Token versprochen, aber nicht geliefert? Rücktritt, Rückgabe, Schadensersatz: So setzen Sie Ihre Rechte im Krypto-Vertragsrecht wirksam durch.
Wenn Smart Contracts scheitern
Der wachsende Bedarf nach Rückabwicklung im Krypto-Recht
Blockchain-Projekte sind dynamisch, global – und oft rechtlich kaum geregelt. Was in Whitepapern verheißungsvoll beginnt, endet für viele Start-ups, Investoren oder Entwickler in Streitigkeiten: Token werden nicht geliefert, technische Verpflichtungen nicht umgesetzt oder wirtschaftliche Versprechen nicht eingehalten.
Doch auch in der dezentralen Welt gilt das Zivilrecht.
Vertragsbruch
Wer Token verspricht und nicht liefert, macht sich vertragsbrüchig – mit allen Folgen.
Ein aktueller Fall aus der gerichtlichen Praxis zeigt:
Selbst komplexe Token-Deals lassen sich rückabwickeln.
Der Rücktritt vom ICO-Vertrag ist möglich – und oft wirtschaftlich geboten.
Fallbeispiel aus der Praxis
ICO-Vertrag, Tokenlieferung verweigert, Rückabwicklung durchgesetzt
Ein europäisches Technologieunternehmen hatte für die Einführung einer Blockchain-basierten Plattform ein Tokenprojekt gestartet. Im Rahmen eines ICO-Vertrags wurde ein Entwicklungspartner verpflichtet, unterstützende Token (XYZ-Token) bereitzustellen. Als Gegenleistung erhielt dieser 50 Millionen ABC-Token.
Als die Lieferung der versprochenen XYZ-Token unterblieb und vertragliche Leistungen ausblieben, erklärte das Unternehmen den Rücktritt – und verlangte die Rückübertragung der ABC-Token.
Die Gerichtsentscheidung
Das Landgericht bestätigte:
- Der Rücktritt war berechtigt.
- Die Rückgabe der Token ist technisch und rechtlich durchsetzbar.
- Selbst bei bestehenden Smart Contracts gilt das allgemeine Leistungsstörungsrecht nach BGB.
Fazit: Wer vertragliche Pflichten verletzt, muss mit Rückabwicklung rechnen – auch bei Tokens.
Juristische Grundlage
Rücktritt und Rückabwicklung bei Tokenverträgen
Die zentrale Norm ist § 323 BGB (Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung).
Erfüllt eine Partei ihre Pflichten aus dem ICO-Vertrag nicht – etwa durch:
- Nichtlieferung versprochener Token
- Verweigerung der technischen Übergabe
- Nichterfüllung wesentlicher Whitepaper-Ziele
- unterlassene Mitwirkung an Smart-Contract-Prozessen
kann die Gegenpartei nach Fristsetzung zurücktreten.
Die Folge: Rückabwicklung nach §§ 346 ff. BGB – also gegenseitige Rückgabe der empfangenen Leistungen, hier: der Token.
Auch im Blockchain-Kontext gilt das BGB
Viele Mandanten fragen: „Aber ist das überhaupt justiziabel – es läuft doch alles on-chain?“
Ja. Denn die Blockchain ist keine rechtliche Sondersphäre – sie ist eine technische Struktur, die Rechtsverhältnisse abbildet, aber nicht ersetzt.
Das bedeutet konkret:
- Smart Contracts sind keine „Verträge“ im juristischen Sinne – sondern ausführbare Protokolle.
- Die rechtlich bindende Vereinbarung ist das, was zuvor (schriftlich oder konkludent) geschlossen wurde.
- Wenn dieser Vertrag verletzt wird, greifen die bekannten Mechanismen: Rücktritt, Rückgabe, Schadensersatz.
Typische Konstellationen für Rückabwicklung im ICO-Bereich
- Token nicht geliefert / Wallet-Zugänge nicht freigegeben
→ Klare Leistungsstörung → Rücktritt möglich - Utility-Token ohne Funktion / Versprochene Plattform nie entwickelt
→ Sachmangel / Zweckverfehlung → Rücktritt möglich - Multisignatur-Freigabe verweigert / Entwickler unauffindbar
→ technische Sperre = Leistungsverweigerung - Vesting nicht eingehalten / Token vorzeitig transferiert
→ Bruch vertraglicher Nebenpflichten → ggf. außerordentliche Kündigung - Roadmap vollständig verfehlt / Exit der Gründer
→ Wegfall der Geschäftsgrundlage → Rückabwicklung möglich
Rückgabe von Token – wie funktioniert das technisch?
Auch wenn Token dezentral und pseudonym verwaltet werden, ist ihre Rückgabe technisch möglich. In der Praxis erfolgt sie über:
- Standard-Transfer an eine Rückgabewallet
- Freigabe per Multisignatur-Mechanismus (z. B. Gnosis Safe)
- On-Chain-Protokolle mit Reclaim-Funktion (z. B. Vesting-Verträge)
- gerichtlich angeordnete Mitwirkungspflichten
Tipp: Wer Rückgabemechanismen schon im Smart Contract vorsieht, reduziert spätere Beweisschwierigkeiten erheblich.
Vertragsgestaltung
So sichern Sie Ihr Projekt vor Rücktritt und Haftung ab
Ein ICO-Vertrag sollte immer enthalten:
- klare Definition der Tokenleistung (Art, Menge, Zeitpunkt)
- genaue technische Übergaberegelung
- Rückgabemechanismus für den Streitfall
- vertragliche Rücktrittsregelung bei Nichterfüllung
- Regelung der anwendbaren Rechtsordnung und des Gerichtsstands
Als Vertragsanwältin helfe ich Ihnen bei der Gestaltung solcher Verträge – präventiv und durchsetzbar.
Schadensersatz bei Tokenbruch
Wann möglich?
Neben Rücktritt und Rückgabe kann in ICO-Fällen auch Schadensersatz nach § 280 BGB geltend gemacht werden – etwa:
- für Kursverluste nach Tokenverweigerung
- entgangene Nutzungserträge
- technischer Integrationsaufwand
- reputationsschädigende Verzögerung
Zudem kommt Art. 82 DSGVO in Betracht, wenn personenbezogene Walletdaten rechtswidrig gespeichert oder verwendet wurden.
Hinweis aus der Aufsichtsperspektive
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich bereits 2019 ausführlich mit der rechtlichen Einordnung von tokenisierten Vermögenswerten beschäftigt.
Die Fachveröffentlichung bietet eine fundierte Übersicht zu:
– Arten von Token (Utility, Payment, Security)
– aufsichtsrechtlicher Qualifikation
– praktischen Anwendungsfeldern
– Grenzen und Risiken der DLT
Hier geht’s zur Veröffentlichung der BaFin: Tokenisierung von Vermögenswerten (2019)
Technische Perspektive auf Blockchain und Smart Contracts:
Das Fraunhofer SIT hat ein umfangreiches Positionspapier zur rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Bedeutung von Smart Contracts veröffentlicht.
Es beleuchtet u. a.:
– die strukturelle Funktionsweise von Smart Contracts
– typische technische Schwachstellen
– die Rolle menschlicher und rechtlicher Steuerung
– offene Forschungs- und Regulierungsfragen
Zur Fraunhofer-Studie: Blockchain und Smart Contracts
Rechtlicher Rahmen auf europäischer Ebene – MiCAR
Die Basis für klarere Verpflichtungen
Während die Durchsetzung Ihrer individuellen Rechte bei Vertragsbruch primär über das nationale Zivilrecht (wie das BGB in Deutschland) erfolgt, schafft die europäische Ebene mit der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR) den übergeordneten Rahmen, der zu mehr Klarheit und Sicherheit im gesamten Krypto-Markt der EU führt. MiCAR reguliert erstmals umfassend die Ausgabe, das öffentliche Angebot, den Handel und die Verwahrung digitaler Vermögenswerte und legt dabei Standards fest, die indirekt auch für die Gestaltung und Bewertung von Krypto-Verträgen relevant werden, insbesondere im Hinblick auf die Definition und Transparenz der versprochenen Leistung.
Sie schafft erstmals europaweit einheitliche Regeln, die auch für die Grundlage von Token-Verträgen relevant sind, indem sie:
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Klarere Definitionen schafft:
Unterscheidungen wie die zwischen Utility-, Asset-Referenced- und E-Geld-Token helfen, die Art der versprochenen Leistung – sei es ein einfacher Zugang zu einer Plattform (Utility), ein wertstabiles Asset (ART/EMT) oder ein komplexeres Recht – rechtlich besser einzuordnen. Dies ist für die Definition der vertraglichen Pflichten zentral.
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Emittenten zu mehr Transparenz verpflichtet:
Insbesondere die Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung eines Krypto-Whitepapers für Emittenten schafft eine wichtige Informationsgrundlage. Dieses Dokument muss transparent über das Projekt, die versprochene Funktion des Tokens und die Risiken informieren. Sofern dieses Whitepaper Vertragsbestandteil wird oder Grundlage der Willensbildung war, kann es als Beweismittel für die vertraglich geschuldete Leistung dienen – und somit die Feststellung eines Vertragsbruchs erleichtern.
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Standards für Dienstleister setzt:
Obwohl der direkte Vertragsgegner oft der Emittent ist, schafft MiCAR durch Lizenzanforderungen und Verhaltensregeln für Krypto-Dienstleister (CASPs) wie Handelsplattformen oder Verwahrer mehr Verlässlichkeit im Ökosystem.
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Den Verbraucherschutz stärkt:
MiCAR zielt auf eine Erhöhung der Marktintegrität ab und reduziert durch Aufsicht und Regeln das Risiko unseriöser Anbieter, die von vornherein nicht beabsichtigen, ihre Versprechen zu halten. Dies schafft zwar keine direkten zivilrechtlichen Ansprüche bei individuellen Vertragsbrüchen, aber es minimiert das allgemeine Risiko im Markt.
Zusammenfassend schafft MiCAR einen regulatorischen Unterbau, der die Grundlage für klarere Krypto-Verträge und verlässlichere Marktteilnehmer legt. Auch wenn die direkte Durchsetzung Ihrer Ansprüche bei Nichtlieferung von Token weiterhin primär über die Mechanismen des nationalen Zivilrechts (wie Rücktritt und Schadensersatz nach BGB) erfolgt, bietet der MiCAR-Rahmen wichtige Anknüpfungspunkte und erhöhte Transparenz, die die Geltendmachung Ihrer Rechte erleichtern können.
Mein Fazit
Token-Verträge sind keine rechtsfreien Räume.
Wer Token verspricht und nicht liefert, verletzt seine vertraglichen Pflichten – mit klaren Rechtsfolgen. Rücktritt, Rückgabe und Schadensersatz sind auch im Blockchain-Recht durchsetzbar – wenn man die technische Sprache juristisch sauber übersetzt.
Als spezialisierte Rechtsanwältin für Blockchain-Vertragsrecht helfe ich Ihnen, Ihre Ansprüche wirtschaftlich und rechtssicher durchzusetzen.
Sie haben einen ICO-Vertrag abgeschlossen – aber die vereinbarten Token nicht erhalten?
Oder ein Projektpartner erfüllt seine technischen Pflichten nicht?
Ich unterstütze Sie bei:
- der rechtlichen Prüfung Ihrer Verträge
- der Vorbereitung und Erklärung des Rücktritts
- der Durchsetzung der Token-Rückgabe
- der technischen und gerichtlichen Durchsetzung
Kontaktieren Sie mich jetzt für eine fundierte Einschätzung. Die Erstberatung ist kostenfrei.
Ich vertrete Mandanten bundesweit.
Weitere Informationen/ nützliche Links
BaFin: Tokenisierung von Vermögenswerten (2019)
Zur Fraunhofer-Studie: Blockchain und Smart Contracts
Zur offiziellen EU-Seite: Verordnung über Märkte für Krypto-Werte (MiCAR)
OLG Köln zu Bitcoin Pfändung
OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2024 – 11 W 15/24
Kryptowährungen im Insolvenzverfahren
Pfändbarkeit von Kryptowährung
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