Es ist wie so oft in Deutschland: Produkte, Plattformen und Marktmechanismen, die schon in anderen Ländern teilweise seit Jahren anstandslos zum Einsatz kommen, können bei uns juristische Komplikationen verursachen. Im Falle von Tiktok Shop sind die Bedenken aber durchaus nicht von der Hand zu weisen. Vor einigen Tagen hat Bytedance, das Unternehmen hinter der Plattform Tiktok in Deutschland nach langer Vorbereitung die Kombination aus Shoppable Videos und interaktiven Shopping-Livestreams gelauncht. Das Konzept des „Discovery E-Commerce“ soll somit Unterhaltung, Community und Entdeckung zu einem einzigartigen Shoppingerlebnis werden lassen, versprechen die Macher vollmundig.
Für die Unternehmen und Agenturen ist all das vielfach noch Neuland – denn trotz umfangreichem Engagement in den Werbeformaten bei Tiktok fehlen den meisten die aktiven Erfahrungen in Social Commerce – und auch bei Live-Formaten sind viele Marken auf dem Level des Teleshopping hängen geblieben. Insbesondere im Zusammenhang mit jungen oder jüngeren Zielgruppen und mit Impulskäufen im niedrigpreisigen Segment versprechen sich die Marketingexpert:innen viel von Tiktok Shop.
Tiktok Shop: vielfach rechtliche Grauzone
Ob der Hype gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. Klar ist aber bereits jetzt, dass es eine Reihe von Fragen im rechtlichen Kontext geben wird, die Unternehmen prüfen sollten, bevor sie sich bei Tiktok Shop engagieren. So warnt der Bundesverband E-Commerce (Buvec) vor Tiktoks E-Commerce-Erweiterung: „Fehlende Grundpreisangaben, nicht vorhandene Herstellerinformationen sowie eingeschränkte Artikelpflege-Optionen stellen für Händler eine rechtliche Grauzone dar.“ Aus Sicht des Verbandes ist Tiktok Shop aktuell noch nicht als vollwertige E-Commerce-Plattform geeignet, wenn man auf rechtssichere Prozesse, Transparenz und Datenstruktur angewiesen ist.
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In der Tat dürften besagte Probleme viele Unternehmen, die aktuell fleißig experimentieren – etwa Nivea /Beiersdorf, Süßwarenhersteller Hitschler, teilweise auch About you – betreffen. Es gibt dabei eine Vielzahl an Themen auf handelsrechtlicher Ebene und nicht zuletzt im Rahmen des Verbraucherschutzes, die Tiktok Shop betreffen und bei denen man die Einhaltung geltenden Rechts hinterfragen kann. Das beginnt bei Kennzeichnungspflichten von Inhaltsstoffen, betrifft weiterhin Beschaffenheiten etwa bei Lebensmitteln und endet noch lange nicht bei der korrekten Ausweisung von Grundpreisen.
Dass sich hier vor allem der Bundesverband E-Commerce (Buvec) in der Aufklärungspflicht sieht, ist verständlich. Es handelt sich dabei um eine Interessenvertretung, die insbesondere die Interessen kleinerer und mittlerer Händler:innen und E-Commerce-Marken gegenüber den Plattformen bündelt. Der Buvec ist trotz des ähnlichen Namens nicht mit dem Bundesverband E-Commerce & Versandhandel (Bevh) zu verwechseln, der das etablierte Sprachrohr des Onlinehandels aller Größen ist. Letzterer wiederum erklärt auf Anfrage, man beobachte Tiktok Shop natürlich ebenfalls, sehe es aber noch als zu früh an, den eigenen Mitgliedern klare Empfehlungen zu geben oder gar Warnungen auszusprechen.
„Die Plattform steht noch ganz am Anfang – und mit dem richtigen Druck der Community könnte sich Tiktok Shop in Zukunft zu einem ernsthaften Player entwickeln. Noch aber ist es eher ein spannendes Experiment als eine echte E-Commerce-Lösung“, erklärt Ronny Freitag, Vorstand im Buvec. Von der Hand zu weisen sind die Bedenken in der Tat nicht. Denn im Falle einer Abmahnung, etwa durch eine:n Mitbewerber:in kann Händler:innen und Markenverantwortlichen durchaus unangenehme und kostspielige Post ins Haus flattern. Der Hinweis, dass man all das ja nur mal ausprobiere, hilft da wenig. Daher sollten sich Händler:innen und vor allem Influencer:innen, die Waren bei Tiktok Shop verkaufen wollen, im Vorfeld juristisch beraten lassen.
Auch Tiktok als Plattform steht rechtlich im Feuer
Tiktok selbst wiederum hat auch eine Vielzahl an Pflichten gegenüber seinen Kund:innen und muss – ähnlich wie Temu oder Shein – sicherstellen, dass alle auf der Plattform vertriebenen Produkte über die Vertriebserlaubnis in Deutschland sowie über entsprechende CE-Konformität verfügen, ausreichende Nachweise im Hinblick auf Herstellung und Vertrieb erfüllen und, nicht zuletzt, dass alle Marken, die hier Produkte anbieten, die Lieferkette korrekt nachweisen können.
Ein besonderer Bereich sind hierbei die Jugendschutzthemen. Denn letztlich liegt es auch in der Verantwortung der Plattform und der beteiligten Payment Service Provider, sicherzustellen, dass beispielsweise Jugendliche nicht bei der Altersangabe tricksen oder gar ein Buy-now-pay-later-Geschäft auslösen können, das später in die Schuldenfalle führt. Das Geburtsdatum auf einer Karte ist hierbei beispielsweise kein ausreichendes Kriterium. Ein weiterer Bereich betrifft natürlich den Umgang mit Influencer:innen-Werbung (und deren Kennzeichnung) sowie die Konditionierung des Algorithmus, der in der Vergangenheit ja vielfach kritisiert wurde.
Immerhin ist Tiktok mit Abstand die Social-Media-Plattform mit der längsten Verweildauer seiner (oft minderjährigen) Nutzer:innen: Im Schnitt verbringen Nutzer:innen hier laut aktuellen Erhebungen (We are social Digital Report 2025) rund 35 Stunden im Monat, schauen durchschnittliche zehnmal am Tag in der Videoplattform vorbei.
Tiktok Shop bereits in anderen Märkten aktiv
Nun darf man einerseits Tiktok und Bytedance zugutehalten, dass einige der Themen durchaus auch in anderen Märkten, etwa Großbritannien, eine Rolle spielen. Klar ist aber auch, dass Tiktok innerhalb der EU einige Themen neu regeln muss, etwa die oben genannten Verpflichtungen. Man darf auch davon ausgehen, dass Politiker:innen und Verbraucherschützer:innen angesichts der Erfahrungen mit asiatischen Plattformen wie Temu, Shein und Wish hier eine Vielzahl an Punkten und Kriterien auf der Liste haben, nach denen sie die Plattform in den nächsten Wochen „abklopfen“.
Tiktok selbst gibt viele der hier genannten Themen naturgemäß in die Verantwortung der Händler:innen weiter. Demnach müssen sämtliche Produktlistings den TikTok-Shop-Richtlinien sowie den Community-Richtlinien entsprechen. Zur Durchsetzung dieser Richtlinien kommt eine Kombination aus Technologie und manueller Moderation zum Einsatz. Wie schlagkräftig diese Lösung ist, wird sich erst erweisen müssen – immerhin droht man Händler:innen, dass Produkte, die gegen die Regeln verstoßen, entfernt werden. Zudem betont Bytedance, der Schutz der Community sei ein fortlaufender Prozess, weshalb Richtlinien, Abläufe und Funktionen kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Spannend wird dennoch sein, was der Verbraucherzentrale Bundesverband und seine Landesverbände noch alles an Kritikpunkten formulieren werden, denn das wiederum betrifft die Endkund:innen. Hier ist, eine Woche nach dem Start, noch keine klare Positionierung zu finden, was aber nur eine Frage der Zeit sein dürfte. So rät der vzbv: „Verbraucher:innen sollten sich nicht allein auf die Produktpräsentation oder die vermeintlich authentischen Empfehlungen verlassen. Sie sollten auch einen Blick darauf werfen, wer die Produkte verkauft.“ Das alleine wird aber erfahrungsgemäß nicht ausreichen.