WEG-Recht | Bislang durften Jahresabschlüsse nur insgesamt angefochten werden. Dadurch kam es oft zu abschreckend hohen Streitwerten und Prozesskosten. Nun hat der BGH in einer bedeutenden Entscheidung klar gemacht: Wohnungseigentümer dürfen ihre Anfechtung auf einzelne, abgrenzbare Kostenpositionen beschränken.
1. Alte Rechtsprechung
Die Gerichte argumentierten bislang so: Eine Jahresabrechnung besteht aus vielen Einzelpositionen, die untrennbar zusammengehören. In der Eigentümerversammlung wird nicht über die Richtigkeit der einzelnen Rechnungsposten entschieden, sondern nur über die Abrechnungsspitze. Das ist der Saldo zwischen dem Soll- und Ist-Stand. Sobald nur eine einzige Rechnungsposition falsch ist, wirkt sich das unmittelbar auf das Gesamtergebnis aus. Deshalb muss immer die gesamte Abrechnung angegriffen werden.
2. Kritik an dieser Rechtsprechung
Gegen diese Rechtsprechung wurde immer wieder ein Haupteinwand vorgebracht: Durch die Anfechtung der gesamten Jahresabrechnung entstanden fast immer schwindelerregend hohe Streitwerte und damit einhergehend hohe Prozesskosten. Das Gesetz sieht in § 49 GKG vor, dass der Streitwert mit dem 7,5-fachen der auf den jeweiligen Eigentümer entfallenden Abrechnungsspitze anzusetzen ist. Bei einer Einzelabrechnung von zum Beispiel 3000,00 € ergibt das schon einen stattlichen Streitwert von 22500,00 €. Wollte der Eigentümer eigentlich nur eine fehlerhafte Abrechnungsposition in Höhe von 50,00 € angreifen, musste er dafür einen Streitwert über 22500,00 € in Kauf nehmen! Man sieht schon an diesem Beispiel, warum die bisherige Rechtsprechung als ungerecht empfunden wurde.
3. Das neue BGH-Urteil vom 11.04.2025
Nun hat der BGH diese Rechtsprechung mit Urteil vom 11.04.2025 aufgegeben (Az. V ZR 96/24). Beschlüsse zur Jahresabrechnung können von nun an teilweise angefochten werden und müssen nicht mehr als Ganzes vor Gericht gebracht werden. Das bedeutet konkret, dass man etwa einen oder mehrere Kostenpositionen unabhängig von der restlichen Jahresabrechnung angreifen kann. So ist es etwa möglich, sich explizit nur gegen die falsch berechneten Hausmeisterkosten oder Versicherungsbeträge zu wenden.
Eine solche Teilanfechtung des Jahresabschlusses ist nach dem BGH aber nur unter zwei Voraussetzungen möglich. Die Abrechnungsspitze muss eine rechnerisch selbstständige und abgrenzbare fehlerhafte Kostenposition enthalten. Außerdem muss anzunehmen sein, dass die Wohnungseigentümer den Beschluss auch mit dem unbeanstandet gebliebenen Teil der Jahresabrechnung gefasst hätten.
4. Praxisbeispiel
In dem BGH-Urteil hatte die Hausverwaltung Rechnungen für Instandhaltungsarbeiten aus der Erhaltungsrücklage beglichen und anschließend anteilig auf die Wohnungseigentümer umgelegt. Dieses Vorgehen ist aber fehlerhaft, da Entnahmen aus der Erhaltungsrücklage verteilungsneutral sind und nicht in die Abrechnungsspitze einfließen dürfen.
5. Fazit: Auswirkungen der neuen Rechtsprechung
Insgesamt hat der BGH mit seinem Urteil vom 11.04.2025 eine ausgewogene Lösung für einen wahren Dauerbrenner unter den WEG-Problemen gefunden. Das Kostenrisiko ist mit der neuen Teilanfechtung sowohl für Wohnungseigentümer als auch die Eigentümergemeinschaft wesentlich geringer. Auch die Interessen der Eigentümergemeinschaft sind nun besser geschützt: Bei einer teilweisen Anfechtung ist nun nicht mehr die gesamte Jahresabrechnung ungültig, sondern nur noch die einzeln angegriffene Kostenposition. Stellt das Amtsgericht die teilweise Ungültigkeit der Jahresabrechnung fest, muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nur über die unwirksamen Kostenpositionen neu entscheiden. Der Rest der Abrechnung bleibt wirksam.
Rechtsanwalt Simon Eisentraudt, 04.05.2025