahresbeginn geführt“, heißt es darin. So habe es eine erfolgreiche Refinanzierung gegeben, zudem seien die deutschen Gesellschaften profitabel, mit verlässlichen Ergebnissen. „Ich bin sehr stolz darauf, wie das Team in Deutschland im letzten Jahr während der Vorbereitung der Veräußerung gearbeitet hat“, lobt Konzernchefin Klimp. Branchenkenner Fischer glaubt trotzdem nicht an einen Rückzug vom Rückzug: „Dass Vion mit den in Deutschland verbliebenen Strukturen wettbewerbsfähig agieren kann, mag bezweifelt werden.“ Jedenfalls ohne weitere Investitionen, wie ein anderer Branchenbeobachter ergänzt: „Allein von der Substanz zu leben, ist nicht nur ein Problem für die Brücken in Deutschland.“ Ohne Modernisierung drohe ein Strukturbruch.
Zumindest in den nächsten Monaten dürfte aber erstmal alles beim aktuellen Status quo bleiben. Denn die vom Kartellamt ausgebootete Premium Food Group behält sich rechtliche Schritte gegen das Übernahmeverbot vor. Man prüfe nun die Begründung der Behörde und werde dann über mögliche Rechtsbehelfe entscheiden, heißt es vom Familienunternehmen aus Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen. Möglich ist eine entsprechende Beschwerde vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf. Das entsprechende Verfahren dürfte dann einige Monate dauern – und in einer solchen Phase der Rechtsunsicherheit wird kein anderer Investor aktiv.
Schon die Fusionskontrolle hat rund neun Monate in Anspruch genommen. Das Kartellamt hat dabei nach eigener Aussage umfangreiche Ermittlungen vorgenommen, bei Wettbewerbern und Kunden. Dazu hat es eine Auswertung der Erfassungsstrukturen von Schlachttieren anhand von Erfassungsdaten der Schlachthöfe sowie von Datenbanken des Bundes und der Länder gemacht. Das Ergebnis dieser Prüfung: „Der Zusammenschluss auf mehreren regionalen Schlachtmärkten in Süd- und Ostdeutschland würde zur Entstehung, beziehungsweise zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung von Tönnies führen.“ Experte Fischer sieht das kritisch und stellt den monierten Kartelleffekt auf den betreffenden Märkten infrage. „Es ist alles eine Frage der Marktabgrenzung.“
Gleichwohl hatten die Beteiligten bereits die Möglichkeit zu Verhandlungen und Nachjustierungen. Und die Partner haben auch Zugeständnisse gemacht, meldet das Kartellamt. „Die Vorschläge betrafen die Veräußerung und Verpachtung von Standorten an von Tönnies bestimmte Erwerber“, heißt es von der Wettbewerbsbehörde. „Aus Sicht des Bundeskartellamts waren diese Zusagen jedoch nicht geeignet, die Entstehung, beziehungsweise Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung auf den betroffenen Märkten abzuwenden.“ Dagegen gesprochen habe sowohl die konkrete Ausgestaltung der Zusagen als auch die fehlende Unabhängigkeit der geplanten Erwerber von der Premium Food Group.
Für Inhaber Clemens Tönnies wäre die geplante Übernahme wohl die Krönung seines Lebenswerks gewesen. Nun könnte sein Unternehmen mit zuletzt über 20.000 Mitarbeitern und fast acht Milliarden Euro Jahresumsatz aber auch noch auf anderem Wege versuchen, sich im bislang fragmentieren Rindfleischgeschäft an die Spitze des deutschen Marktes zu setzen. „Unabhängig von der Entscheidung werden wir alles dafür tun, unsere Rolle als verlässlicher Partner der Landwirtschaft in Süddeutschland zu stärken“, heißt es kryptisch aus dem Unternehmen. Beobachter werten das als Plan, bestehende Standorte in Altenburg und Kempten gezielt zu stärken und auszubauen und damit über organisches Wachstum zum Ziel zu kommen.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.