Strafbar oder Meinung: „Rote Null“, „Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert“
Hier der Sachverhalt:
Ein Mann wendete sich mit einem Brief im Jahre 2017 an die Finanzverwaltung. Innerhalb dieses Briefes äußerte sich der Mann kritisch über die Steuerpolitik und bezeichnete den damaligen Finanzminister Nordrhein- Westfalens als „rote Null“ sowie „Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert“.
Die Strafgerichte verurteilten den Mann wegen Beleidigung, über 3 Instanzen hinweg.
Der Mann wendete sich darauf an das Bundesverfassungsgericht. Wegen nicht hinreichender Berücksichtigung seines Rechtes auf Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hob die Verurteilung wegen Beleidigung auf und stellte fest, dass die Strafgerichte die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nur unzureichend berücksichtigt haben. Das Strafgericht hatte es nämlich verabsäumt sorgfältig zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen – dem Finanzminister – und dem Recht auf Meinungsfreiheit des äußernden abzuwägen, BverfG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 1094/19.
Das Bundesverfassungsgericht führt aus:
„Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts(vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Der Beschwerdeführer positioniert sich hier mit den Begriffen „rote Null“ und „Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert“ zur Amtsführung des Finanzministers und möglicherweise auch zu dessen Person. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallende Äußerung an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.“
Anzumerken ist, dass diese Äußerungen im Äußerungskontext von der Meinungsfreiheit als gedeckt angesehen worden sind, zumal die Äußerungen im Bereich der Machtkritik getätigt worden sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat danach in nachvollziehbarer Weise das Recht auf Meinungsfreiheit über das Persönlichkeitsrecht einer Person gestellt, die im Lichte der Öffentlichkeit politisch wirkt.
Neuere Tendenzen:
Hingewiesen werden soll auch darauf, dass sich bei Meinungsäußerungen über Politiker und zu Handlungen von Politikern das gesetzliche Umfeld geändert hat, seit 2023, mit Einführung des § 188 StGB. Diese Norm bestimmt, dass bei Beleidigungen von Politikern schärfere Strafen möglich sind, als bei Beleidigungen anderer Personen. So ist hier eine Strafe von bis zu 3 Jahren vorgesehen. Dagegen ist bei Beleidigungen von Nicht-Politikern eine Höchststrafe von bis zu 2 Jahren vorgesehen, § 185 StGB. Gründe für diese Unterschiede: Für diese Strafverschärfung wird vorgebracht, dass mit der Beleidigung nicht nur die Person angegriffen wird, sondern auch die Funktion der jeweiligen Person als Politiker. Der damaligen Regierung kam es darauf an, dadurch die Demokratie zu stärken.