Ein Beitrag von Michael Böhler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Konstanz
Ein Rotlichtverstoß ist kein Kavaliersdelikt – das ist vielen Autofahrern bewusst. Doch was passiert, wenn man „nur ganz knapp“ bei Rot geblitzt wurde? Wer bei einer Ampel mit einer Rotzeit von bis zu 1,3 Sekunden geblitzt wird, sieht sich schnell mit der vollen Härte des Bußgeldkatalogs konfrontiert: 200 Euro Bußgeld, zwei Punkte im Fahreignungsregister (Flensburg) und ein Monat Fahrverbot. Aber sind diese Folgen in solchen Grenzfällen wirklich unumgänglich? Die Antwort: Nicht immer – unter bestimmten Umständen kann eine Rückrechnung der Rotzeit den Vorwurf entkräften.
Was ist ein qualifizierter Rotlichtverstoß?
Laut Bußgeldkatalog-Verordnung liegt ein qualifizierter Rotlichtverstoß vor, wenn ein Fahrzeug eine rote Ampel mehr als eine Sekunde lang missachtet. Der Unterschied zum sogenannten einfachen Rotlichtverstoß (unter einer Sekunde Rot) ist erheblich:
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Einfacher Rotlichtverstoß: 90 Euro, 1 Punkt (ohne Gefährdung)
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Qualifizierter Rotlichtverstoß: 200 Euro, 2 Punkte, 1 Monat Fahrverbot
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…mit Gefährdung: 320 Euro
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…mit Sachbeschädigung: 360 Euro
Die Sanktionen steigen mit der Rotzeit und den Begleitumständen – unabhängig davon, ob der Fahrer subjektiv noch „grün oder gelb gesehen“ hat.
Grenzfall: 1,0 – 1,3 Sekunden – lohnt sich ein Einspruch?
Ja, insbesondere wenn die Rotzeit knapp über einer Sekunde liegt. Denn in solchen Fällen besteht eine gute Chance, dass die Messung anfechtbar ist – vor allem dann, wenn der Fahrer kurz vor der Ampel stark beschleunigt hat.
Rückrechnung der Rotlichtzeit – was bedeutet das?
Moderne Rotlichtüberwachungsanlagen arbeiten mit Induktionsschleifen oder Lasersensoren. Sobald die Ampel auf Rot schaltet, beginnt ein Zeitmesser zu zählen, bis das Fahrzeug die Haltelinie überquert. Wird ein Verstoß registriert, fertigt die Anlage in der Regel zwei Fotos: eins beim Überfahren der Haltelinie, eins beim Einfahren in den Gefahrenbereich.
Ein erfahrener Sachverständiger kann anhand dieser Fotos und der Messdaten eine Rückrechnung vornehmen: Stimmt die ermittelte Geschwindigkeit mit dem Abstand zwischen den Aufnahmen überein? Ist die errechnete Rotzeit plausibel? Gab es Toleranzfehler? Solche Rückrechnungen sind besonders bei Rotzeiten zwischen 1,0 und 1,3 Sekunden erfolgversprechend.
Wann lohnt sich die Verteidigung?
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß kann unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich angegriffen werden:
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Wenn die Rotzeit nur knapp über 1 Sekunde liegt,
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wenn der Fahrer vor der Ampel stark beschleunigt hat (z. B. nach einem Ampelstart aus der Nebenspur),
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wenn Zweifel an der Messmethode oder technische Ungenauigkeiten bestehen (z. B. fehlerhafte Induktionsschleife, unzulässige Eichung),
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oder wenn ein Härtefall geltend gemacht werden kann (z. B. berufliche Existenz bei Fahrverbot gefährdet).
In diesen Fällen ist die frühzeitige Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Spezialisierung im Verkehrsrecht entscheidend. Nur durch Akteneinsicht lassen sich die Rohmessdaten und Fotodokumentationen prüfen – meist Voraussetzung für ein Gutachten zur Rückrechnung.
Kommt der Sachverständige zum Ergebnis, dass die Rotzeit auch unter einer Sekunde gelegen haben kann, ist der Verstoß nur als einfacher Rotlichtverstoß zu ahnden.
Fazit:
Eine Rotzeit von bis 1,3 Sekunden löst grundsätzlich die Sanktionen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes aus. Doch gerade in solchen Grenzfällen kann sich ein Einspruch lohnen – vor allem, wenn der Fahrer stark beschleunigt hat und Zweifel an der Messung bestehen. Die Rückrechnung der Rotzeit durch einen Sachverständigen kann im Einzelfall den Ausschlag geben. Wer mit einem Monat Fahrverbot konfrontiert ist, sollte die Möglichkeiten der Verteidigung kennen – und nutzen.
Sie wurden bei Rot geblitzt?
Gerne prüfe ich als erfahrener Verteidiger in Bußgeldsachen Ihren Fall auf Verteidigungsmöglichkeiten – von der Rückrechnung der Rotzeit bis zur Härtefallargumentation.