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Die Neugestaltung des DAX wirft ein Schlaglicht auf die dramatischen Umbrüche in der Wirtschaft. Der Rauswurf der Porsche-Aktie steht für die Krise der Industrie. Welche Folgen kann die noch haben?
Es ist noch keine drei Jahre her, als die Porsche AG mit viel Tamtam an die Frankfurter Börse ging und einen der größten Börsengänge seit langem aufs Parkett legte. Doch mit den gravierenden Absatz-Problemen vor allem in China und dem Einbruch der Verkaufszahlen setzte auch der Abstieg der Aktie des Sportwagenherstellers ein. In nur zwölf Monaten verlor sie rund ein Drittel an Wert.
Wirtschaft vor dramatischem Wandel
Viele Beobachter sehen darin ein Spiegelbild für den dramatischen Wandel in der gesamten deutschen Industrie. „Das steht auf jeden Fall sinnbildlich für die deutsche Wirtschaft, für die deutsche Industrie, für die deutsche Automobilindustrie, nämlich insofern, dass wir ja schon seit längerer Zeit eine De-Industrialisierung oder eine Schwäche unserer starken Industrie haben“, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt Deutschland der ING Bank. Ursache sind aus seiner Sicht der scharfe Wettbewerb aus China, zu hohe Standortkosten in Deutschland, aber auch die amerikanischen Zölle.
Weit über 50.000 gut bezahlte Jobs sind in diesem Jahr allein in der deutschen Automobilindustrie weggefallen, so eine Studie der Unternehmensberatung EY – ein Trend, der sich weiter fortsetzt und damit auch die Arbeitslosenquote wieder antreibt. Jahrelang war der Arbeitsmarkt trotz aller Probleme stabil. Das ändert sich jetzt. Nicht nur im Kfz-Bereich, auch in anderen wichtigen Branchen sieht es schlecht aus: Im wichtigen Standbein Maschinenbau stehen viele Unternehmen vor heftigen Einschnitten.
Gehen noch mehr Firmen ins Ausland?
Zu schaffen macht ihnen Billig-Konkurrenz aus China, aber vor allem die Zoll-Politik von US-Präsident Donald Trump. Im Chemie-Geschäft ist der Job-Abbau ebenfalls dramatisch und nimmt weiter zu, analysiert Robert Halver von der Baader Bank: „Wenn es so weiter geht im Status quo werden wir noch mehr Firmen sehen, die Deutschland verlassen“, befürchtet der langjährige Finanzmarkt-Beobachter.
Mit Blick auf den hohen Kostenfaktor Energie, der für die Chemie-Branche von entscheidender Bedeutung ist, hat er auch nur wenig Hoffnung: „Man muss es ja auch mal brutal formulieren: selbst wenn wir unsere Energiekosten um die Hälfte reduzieren würden, wäre Amerika immer noch wettbewerbsfähiger in Energiefragen.“
Energie, das sind die Arbeitskosten der Zukunft, sagt Halver und verweist auf das Beispiel Künstliche Intelligenz, die massive Energie-Ressourcen verschlingt. „Die Firmen schauen dann natürlich auch, dass sie überleben. Und wenn sie das Gefühl haben, dass das in Europa und speziell Deutschland immer schwieriger wird, dann haben wir ein Problem.“
„Wo soll das Geld denn herkommen?“
Welch verheerende Auswirkungen die De-Industrialisierung hat, zeigt das Beispiel Großbritannien. Schon zu Zeiten von Premierministerin Margaret Thatcher wurde in den 1980er-Jahren die britische Industrie zerschlagen. Die britische Regierung setzte auf den Dienstleistungssektor – in der Hoffnung, dort das große Rad zu drehen. Doch diese Strategie hat dem Land schwer geschadet. Heute steht das Vereinigte Königreich wirtschaftlich am Abgrund. Die Sozialsysteme sind marode, im Nationalen Gesundheitsdienst wartet man teilweise Jahre auf dringende Operationen, weil kein Geld mehr da ist.
Dieses Geld sei früher in der Industrie verdient worden, so Robert Halver von der Baader Bank: „Facharbeiter-Jobs, das sind ja tolle Jobs, auch mit hohen Steuern und Sozialabgaben, die unsere Systeme finanzieren. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, wo soll das Geld denn herkommen?“
Weniger Industriejobs, mehr Dienstleistungen
Welche negativen Konsequenzen langfristig der Abbau gut bezahlter Arbeitsplätze für das gesamte System eines Staates hat und zu welchen politischen Verwerfungen dies führen kann, zeigt letztendlich auch das Beispiel USA. Während in Deutschland noch 20 Prozent der Jobs an der Industrie hängen, sind es in den Vereinigten Staaten nur noch sieben Prozent. Diesen Umstand will US-Präsident Donald Trump jetzt mit Brachialgewalt ändern. „In den USA ist genau das passiert. Die Industrie-Jobs sind verschwunden und es ging in die schlechter bezahlten Dienstleistungsberufe“, sagt Stefan Riße, von der Vermögensverwaltung Acatis.
Und er mahnt: Deutschland sei gut beraten, dringende Probleme wie die marode Infrastruktur, hohe Energiekosten und die überbordende Verwaltung anzugehen, damit mehr von der industriellen Basis erhalten bleibt. „Denn wir sehen ja, zu welchen politischen Veränderungen es führt, wenn große Teile der Bevölkerung, die eigentlich gut ausgebildet sind, ihre Jobs verlieren und in schlechter bezahlte Dienstleistungsjobs gehen müssen.“
Wie bitter dieser Wandel ist, zeigt sich jetzt auch im DAX. Denn der Nachrücker von Porsche, Scout24, die Muttergesellschaft der Online-Plattform Immoscout24, hat gerade mal rund 1.000 Beschäftigte und zahlt deutlich niedrigere Löhne als Porsche. Für den Autobauer arbeiteten zuletzt mehr als 40.000 Menschen.