Lange Zeit mussten Wohnungseigentümer bei Fehlern in der Jahresabrechnung einen hohen Preis zahlen: Selbst kleine Rechenfehler oder unzulässige Kostenpositionen konnten nur durch eine Anfechtung des gesamten Abrechnungsbeschlusses korrigiert werden. Diese Praxis beruhte auf Urteilen wie dem des Landgerichts München I vom 13.07.2022 (Az. 1 S 2338/22), das eine Teilanfechtung ausdrücklich ausschloss. Auch das Landgericht Frankfurt am Main vertrat diese restriktive Linie, ließ höchstens in Ausnahmefällen eine differenzierte Betrachtung zu.
Die Folge: Schon bei Bagatellbeträgen mussten Eigentümer ein erhebliches Prozesskostenrisiko eingehen, weil sich der Streitwert nach der gesamten Abrechnungsspitze richtete. Das führte in der Praxis zu einer erheblichen Hemmschwelle, überhaupt gegen Fehler vorzugehen, und wurde von vielen Seiten als ungerecht empfunden.
Die Wende: BGH schafft neue Klarheit
Mit seinem Urteil vom 11. April 2025 (V ZR 96/24) hat der Bundesgerichtshof diese starre Rechtsprechung grundlegend geändert und das sogenannte Alles-oder-Nichts-Prinzip für die Anfechtung von Abrechnungsbeschlüssen aufgehoben. Künftig können Wohnungseigentümer gezielt einzelne, klar abgrenzbare Fehler in der Abrechnung anfechten, ohne dass gleich der gesamte Beschluss aufgehoben werden muss. Voraussetzung ist, dass die beanstandete Position rechnerisch selbstständig und isolierbar ist – etwa eine unzulässige Rücklagenentnahme oder ein klarer Verteilungsfehler. Zudem muss anzunehmen sein, dass die Eigentümer den Beschluss auch ohne die fehlerhafte Position gefasst hätten.
Der BGH orientiert sich dabei an der sogenannten Teilbarkeitsprüfung aus dem allgemeinen Vertragsrecht (§ 139 BGB analog): Ist ein Teil eines Beschlusses fehlerhaft, bleibt der Rest bestehen, wenn anzunehmen ist, dass die Eigentümer diesen auch ohne den Fehler beschlossen hätten.
Praxisbeispiel: Rücklagenentnahme als Zankapfel
Im entschiedenen Fall wurde ein Betrag von 10.000 Euro aus der Erhaltungsrücklage fälschlich auf die Eigentümer umgelegt. Der BGH stellte klar: Solche Rücklagenentnahmen sind verteilungsneutral und dürfen nicht in die Abrechnungsspitze einfließen. Die Anfechtung konnte sich daher gezielt auf diesen Betrag beschränken – der Rest der Abrechnung blieb wirksam.
Auswirkungen für Eigentümer und Verwaltung
Für Eigentümer bringt das Urteil erhebliche Vorteile: Sie können künftig einzelne Fehler isoliert angreifen, ohne das Kostenrisiko einer Komplettanfechtung tragen zu müssen. Der Streitwert richtet sich nur noch nach der Höhe der beanstandeten Position, was die Hürde für eine gerichtliche Klärung deutlich senkt. Gleichzeitig müssen Verwalter noch sorgfältiger arbeiten, da auch kleinere Fehler leichter angreifbar sind.
Die Eigentümergemeinschaft profitiert ebenfalls: Statt eine ganze Abrechnung neu zu beschließen, muss künftig nur noch über die fehlerhaften Positionen neu abgestimmt werden. Das spart Zeit, Aufwand und Geld.
Was bleibt von den Urteilen der Landgerichte?
Nicht alle Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung wurden durch das BGH-Urteil aufgehoben. Nach wie vor gilt zum Beispiel die Pflicht, bei größeren Instandhaltungsmaßnahmen mehrere Vergleichsangebote einzuholen – ein Punkt, den das LG München I besonders betont hatte. Auch die Regel, dass Anfechtungsklagen gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und nicht mehr gegen die einzelnen Eigentümer zu richten sind, bleibt bestehen.
Diskussion und offene Fragen
Die Entscheidung des BGH wird in der Fachwelt überwiegend begrüßt, da sie für mehr Gerechtigkeit und Praxistauglichkeit sorgt. Kritisch diskutiert wird allerdings, wann eine Kostenposition tatsächlich als „selbstständig“ gilt und wie Gerichte den hypothetischen Willen der Eigentümer im Einzelfall bewerten werden. Hier bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung auf die Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen reagiert.
Fazit: Mehr Gerechtigkeit und weniger Prozessrisiko
Mit seinem Urteil hat der BGH einen echten Paradigmenwechsel eingeleitet: Die gezielte Korrektur einzelner Fehler in der WEG-Abrechnung ist nun möglich, ohne dass die Gemeinschaft oder einzelne Eigentümer unverhältnismäßig belastet werden. Die Interessen aller Beteiligten werden besser ausbalanciert – ein wichtiger Schritt für mehr Rechtssicherheit und Fairness im Wohnungseigentumsrecht.
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