Nach Jahren des Rückgangs nimmt die Zahl überschuldeter Menschen in Deutschland wieder spürbar zu. Betroffen sind dabei längst nicht nur junge Menschen oder Ältere mit geringer Rente.
„Die Wartezeiten auf unserer Warteliste betragen oft mehrere Wochen“, sagt Anke Lichte. Die Juristin leitet die Schuldnerberatung der Diakonie in Wuppertal und kennt die Probleme vieler Schuldner in ihrer Stadt. „Es ist nicht einfach, überhaupt auf die Warteliste bei uns zu kommen. Hier ist ein Anruf bei der Hotline nötig und da kommen viele schon nicht durch.“ Die zehn Mitarbeiter, darunter Juristen, Betriebswirte und Sozialarbeiter, sind voll ausgelastet. Die Warteliste für einen Termin ist lang.
Eine Entspannung beim Thema Überschuldung sieht sie nicht, im Gegenteil: „Allein 2024 haben wir 1.732 Beratungen durchgeführt, der große Teil davon waren Langzeitberatungen. Tendenz steigend.“
„Kaum noch eine Akte ohne Klarna“
Anke Lichte ist besorgt, wenn Ratsuchende bei ihr immer jünger und gleichzeitig immer älter werden: „Die steigende Altersarmut ist gerade bei den älteren Menschen spürbar, gleichzeitig kommen immer mehr sehr junge Überschuldete zu uns.“ Junge Menschen seien besonders anfällig für sogenannte Konsumschulden, erklärt Lichte.
Das sind Schulden, die zum Beispiel durch Online-Shopping entstehen. Dahinter steckten oft wirtschaftliche Unerfahrenheit und ein fehlendes Gefühl für Finanzen. Auch die ständige Werbung von Influencern auf Social-Media für Produkte, die mit einem Klick gekauft werden können, macht sich zunehmend bemerkbar. „Wir haben hier kaum noch eine Akte ohne Klarna.“ Anke Lichte fordert mehr finanzielle Bildung, schon bei jungen Menschen. Früher sei man in die Schulen gekommen und habe Unterrichtsstunden gegeben, heute fehle dafür das Geld, bedauert die Leiterin der Schuldnerberatung.
111.000 neue Überschuldete
Laut dem aktuellen Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform gelten derzeit 5,67 Millionen Erwachsene als überschuldet – rund 111.000 mehr als im Vorjahr. Das entspricht einem Anstieg um zwei Prozent. Es ist der erste Zuwachs seit 2018. „Nach sechs Jahren rückläufiger Zahlen kehrt die Überschuldung in Deutschland zurück. Die Trendwende ist da und sie kommt mit Ansage“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform.
„Nach Jahren des Angst-Sparens sind die finanziellen Puffer vieler Menschen schlicht aufgebraucht“, sagt Hantzsch. Creditreform erwartet, dass sich der negative Trend im kommenden Jahr fortsetzt. Steigende Zinsen, ein schwächerer Arbeitsmarkt und hohe Lebenshaltungskosten dürften die Situation weiter verschärfen. „Die Überschuldung droht wieder ein echtes gesellschaftliches Thema zu werden“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch.
Auch Menschen mit höherem Einkommen betroffen
Nicht nur klassische Risikogruppen seien betroffen. Erstmals seit Jahren steige die Zahl überschuldeter Verbraucher über fast alle sozialen Gruppen hinweg. Dabei sind auch Menschen mit mittlerem oder sogar überdurchschnittlichem Einkommen, die versuchen, ihren Lebensstandard nach Jahren des Verzichts durch Ersatz- oder Nachholkonsum zu halten.
Während Ältere zunehmend unter steigenden Lebenshaltungskosten und begrenzten Renteneinkommen leiden, geraten Jüngere durch Konsum, Kredite und Onlinekäufe ins Straucheln. „Mangelnde Finanzbildung und das heutige Konsumverhalten sind problematisch. Erst kaufen, später zahlen – das wird vielen zum Verhängnis“, sagt auch Anke Lichte aus Wuppertal. „Auch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder eine Sucht können Gründe sein, dass Menschen in die Schulden geraten.“
„Viele gehen zu spät zu uns“
Man sollte immer einen Überblick über seine Finanzen haben, die Post regelmäßig öffnen und abheften. Und wenn es wirklich nicht mehr geht, dann sollte man die Schuldnerberatung zur Hilfe zu holen. „Viele gehen zu spät zu uns. Immer dann, wenn man merkt, dass die Einnahmen die Ausgaben nicht mehr decken können. Dann ist das der späteste Zeitpunkt, eine Schuldnerberatung aufzusuchen“, sagt Anke Lichte. Man könne immer anrufen, wenn man Sorgen um seine Finanzen hat.
Ihre Arbeit sei wichtig und erfüllend, sagt Lichte. „Als Beispiel für eine Rückmeldung von Klienten kann ich eine Seniorin nennen, die sich, nachdem sie nun in unserer Beratung ist, diesen Sommer seit sehr vielen Jahren mal wieder ein Körbchen Erdbeeren kaufen konnte.“ Sie hofft, dass Menschen sich mehr und realistisch mit ihrer finanziellen Situation auseinandersetzen.

