Zwei falsche Entscheidungen des Landgericht Darmstadt und nachgehend des OLG Frankfurt/Main gaben dem BGH In seiner Entscheidung vom 05. November 2024 – VI ZR 188/23 – erneut Anlass darauf hinzuweisen, dass die in § 630 e Abs. 2 BGB geregelte Pflicht des Arztes zur mündlichen Aufklärung des Patienten nicht auf die Verwendung von Merkblättern bzw. Aufklärungsbögen reduziert werden darf.
Der Kläger hatte erstmals im Jahr 2006 eine Sprunggelenksdistorsion erlitten und litt in den Folgejahren wegen freier Gelenkkörper im Sprunggelenk unter Beschwerden. Konservative Behandlungsmaßnahmen zeigten keinen dauerhaften Erfolg. Der ihn behandelnde Unfallchirurg stellte daher im Jahr 2016 die Indikation für eine Arthroskopie am Sprunggelenk. Nachdem diese noch im Jahr 2016 durchgeführt worden war, klagte der Kläger über Missempfindungen bei Berührungen des Fußrückens. In der Folge nahmen dann auch die Schmerzen im Fuß zu. Im Rahmen eines deswegen notwendig werdenden zweiten Eingriffs zeigte sich, dass es bei der Arthroskopie zu einer Nervschädigung (Verletzung des Nervus peroneus) gekommen war.
Der Kläger klagte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz und machte vor Gericht u.a. geltend, nicht über das mit der Arthroskopie verbundene Risiko einer Nervenschädigung aufgeklärt worden zu sein. Auch habe der beklagte Unfallchirurg ihn fehlerhaft nicht darauf hingewiesen, dass die Operation nur relative Erfolgschancen biete und möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten. Er sei infolge der Operation erwerbslos, zu 60 % schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers beim Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg.
Die beiden Gerichte urteilten, dass der beklagte Arzt die ordnungsgemäße Aufklärung seines Patienten hinreichend bewiesen hatte. Zwar hätten der Kläger und seine Zeugin in Widerspruch zur Aussage des Arztes übereinstimmend ausgesagt, dass im Rahmen des Aufklärungsgesprächs insbesondere über das Risiko der Nervenverletzung nicht gesprochen worden sei. Der Aufklärungsbogen sei vom Kläger lediglich unterschrieben worden, er sei aber nicht im Einzelnen besprochen worden. Das Oberlandesgericht führte hierzu in seinem Urteil aus, dass für die Klageabweisung offen bleiben könne, ob die (relative) Erfolgsaussicht und das Risiko einer Nervenschädigung in dem mündlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient ausdrücklich erwähnt worden seien. Denn in dem Arzt-Patienten-Gespräch müsse nicht der gesamte Inhalt des Aufklärungsbogens wiederholt werden.
Nachdem der Kläger gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts in die Revision gegangen war, konnte sich der Bundesgerichtshof (erneut) mit der wichtigen Frage der ärztlichen Aufklärungspflicht befassen.
Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass die Vorgerichte den Grundsatz der mündlichen Aufklärungspflicht verkannt hatten. Es sei wichtig, dass die wesentlichen Risiken im Arzt-Patienten-Gespräch thematisiert würden, um der selbstbestimmten Entscheidung des Patienten Rechnung zu tragen. Schriftliches Aufklärungsmaterial könne dabei unterstützend herangezogen werden. Aufklärungsbögen und Informationsblätter könnten eine mündliche Aufklärung aber nicht ersetzen.
Der Arzt müsse sich in dem Aufklärungsgespräch davon überzeugen, dass der Patient mündliche wie schriftliche Hinweise und Informationen verstanden habe, und gegebenenfalls auf individuelle Belange des Patienten eingehen und eventuelle Fragen beantworten. Ein Rückzug des Arztes auf Formulare und Merkblätter, die er vom Patienten hat unterzeichnen lassen, könne daher nicht ausreichen und könnte sogar zu Wesen und Sinn der Patientenaufklärung geradezu in Widerspruch geraten!
Daher begegnete es nach Ansicht des BGH durchgreifenden Bedenken, dass das Oberlandesgericht in seinem Urteil offenließ, ob in dem mündlichen Gespräch der Parteien das Risiko einer Nervenschädigung ausdrücklich erwähnt worden war. Denn das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen hätten im Aufklärungsgespräch vom aufklärenden Arzt ausdrücklich benannt werden müssen, selbst wenn dem Kläger zuvor der Aufklärungsbogen zum Selbststudium überlassen worden sein sollte. Lediglich ergänzend, das heißt zur Wiederholung des Gesagten (als Gedächtnisstütze), zur bildlichen Darstellung und zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und zur Vermittlung vertiefender Informationen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind, könne (müsse aber nicht) auf Informationen in Textform Bezug genommen werden. Entgegen der Vorstellung des Berufungsgerichts entstehe das Gesamtbild der gebotenen Aufklärung nicht durch eine Zusammenfügung eines mündlichen und schriftlichen Teils, sondern es müsse jedenfalls der für die selbstbestimmte Entscheidung notwendige Inhalt mündlich mitgeteilt werden. Nur so bestehe für den Patienten die ausreichende Gelegenheit für (Rück)fragen im Gespräch und für den Arzt die Möglichkeit, Verständnisprobleme, Fehlvorstellungen, aber auch Ängste zu erkennen und auf sie unmittelbar und individuell zu reagieren.
Die Sache wurde vom Bundesgerichtshof daher zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das begrüßenswerte Urteil des Bundesgerichthof zeigt neben der enormen Bedeutung der mündlichen Patientenaufklärung auch, dass es hierzu leider noch bei vielen Instanzgerichten Unwissenheit oder Missverständnisse gibt, die dem Patienten den Weg zum Recht beschwerlich machen. Umso wichtiger ist es für den Patienten, einen auf Arzthaftungsrecht spezialisierten Fachanwalt für Medizinrecht zu mandatieren, um die bestmögliche Unterstützung zu erhalten.