Im US-Gesetz zur Steuerreform verbirgt sich ein Kapitel, das gravierende Konsequenzen für alle Ausländer hätte, die in US-Aktien investieren. Der Präsident könnte sie jederzeit mit drastischen Strafsteuern überziehen, weitgehend nach Gutdünken. Profi-Investoren schlagen Alarm.
Tief vergraben in dem über 1000 Seiten umfassenden Steuergesetz, das Präsident Donald Trump gerade durch den US-Kongress peitschen will, findet sich ein obskurer Abschnitt, der nun an der Wall Street, aber auch weltweit Alarm auslöst.
Der Abschnitt in dem Gesetzesentwurf firmiert als „Section 899“ und trägt den Titel „Durchsetzung von Rechtsmitteln gegen unfaire ausländische Steuern“ („Enforcement of Remedies Against Unfair Foreign Taxes”). Konkret sieht er eine Erhöhung der Steuersätze für Einzelpersonen und Unternehmen aus Ländern vor, deren Steuerpolitik die USA als „diskriminierend“ erachten. Dazu gehört auch die Erhöhung der Steuersätze auf passive Einkünfte wie Zinsen und Dividenden von Anlegern.
Analysten befürchten, dass dieses Gesetz, sollte es in Kraft treten, ausländische Investoren weiter vertreiben würde – und das zu einem Zeitpunkt, da ihr einst unerschütterliches Vertrauen in Staatsanleihen und andere US-Vermögenswerte bereits durch Trumps unberechenbare Handelspolitik und die sich verschlechternde Haushaltslage des Landes erschüttert ist.
„Wir haben es bereits mit einem Markt zu tun, in dem Staatsanleihen für ausländische Investoren wahrscheinlich nicht die attraktivste Anlage darstellen“, sagte Michael Brown, Stratege der Pepperstone Group, einer Investmentfirma in Melbourne, deren Kunden alle außerhalb der USA ansässig sind. Brown sagte, er habe so viele Anfragen besorgter Kunden erhalten, dass er kurzerhand einen Bericht erstellt habe, der die Maßnahme analysiert. Kurz gefasst lautet sie: Tritt das Gesetz in Kraft, ist das nur ein weiterer Grund, die Finger von US-Vermögenswerten zu lassen. Denn zu den potenziell Betroffenen zählen institutionelle Anleger, darunter Staatsfonds, Pensionsfonds und staatliche Stellen, aber eben auch Unternehmen und Privatanleger.
Die vorgeschlagene Steuer ist losgelöst von Trumps Handelsagenda, die er mit Zöllen durchzusetzen versucht und die gerade vor Gericht verhandelt wird. Die Stoßrichtung ist jedoch dieselbe, und ihre Ziele decken sich mit einigen der Positionen, die der Ökonom Stephen Miran in einem Papier vom vergangenen November dargelegt hat, sowie mit denen, die ein sogenanntes globales Mar-a-Lago-Restrukturierungsabkommen anstreben. Alle zielen darauf ab, der angeblichen unfairen Behandlung der USA durch den Rest der Welt mit gezielten Instrumenten entgegenzuwirken. Doch Sektion 899 könnte sich als Bumerang erweisen.
Die Bestimmung versuche, die US-Kapitalmärkte per Gesetz zu einer Waffe zu machen, die „den offenen Charakter der US-Kapitalmärkte infrage stellt, indem sie die Besteuerung ausländischer Beteiligungen an US-Vermögenswerten explizit als Druckmittel zur Förderung wirtschaftlicher Ziele der USA einsetzt“, sagt George Saravelos, Leiter der Devisenanalyse der Deutschen Bank. „Wir sind der Ansicht, dass dieses Gesetz der US-Regierung Spielraum eröffnet, einen Handelskrieg nach Belieben in einen Kapitalkrieg zu verwandeln.“
Absatz 899 zielt offenbar vor allem auf Länder wie Kanada, Großbritannien, Frankreich und Australien ab, die große Technologieunternehmen wie Meta mit „Digitalsteuern“ belegen. Aber auch in Deutschland hatte zuletzt Kulturstaatsminister Wolfram Weimer die Einführung einer solchen Steuer gefordert. Die Klausel zielt aber wohl auch auf Länder ab, die Bestimmungen eines länderübergreifenden Abkommens zur Mindestkörperschaftssteuer nutzen.
Die Maßnahme würde den Einkommensteuersatz auf US-Einkünfte von Anlegern und Institutionen mit Sitz in den betroffenen Ländern zunächst um fünf Prozentpunkte erhöhen und dann jährlich um weitere fünf Punkte bis maximal 20 Prozentpunkte über dem üblichen Satz.
Die Risiken im Zusammenhang mit Abschnitt 899 werden von einigen Analysten als noch gravierender angesehen, nachdem das US-Gericht am Mittwoch viele von Trumps Importzöllen zunächst blockiert hatte und weiterhin nicht klar ist, ob sie Bestand haben werden. Zölle gelten als eine wichtige Einnahmequelle zur Finanzierung von Trumps Steuersenkungen, einem zentralen Bestandteil seines „großen, schönen Gesetzes“, wie er das Steuergesetz nennt. Ohne sie stellt sich die Frage, woher die Regierung das Geld dafür nehmen soll.
Vor allem aber ist Sektion 899 nicht aus Versehen in das Gesetz gerutscht, so dass man glauben könnte, sie würde im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch revidiert. „Die Klausel wird von der Regierung eindeutig unterstützt und soll Trump ein Verhandlungsinstrument an die Hand geben, um Länder zur Abschaffung von Steuern auf digitale Dienste und von globalen Mindestkörperschaftssteuern zu drängen, die seiner Ansicht nach US-amerikanische multinationale Unternehmen ungerechtfertigt treffen“, schreiben die Ökonomen Will Denyer und Tan Kai Xian von Gavekal Research. „Das Problem ist, dass die bloße Existenz des neuen Instruments die Anleihemärkte verunsichern könnte, bevor Trump die Möglichkeit hat, es zu nutzen.“
Charles Myers, ein ehemaliger Wall-Street-Manager, der inzwischen die Anlageberatungs Signum leitet, ist daher ziemlich sicher, dass Abschnitt 899 in der endgültigen Fassung des Gesetzes enthalten sein wird „Wir glauben, dass der Präsident der Ansicht ist, dass das ausländische Investitionsinteresse in den USA so groß ist, dass keine Gefahr besteht, daran etwas zu verändern“, sagt er.
Das scheint auch die bisherige Reaktion der Finanzmärkte zu bestätigen – die bislang nämlich praktisch ausblieb. Für Brown von Pepperstone liegt der Grund dafür aber vor allem darin, dass die Anleger die Bedeutung der Klausel noch nicht vollständig erfasst hätten. Aber sie begännen, dies nun zu tun.
„Erst wenn sich der Staub gelegt hat, werden die Leute darüber nachdenken und merken, dass unter der Oberfläche des Gesetzesentwurfs vielleicht einige Dinge lauern, denen wir etwas mehr Aufmerksamkeit schenken sollten“, sagt Brown. „Und ich denke, dieser Abschnitt 899 gehört wahrscheinlich dazu.“
Bloomberg/fhs