Verspätete Zielvorgabe = Schadensersatz? Das BAG stärkt Arbeitnehmerrechte bei variabler Vergütung
In der dynamischen Arbeitswelt spielen variable Vergütungssysteme eine immer größere Rolle. Sie sollen Anreize schaffen, motivieren und zu Höchstleistungen anspornen. Doch was passiert, wenn der Arbeitgeber seinen Pflichten nicht nachkommt und die notwendigen Ziele verspätet oder gar nicht vorgibt? Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 19.02.2025 – 10 AZR 57/24 – openJur) setzt hier einen wichtigen Meilenstein und stärkt die Rechte von Arbeitnehmern.
Der Fall: Verspätete Ziele, entgangene Vergütung
Im Zentrum des Urteils stand der Fall eines Mitarbeiters in einer Führungsposition, dessen Gehalt maßgeblich von der Erreichung bestimmter Ziele abhing. Die Crux: Der Arbeitgeber versäumte es, rechtzeitig – d.h. zu Beginn der Zielperiode – sowohl Unternehmens- als auch individuelle Ziele zu definieren und dem Arbeitnehmer mitzuteilen. Stattdessen erfolgten vage Zielvorgaben erst, als bereits 75 % der relevanten Periode verstrichen waren.
Das BAG-Urteil: Pflichtverletzung und Schadensersatz
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar: Versäumt der Arbeitgeber schuldhaft die rechtzeitige Festlegung klarer und erreichbarer Ziele und kann die verspätete Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 BGB. Denn die rechtzeitige Zielvorgabe ist eine wesentliche arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitgebers, deren Verletzung zu einem finanziellen Schaden des Arbeitnehmers führen kann.
Was bedeutet das im Detail?
- Klarheit der Ziele (SMART-Kriterien): Ziele müssen Spezifisch, Messbar, Attraktiv (erreichbar), Relevant und Terminiert (zeitgebunden) sein. Vage oder unvollständige Zielvorgaben sind unzureichend.
- Rechtzeitigkeit der Zielvorgabe: Die Ziele müssen dem Arbeitnehmer so rechtzeitig mitgeteilt werden, dass dieser seine Arbeit entsprechend planen und ausrichten kann. Eine nachträgliche Anpassung der Ziele zur Bewertung bereits erbrachter Leistungen ist unzulässig.
- Individuelle Ziele nicht vergessen: Sind individuelle Ziele Bestandteil des variablen Vergütungssystems, müssen auch diese konkret festgelegt werden. Eine pauschale Festlegung der Zielerreichung ist in der Regel nicht zulässig.
- Dokumentation als Schutz: Arbeitnehmer sollten die Zielvorgaben und relevante Kommunikation sorgfältig dokumentieren, um im Streitfall ihre Ansprüche belegen zu können.
- Schadensersatzanspruch: Die variable Vergütung ist ein einklagbarer Teil des Gehalts. Bei Pflichtverletzung des Arbeitgebers besteht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen variablen Vergütung.
- Betriebsvereinbarungen beachten: Viele Unternehmen haben Betriebsvereinbarungen, die die Rahmenbedingungen für variable Vergütungssysteme regeln.
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer
- Fordern Sie klare und rechtzeitige Zielvorgaben ein: Setzen Sie Ihren Arbeitgeber schriftlich in Verzug, wenn die Zielvorgaben ausbleiben oder unklar sind.
- Dokumentieren Sie alle relevanten Informationen: Halten Sie fest, wann und wie Ihnen Ziele mitgeteilt wurden, und bewahren Sie E-Mails und andere Korrespondenz auf.
- Beziehen Sie den Betriebsrat ein: Der Betriebsrat kann Ihre Interessen gegenüber dem Arbeitgeber vertreten und auf die Einhaltung der Betriebsvereinbarungen achten.
- Lassen Sie sich rechtlich beraten: Im Streitfall können wir von LAW UNIQ Arbeitsrecht Ihre individuelle Situation prüfen und Ihre Ansprüche durchsetzen.
Fazit
Das BAG-Urteil ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte bei variablen Vergütungssystemen. Es unterstreicht die Pflicht des Arbeitgebers, klare und rechtzeitige Zielvorgaben zu schaffen, und eröffnet Arbeitnehmern bei Pflichtverletzungen Schadensersatzansprüche.
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