In einer richtungsweisenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass Arbeitgeber bei Widerruf der privaten Dienstwagennutzung während der Freistellung nicht allein ihr vertragliches Recht durchsetzen dürfen, sondern das „billige Ermessen“ (§ 315 BGB) wahren müssen. Ein im Mai 2023 entzogener Dienstwagen führte beim Arbeitnehmer zu steuerlichen Nachteilen – und brachte ihm jetzt vor dem BAG eine anteilige Nutzungsausfallentschädigung ein.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Der Kläger war vom 20. Oktober 2022 bis 31. August 2023 als kaufmännischer Leiter eingestellt. Sein Arbeitsvertrag sicherte ihm ein Mittelklassefahrzeug zu, das er auch privat nutzen durfte. Die Beklagte zog diese Privatnutzung mit Schreiben vom 8. Mai 2023 zurück und forderte das Fahrzeug bis zum 24. Mai zurück. Der Kläger gab den Wagen am 23. Mai ab und machte anschließend Nutzungsausfallentschädigung geltend – netto rund 1.508 € für Mai bis August 2023. ArbG und LAG Köln wiesen die Klage zunächst ab; das BAG hob das LAG-Urteil nun teilweise auf und sprach dem Kläger 137,10 € brutto für die Zeit vom 23. bis 31. Mai 2023 nebst Zinsen zu.
Vertragliche Widerrufsklausel und AGB-Kontrolle
Das BAG bestätigte zunächst die Wirksamkeit der in § 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags enthaltenen Widerrufsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung. Sie nennt klar den Widerrufsgrund („freigestellt während der Kündigungsfrist“) und ist transparent: Arbeitnehmer können den finanziellen Nachteil (1 % Listenpreis) exakt kalkulieren. Solche Klauseln bedürfen nach § 308 Nr. 4 BGB keiner Ankündigungsfrist, unterliegen aber der materiellen Inhalts- und Ausübungskontrolle.
Freistellung rechtfertigt Widerruf – aber nicht beliebig
Ein sofortiger Entzug des Dienstwagens bei Freistellung ist grundsätzlich zulässig, wenn der Arbeitnehmer keine dienstlichen Fahrten mehr ausführt. Die Beklagte war aufgrund einer betrieblichen Umstrukturierung berechtigt, den Kläger ab 12. Mai 2023 freizustellen und damit die Freistellungsvoraussetzung für den Widerruf zu schaffen. Die reine Wortlautkontrolle reicht jedoch nicht aus – die Art der Ausübung bedarf einer Billigkeitsprüfung.
Billigkeitskontrolle (§ 315 BGB) und steuerliche Besonderheit
Der entscheidende Knackpunkt war, dass die 1-%-Regelung für die Dienstwagenbesteuerung stets monatsweise greift (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Rückgabe am 23. Mai führte dazu, dass der Kläger den vollen Mai versteuerte, aber nur neun Tage nutzen konnte. Diese steuerliche „Vollbelastung ohne Vollnutzung“ verletzte das Gebot des billigen Ermessens. Nach BAG-Rechtsprechung muss der Arbeitgeber bei Ausübung eines Leistungsänderungsrechts die Nachteile für den Arbeitnehmer angemessen abwägen; die Folge: Widerruf erst zum Monatsende.
Praxistipps für Arbeitgeber
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer
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Rechtzeitig reagieren: Fordern Sie bei vorzeitiger Rückgabe schriftlich Nutzungsausfallentschädigung (§ 280 I, § 283 BGB) an, am besten binnen weniger Wochen nach Rückgabe.
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Steuerliche Argumente nutzen: Machen Sie auf die monatsweise Pauschalbesteuerung nach § 6 I Nr. 4 EStG aufmerksam.
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Fristen wahren: Verzichten Sie nicht auf rechtzeitige Klageerhebung – der Schadensersatzanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist (drei Jahre).
Ausblick
Mit dem Urteil 5 AZR 171/24 unterstreicht das BAG, dass vertragliche Widerrufsvorbehalte im Arbeitsrecht zwar grundsätzlich durchsetzbar sind, ihre konkrete Anwendung aber an das Gebot des billigen Ermessens gebunden bleibt. Insbesondere steuerrechtliche Nebeneffekte (vollständige Monatsversteuerung bei unvollständiger Nutzung) können eine Auslauffrist zum Monatsende erzwingen. Arbeitnehmer erhalten damit ein zusätzliches Instrument, um bei vorzeitiger Entziehung von geldwerten Vorteilen Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Arbeitgeber sollten ihre Dienstwagenregelungen jetzt überprüfen und an die Entscheidung anpassen.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der Kanzlei JURA.CC ist auf das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht spezialisiert.
Er berät und vertritt sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber bei der Gestaltung und Verhandlung von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Kommt es zu einer Kündigung, übernimmt er – falls erforderlich – auch die gerichtliche Vertretung im Rahmen einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Ziel ist dabei stets eine interessengerechte Lösung: Für Arbeitnehmer kann dies etwa die Durchsetzung einer angemessenen Abfindung, ein wohlwollendes Arbeitszeugnis oder die Rücknahme der Kündigung und Weiterbeschäftigung sein; Arbeitgeber unterstützt er bei rechtssicheren Kündigungen, der Vermeidung langwieriger Prozesse und der Gestaltung von fairen Einigungen.
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