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Der US-Chipriese Nvidia hat starke Zahlen vorgelegt und damit die Sorgen vor einer KI-Blase an den Börsen gedämpft. Doch Experten warnen weiterhin vor Kreislaufgeschäften und zu hohen Bewertungen.
Die Quartalszahlen von Nvidia sind da – und sorgen an den globalen Finanzmärkten für ein kollektives Aufatmen. Der Chip-Gigant steigerte seinen Gewinn um 65 Prozent auf 31,9 Milliarden Dollar, übertraf das 13. Mal in Folge die Markterwartungen und legte einen überraschend optimistischen Ausblick vor.
Nachdem die Stimmung an den Börsen im Vorfeld der Zahlenvorlage von hoher Nervosität geprägt war, ist nun die Erleichterung groß: Immerhin gilt Nvidia als zentraler Gradmesser für die Nachhaltigkeit des weltweiten KI-Booms – an der zuletzt einige Zweifel aufgekommen waren.
Nvidia-Chef hält nichts von „Gerede“ über KI-Blase
In der Telefonkonferenz zu den Unternehmensergebnissen ging Firmenchef Jensen Huang auf das „Gerede“ über eine KI-Blase ein. „Es wurde viel über eine KI-Blase gesprochen“, sagte Jensen. „Aus unserer Sicht sieht die Sache ganz anders aus.“ Der Bedarf an Rechenleistung wachse exponentiell.
Auch Analyst Dan Ives von Wedbush Securities ist überzeugt: „Die Befürchtungen einer KI-Blase sind maßlos übertrieben.“ Die Nvidia-Resultate seien „ein Grund zum Feiern“ für Tech-Investoren. Und Thomas Monteiro, leitender Analyst bei Investing.com, ist überzeugt, die KI-Revolution hat „noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht“.
Angst vor zu hohen Bewertungen
Doch dieser Optimismus wird nicht von allen Marktexperten geteilt. Bei einigen bleibt die Sorge, dass sich der KI-Boom an den Börsen zu sehr von den fundamentalen Gegebenheiten entfernt hat, die Bewertungen gerade für Technologiefirmen zu sehr in die Höhe geschossen sind.
Zwar haben die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) des S&P 500 und des Nasdaq 100 ihre Höchststände aus der Dotcom-Blase noch nicht übertroffen. Doch eine umfassendere Analyse offenbart eine eklatante Überbewertung: Laut Bloomberg-Stratege Simon White liegt der Durchschnitt von acht Bewertungskennzahlen auf einem Rekordhoch der letzten 100 Jahre.
Wachstum künstlich aufgebläht?
Und so beeindruckend der jüngste Umsatzsprung von 56 Prozent bei Nvidia auf den ersten Blick auch sein mag: Kritiker geben zu bedenken, dass es sich dabei nicht nur um „organisches Wachstum“, also um ein Wachstum aus eigener Kraft heraus, handeln dürfte.
So warnte jüngst Goldman-Sachs-Analyst James Schneider, dass Nvidias Eigenkapitalfinanzierung für Kunden wie OpenAI immer mehr einem „Kreislaufgeschäft“ ähnelte, wodurch das Wachstum künstlich aufgebläht werde.
Nvidia und OpenAI eng verflochten
Nvidia hatte zuvor angekündigt, bis zu 100 Milliarden US-Dollar in OpenAI zu investieren. Im Gegenzug sicherte sich der ChatGPT-Entwickler Zugriff auf KI-Prozessoren des Chip-Konzerns.
Das Wall-Street-Analysehaus NewStreet Research schätzt, dass Nvidia für jede zehn Milliarden Dollar, die es in OpenAI investiert, im Gegenzug 35 Milliarden Dollar einnehmen wird – in Form von Käufen oder Leasingzahlungen für Prozessoren.
„Zirkuläre Finanzgeschäfte“ en masse
Doch damit nicht genug: Nvidia hat gleich eine ganze Reihe solcher „zirkulären Finanzgeschäfte“ abgeschlossen, bei denen es in seine eigenen Kunden investiert oder ihnen Kredite gewährt. So ist Nvidia etwa auch an CoreWeave beteiligt: einem Cloud-Computing-Spezialisten, der wiederum Rechenzentrumskapazität für OpenAI bereitstellt – und ebenfalls ein Nvidia-Kunde ist.
Der KI-Experte des US-Magazins „Fortune“, Jeremy Kahn, stellte daher jüngst die provokative Frage: „Wie viel vom KI-Boom ist lediglich recyceltes Nvidia-Kapital?“
Fakt ist: Diese Kreislaufgeschäfte bergen eine große Gefahr, haben sie doch das Potenzial, den Investoren an den Börsen ein übertriebenes Bild der tatsächlichen KI-Nachfrage zu vermitteln. Die Art von Geschäften war in der Börsengeschichte häufig ein Kennzeichen von Blasen – zuletzt während der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende.
Zweifel an Nachhaltigkeit der Investitionsausgaben
Hinzu kommen weitere Zweifel an der Nachhaltigkeit des KI-Booms: Können die Unternehmen, die jetzt Milliarden Dollar in den Ausbau von KI-Rechenzentren stecken, dieses Geld in absehbarer Zeit wieder zurückverdienen? Können diese Rechenzentren langfristig ausreichend mit günstigem Strom versorgt werden?
Und was ist, wenn die Anleger eines Morgens aufwachen und erfahren, dass ein paar Genies in China ein leistungsfähigeres KI-Modell mit günstigeren Chips entwickelt haben, welches die westliche Konkurrenz plötzlich alt aussehen lässt? Eines ist sicher: Die Aktienmärkte preisen das Potenzial für größere Probleme im KI-Sektor immer noch nicht ein – trotz der jüngsten Kursrückgänge.
Alle Ängste der Anleger verflogen?
Nvidia hat mit seinen starken Zahlen die Skeptiker nun fürs erste ins Abseits gestellt und den Abverkauf an den Märkten gestoppt. Ob die Ängste der Anleger vor zu hohen Bewertungen im Tech-Sektor und einem Platzen der KI-Blase jetzt aber wirklich ganz verflogen oder nur kurzzeitig in den Hintergrund gedrängt worden sind, das werden die kommenden Tage und Wochen zeigen.
Spätestens aber in drei Monaten werden all diese Fragen und Sorgen die Börsen wieder beschäftigen – dann stehen nämlich die nächsten Quartalszahlen von Nvidia auf der Agenda.

