Nach zwei Jahren mit Umsatzrückgang setzt die Küchenindustrie auf verhaltenen Optimismus. Während günstige Modelle weniger gefragt sind, läuft das Premium-Segment bestens – und der Trend zu hochwertigen Geräten hält an. Mit einem Auge blickt die Branche auch auf den Wohnungsbau.
Bernd Weisser versucht sich an der Quadratur des Kreises. Der Vorstandssprecher der Arbeitsgemeinschaft die Moderne Küche (AMK) will Zuversicht verbreiten für die zuletzt gebeutelte Branche, dabei aber nicht zu euphorisch wirken – was am Ende in der vagen Vorhersage mündet: „Wir sind verhalten positiv optimistisch.“
Dass solche Sätze eher zum klassischen Fußballersprech gehören als zum Management-Vokabular, ist Weisser bewusst. „Der Begriff ist blöd“, gibt er – kaum dass er ausgesprochen ist – bei der Vorstellung der Jahreszahlen für die Küchenbranche am Rande der Möbelzuliefermesse Interzum in Köln zu. Er wolle halt sagen, dass er zuversichtlich sei und die Lage positiv einschätze, es gleichzeitig aber noch immer Unwägbarkeiten gebe. „Ein weiteres schlechtes Jahr wird 2025 aber wohl nicht.“
Und das ist wichtig für die lange erfolgsverwöhnte Branche nach nun schon zwei Jahren mit rückläufigen Zahlen. Um deutliche 6,5 Prozent auf knapp 5,7 Milliarden Euro ist der Umsatz der deutschen Küchenindustrie 2024 eingebrochen, zeigen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Inlandsnachfrage war dabei mit Verlusten von 8,2 Prozent sogar überdurchschnittlich schlecht. Als Gründe führt die AMK-Führung die anhaltende Konsumzurückhaltung auf, dazu sinkende Baugenehmigungen und einen rückläufigen Wohnungsneubau.
Dass es nicht noch schlechter gelaufen ist, liegt an den oberen Zehntausend. „Die unteren Einkommensklassen waren zurückhaltend“, beschreibt Markus Wagenhäuser, der Experte für Elektrogroßgeräte bei dem Marktforscher NIQ, dem Zusammenschluss von NielsenIQ und GfK. „Wer über die aktuelle Lage hin-wegsehen konnte, hat dagegen trotzdem gekauft.“ Und zwar vorwiegend Premium. Das zeigt die Absatzstatistik von NIQ. Denn zulegen konnten 2024 allein die Verkäufe von Küchen im Wert von mindestens 20.000 Euro.
Um 8,5 Prozent ist der Absatz in dieser Kategorie gestiegen. Am anderen Ende der Skala gab es dagegen das größte Minus. In der Preisklasse unter 5000 Euro wurden 7,1 Prozent weniger Küchen abgesetzt. Und auch dazwischen gab es nur Verluste: 0,5 Prozent im Bereich von 5000 bis 10.000 Euro und 2,8 Prozent im Preissegment zwischen 10.000 und 20.000 Euro.
Unter dem Strich führen diese Marktbewegungen zu einem neuen Rekord beim Durchschnittspreis. NIQ taxiert ihn für 2024 bei 11.567 Euro. Der jeweilige Kommissionswert einer Küche umfasst dabei sowohl die Schränke als auch die Elektrogeräte, die Arbeitsplatte und die Montagekosten. Dass es in allen Bereichen Preiserhöhungen gegeben hat, ficht AMK-Chef Weisser nicht an.
Für den jüngsten Anstieg des Durchschnittspreises spiele das aber nur eine untergeordnete Rolle, sagt der Unternehmer, der im Hauptberuf Vertriebs-, Marketing- und Strategiechef von Nobilia aus Ostwestfalen ist, dem größten Küchenmöbelhersteller in Europa. „Wir sehen zurzeit eine grundsätzliche Wertverschiebung.“ Und dieser Trend werde nicht nur von den klassischen Premium-Anbietern im Markt bedient. „Alle Hersteller betreiben zurzeit ein Trading Up.“ Auch, weil sich die Küche zum Statussymbol entwickelt habe.
Gleichzeitig werden auch die Elektrogeräte wertiger. Marktforscher Wagenhäuser sieht zum Beispiel die Tendenz zu smarten Geräten, im Bereich der Kühlschränke zu großvolumigen und freistehenden Anlagen, in der Kochnische zu modernen Muldenlüftern statt klassischen Dunstabzugshauben, aber ganz grundsätzlich auch zu höheren Energieeffizienzklassen. „Die Konsumenten investieren gezielter in langlebige, effiziente und vernetzte Geräte“, sagt Wagenhäuser und spricht von einem „klaren Trend zu Qualität und Funktionalität“.
Aber auch farblich tut sich etwas. Bei Einbaubacköfen etwa dominiert mittlerweile die Farbe schwarz. 2024 lag der entsprechende Umsatzanteil bei fast 50 Prozent, meldet NIQ. Zwei Jahre zuvor waren es erst 26,4 Prozent. Verloren hat im Gegenzug Silber als Gerätefarbe: von 62 Prozent im Jahr 2022 auf zuletzt noch gut 43 Prozent.
Der Hochwerttrend hilft den Herstellern von Elektrogeräten, deren Marktumfeld sich 2024 immerhin leicht gebessert hat gegenüber dem Vorjahr – jedenfalls abseits des Küchenhandels. So meldet NIQ für Geschirrspüler, Kochfelder, Backöfen, Dunstabzugshauben und Co. Absatzsteigerungen bei Einzelverkäufen, etwa als Ersatz für kaputte und fehlerhafte Geräte.
Allein Kühl-Gefrierkombinationen lagen im Minus. In Kombination mit einem Küchenkauf sind die Zahlen dagegen zurückgegangen, zeigt die Statistik. „Viele Haushalte kaufen nahezu nur das, was sie müssen“, erklärt Marktforscher Wagenhäuser den Positiv-Ausschlag bei den Ersatzinvestitionen. Und da tue man sich bei einem einzelnen Gerät leichter als mit einer ganzen Küche.
Wobei der Bedarf bei den Möbeln eigentlich auch groß ist. Zwölf bis 15 Jahre wird eine Küche üblicherweise genutzt in Deutschland. Aktuell aber dehnen viele Haushalte diesen Durchschnittswert merklich aus. „50 bis 60 Prozent des Küchenmarktes sind reif für eine Erneuerung“, sagt AMK-Vorstand Weisser. „Im Thema Modernisierung steckt also riesiges Potenzial für die Branche.“
Seine bereits geäußerte Hoffnung auf Besserung bezieht sich aber nicht nur darauf. Auch beim Neubau glaubt er an eine Trendwende. „Die politische Kurskorrektur, sinkende Baupreise und angekündigte Investitionsmaßnahmen der neuen Bundesregierung lassen auf eine Erholung hoffen“, sagt der Nobilia-Geschäftsführer. Und jeder Neueinzug löse immerhin weitere zwei bis drei Umzüge und damit potenzielle Küchenkäufe aus.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.