Als Motatos im April 2020 in Deutschland an den Start ging, hatten wir gerade Pandemie. Kein guter Zeitpunkt für einen Launch – auch wenn die Ausgangslage damals dem Onlinehandel in die Hände gespielt haben könnte. Dennoch: Fünf Jahre gibt es den Onlinesupermarkt für „gerettete Lebensmittel“ bereits, was nicht jeder Lebensmittellieferdienst schafft.
Das Unternehmen, das aus Schweden kommt und dort bereits 2014 gegründet wurde, wies im letzten Jahr 87 Millionen Euro Umsatz aus, immerhin 17 Prozent mehr als im Jahr davor. 28 Millionen Euro machte man bereits im der DACH-Region, die nach den skandinavischen Ländern der größte Markt ist. Man sei bereits rentabel, erklärt das Unternehmen, das im letzten Jahr ein automatisiertes Lager für den deutschen Markt eröffnete. Automatisierung in der Logistik ist auch hier (wie bei anderen Lebensmittellieferdiensten) der Schlüssel zum langfristigen Wachstum. Wie gut die funktioniert, dazu später mehr.
Das Konzept von Motatos ist einfach und klingt erstmal gut: „Wir retten, Du sparst.“ Das fühlt sich nachhaltig an, irgendwie auch spannend. Umso mehr ein Grund, einmal auszuprobieren, wie das inzwischen international erfolgreiche Konzept in der Praxis funktioniert und wo die Schwierigkeiten liegen.
Dish of the day: Angebote wechseln – das ist das Konzept
Das Angebot auf der Website variiert – je nachdem, was gerade an Überproduktionen von Herstellern von Oreo bis Lindt, von Maggi bis Heinz, von Barilla bis Bonduelle verfügbar ist. Überraschend wirkt das Angebot, das zur Auswahl steht, jedoch auch in anderer Hinsicht: Das Gros sind Lebensmittelsonderposten aller Art, die vor allem lang haltbar sind. Neben den Massenprodukten gibt es aber durchaus etwa bei Gewürzen und Süßwaren auch einige hochpreisige Marken, die man nicht in jedem Supermarkt findet. Durchaus möglich, dass man so die eine oder andere Brand entdeckt und ausprobiert, die man nicht kannte – das kommt einem sowohl als Kund:in zugute, dürfte aber auch ein Argument für Hersteller sein, die neue Käufer:innenschichten erschließen können.
Dazu gibt’s allerdings auch einiges an Haushaltsprodukten vom Müslispender bis zur Wokpfanne – so richtig logisch im Sinne von „Lebensmittel retten“ ist das dann nicht mehr, aber durchaus nachvollziehbar. Insgesamt erinnert das Angebot bei Motatos dennoch mehr an den etwas überraschend sortierten Supermarkt als an einen der Restpostenläden im Hinterhof.
Bestellung: Interessanter und spannender als der Gang zum Supermarkt
Am Wochenende schauen wir uns auf der Website um. Nicht nur der Sohn ist Feuer und Flamme – bestimmte Sondereditionen von Süßwaren, Chips und asiatischen Saucen. Die findet man nicht überall. So macht Einkaufen vom Sofa aus Spaß – und hat deutlich mehr von Entdeckungsreise als der Gang zum Supermarkt.
Die exakten Mindesthaltbarkeitsdaten stehen bei den Waren dabei – so kann jeder selbst entscheiden, wie pingelig man jeweils sein will. Die meisten der Produkte sind knapp oder weniger knapp vor dem Haltbarkeitsdatum, einige aber auch erst in zwölf Monaten fällig. Hierbei handelt es sich offenbar um Auslistungen oder Überproduktionen, deren Lagerung mehr Geld kosten würde und für die offenbar in der eng getakteten Logistikinfrastruktur vieler Lebensmittelkonzerne kein Platz ist. Darüber hinaus gibt es immer mal wieder Überraschungspakete, die vor allem all das enthalten, was hinter den Nachfrageerwartungen bei Motatos zurückgeblieben ist.
Interessant ist auch eine Grafik, die wir allerdings erst auf dem Lieferkarton finden. Sie erklärt, wie lange (oder kurz) Lebensmittel auch nach Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums noch genießbar sein dürften. Danach wäre etwa die bestellte Schokolade schon „drüber“, was sie definitiv nicht ist.
Schneller Versand und gute Logistik
Die Kund:innen können zwischen Versand via DPD oder DHL wählen – Letzteres kostet einen Euro mehr. Ob der Aufpreis angesichts der Verantwortung durch den Händler auf dem Weg zu den Kund:innen gerechtfertigt ist, bleibt zu diskutieren. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Kund:innen die teurere Variante wählen. Wir entscheiden uns für die Lieferung via DHL. Die kommt jedenfalls zügig, rund vier Tage nach der Bestellung am Wochenende. Dazwischen einige Statusmails, vorbildlich und natürlich auch entlastend für den Versender, der die Kund:innen auf dem Laufenden hält. Rund 10 Kilogramm Lebensmittel, etwa zwei Dutzend Artikel – vieles davon hätte man nicht im örtlichen Lebensmittelladen gefunden.
Das Auspacken fällt dann leider etwas ernüchternd aus. Die 500 Gramm Lindt-Pralinen in einer dünnen Pastiktüte, die schon aufgerissen ist. Die Pralinen sind teilweise im Paket verteilt und ergeben eine ungute Mischung mit den Kesselchips, von denen ebenfalls bereits eine Tüte gerissen ist. Ganz lässt sich nicht nachvollziehen, ob die Ware beim Zufalten des Pakets so stark gedrückt wurde, dass die Tüte aufgeplatzt ist – einiges deutet darauf hin. Der etwas fade Beigeschmack in doppelter Hinsicht bleibt. Ansonsten ist aber alles wie beschrieben – auch im Hinblick auf die Mindesthaltbarkeitsdaten.
Professionell ist immerhin der Umgang mit dem Problem: ein gut auffindbarer Punkt in den FAQ, ein einfacher Workflow, der die wichtigsten Daten in wenigen Schritten sowie ein Bild dazu einfordert – und am folgenden Tag der Hinweis, man werde hier unkompliziert eine Erstattung vornehmen. Die ist allerdings auch knapp zwei Wochen später noch nicht erfolgt.
Nachhaltig – und dennoch diskutabel
Positiv zu bewerten auch: Die Gläser und Glasflaschen werden gut und nachhaltig in geriffelter Kartonage verpackt – das wirkt durchdacht und das haben wir bei anderen Lebensmittelstartups schon deutlich weniger elegant gesehen. Der Rest ist wie versprochen und unbeschädigt, das automatisierte Konfektionieren der Pakete funktioniert demnach – und die schnelle Lieferfrist deutet darauf hin, dass die Logistikprozesse durchdacht sind. Anders wäre ein solches Konzept wohl auch nicht dauerhaft rentabel, wie Gespräche mit Verantwortlichen im E-Commerce immer wieder zeigen.
Nachhaltig mag das Ganze, so rechnen die Gründer vor, durchaus sein. Denn im Sinne des CO2-Verbrauchs ist es durchaus zu begrüßen, wenn die überproduzierten Lebensmittel nicht vernichtet werden müssen. Und wahrscheinlich (es gab hier tatsächlich Studien mit unterschiedlichem Ausgang in den vergangenen Jahren) ist es auch eine gute Idee, wenn wir nicht alle zum Supermarkt fahren müssen und uns die Ware ins Haus gebracht wird. Ist es wirklich sinnvoll, eine Palette mit 15 Dosen Softdrinks oder zwölf Konservendosen eines Fertiggerichts per Lieferdienst durch die halbe Republik schicken zu lassen? Wahrscheinlich ist das im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck gar nicht mal so problematisch – und doch widerstrebt es mir.
Lebensmittel retten geht auch vor Ort
Und damit sind wir schon bei einem zweiten Punkt. Denn das Retten von Lebensmitteln suggeriert, dass die Waren dort besonders günstig sind. Wer mit Hilfe einer App für Lebensmittelpreise vergleicht, stellt schnell fest, dass die Ersparnis jeweils anhand der unverbindlichen Preisempfehlung ermittelt wird. Das ist zwar prinzipiell okay, zeigt aber, dass manches dennoch bei den Lebensmittelketten von Rewe bis Edeka, vor allem aber von Aldi bis Lidl günstiger ist. Das Argument, dass man bei Letzteren vieles nur als Aktionsware oder Sonderposten findet, ist prinzipiell richtig, aber das ist ja sogar eine Parallele zu Motatos.
Würde ich dort wieder bestellen? Höchstwahrscheinlich schon – aber ehrlicherweise nicht so sehr unter dem Aspekt des Rettens von Lebensmitteln als mehr, um einige Sondereditionen, neue Produkten und Hersteller zu entdecken. Denn wer Lebensmittel retten will, sollte sein Glück eher vor Ort versuchen. Immer mehr Supermärkte bieten für günstiges Geld Rettertüten oder spezielle Sonderangebote kurz vor dem MHD-Ablauf an. Und wer das für sich als finanziell nicht opportun empfindet, weil er oder sie niemandem etwas wegnehmen will, der es nötiger hat, sollte die örtliche Tafel durch eine Spende unterstützen oder das anderweitig kompensieren.
Dennoch kann man Motatos nicht vorwerfen, nur auf der Welle rund ums Retten von Lebensmitteln Marketing zu betreiben. Denn die Überproduktionen, die es seitens der Lebensmittelhersteller nicht mal in die Läden schaffen, gibt es ja tatsächlich. Diese Praxis ist das eigentlich Verwerfliche an dem gesamten Geschäft mit den „(too) fast moving consumer goods“. Dass Motatos (und einige andere Restpostenhändler:innen, die das weit weniger prominent ebenfalls im Internet tun) dieses Geschäft kanalisieren, ist vernünftig und lobenswert.