
Matthias Henze ist Mitgründer und CEO von Jimdo (ein Website-Baukasten, der es ermöglicht, professionelle Webseiten und Onlineshops ohne Programmierkenntnisse zu erstellen und zu pflegen), Kurator des Deutschen Gründerpreises und er positioniert sich selbst gern als DIE Stimme der Solopreneure und Kleinstunternehmen in Deutschland. Immerhin gibt es von denen mehr als vier Millionen – und noch mal etliche, die es gerne wären. Und denen allen will Heinze mit seinem Buch „Das Unternehmen bist du“ Mut machen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Nicht, dass er selbst nicht erfahren hätte, wie hart das sein kann. Und auch davon schreibt er: Wie es auch seine Firma kurz vor dem Ende stand und wie man durch die besonders tiefen Täler durchgeht.
„Das Unternehmen bist du“ erscheint am 27. März 2025 im Murmann Verlag. Hier ein Auszug aus dem Kapitel „Du bist das Durchhalten“:
Das Problem bei den Selbstständigen ist, dass Krisen schnell existenziell werden. Umfangreiche Rücklagen haben die meisten nicht gebildet, das Geld reicht manchmal nur für wenige Monate, wenn überhaupt. Da werden ausbleibende Kund:innen schnell zum Problem. Und wenn die gesamtwirtschaftliche Lage ohnehin angespannt ist, kann es sich auch zu einer Krise ausweiten.
Dass Selbstständige sich überproportional zur Gesamtwirtschaft bedroht fühlen, sehen wir in den Daten, die wir regelmäßig erheben. Gemeinsam mit dem ifo Institut veröffentlichen wir jeden Monat den Jimdo-ifo-Geschäftsklimaindex für Selbstständige. Der spiegelt die Geschäftslage und Erwartungshaltung für die nächsten sechs Monate wider.
Den Index haben wir während der Coronakrise gestartet, weil wir sehr deutlich gemerkt haben, dass Selbstständig und Kleinstunternehmen (bis zehn Mitarbeitende) überhaupt keine Beachtung in den Medien und der Politik bekommen und dass ihre Lage kaum bekannt zu sein scheint. Vor dem Start des Index’ hatten wir einige Umfragen unter Kleinstbetrieben durchgeführt und stellten fest, dass diese ihr Geschäftsklima während Corona teils ganz anders einschätzten als die vom ifo Institut befragten größeren Firmen. Während der ifo-Index zum Beispiel im April 2021 schon wieder deutlich stieg, befand sich der Jimdo-Index der Kleinstfirmen deutlich im Minus. Das war für uns die Bestätigung, den Index aus der Taufe zu heben – da es eben kaum Daten über Selbstständige gab und wir es entscheidend fanden, diesen wichtigen Wirtschaftszweig mit validen Daten zu untermauern.
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Mittlerweile hat der Index seinen Platz in den Medien gefunden. Er wird beachtet und auch die Folgen werden diskutiert. Denn in den Daten sehen wir inzwischen sehr klar, dass sich prozentual mehr Selbstständige existenziell bedroht fühlen als größere Unternehmen. Gerade im Krisenjahr 2024 war das für 18 Prozent der Soloselbstständigen der Fall. Hochgerechnet waren das 600.000 Solounternehmer:innen.
600.000 Menschen, die nicht wussten, ob sie ihr Unternehmen so weiterführen können wie bisher – und das in einer sich zuspitzenden wirtschaftliche Lage in Deutschland. Die Rezession, die immer noch spürbaren Auswirkungen von Corona und des Ukrainekonflikts, eine nur allmählich abklingende Inflation, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Branchengrößen wie VW oder Bayer haben Auswirkungen auch auf viele Selbstständige und kleine Unternehmen. Dass sich so viele bedroht fühlen, muss nicht sein.
„Gib lieber auf!“
Diese 600.000 Menschen (vielleicht sind es 2025 noch mehr oder auch weniger) stehen jedenfalls extrem unter Druck, haben Kopfkino und schlafen vermutlich schlecht. Sie haben etwas aufgebaut, sie haben sich ihren Traum verwirklicht und nun steht er auf dem Spiel. Das belastet nicht nur sie selbst, auch die Familie und Freunde merken es. Vielleicht bauen diese sogar noch zusätzlichen Druck auf oder säen Zweifel, ob man da auch wieder rauskommt. „Gib lieber auf. Wie willst du da wieder rauskommen?!“ Das kann sehr unangenehm sein.
Selbstständigkeit heißt, man steht für etwas. Was man macht, ist auch Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Und wenn das eben nicht mehr läuft, dann trifft einen das als Mensch. Krisen haben nicht nur einen finanziellen, sondern vor allem auch einen mentalen Charakter. Wie geht man damit um? Was ist der Weg heraus? Und wie hält man dabei seine Gefühle in Schach?
Warum hast du angefangen?
Wenn gefühlt alles gegen dich läuft, hilft eine entscheidende Frage: Warum hast du angefangen? Warum hast du dich selbstständig gemacht?
Es hilft ungemein, sich zu vergegenwärtigen, was zum Start motiviert hat – gerade weil man sich in diesen existenziellen Krisen unweigerlich die Frage stellt: „Soll ich nicht einfach aufhören?“ Wir alle hatten diesen Gedanken schon hundertmal. Sollten wir nicht mehr haben. „Warum hast du angefangen?“, das ist der Gedanke, den man weiterverfolgen sollte.
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„Willst du wirklich die Person sein, die das Familienunternehmen schließt?“
“Willst du die Frauen, die du mit deiner Mode empowern wolltest, alleinlassen?“
Meine Frage beim Aufbau unseres Unternehmens war immer: „Willst du die Selbstständigen wieder sich selbst überlassen und nicht der coole Techpartner für sie sein?“ Diese Frage hat mich durch so manchen schwierigen Moment in den letzten Jahren getragen.
Erinnerst du dich an das erste Kapitel, in dem es darum ging, dass es wichtig ist, ein Thema zu haben, das eine Bedeutung für dich hat? In diesen Momenten ist es essenziell, ein starkes Warum zu haben. In die gleiche Kerbe haut der Rat einer Gründerin, die ich neulich getroffen habe: „Wenn es deinem Business nicht gut geht, dann denke an die Kunden und was die vermissen würden, wenn es dich nicht mehr gäbe.“
Exkurs: Gründen mit besonderer Herausforderung
Das war im Übrigen – ein kurzer, aber wichtiger Exkurs – auf einer Veranstaltung des Verbands internationaler Entrepreneurinnen in Deutschland. Da trafen sich mehr als 200 Gründerinnen aus 44 Nationen in Berlin. Das war sozusagen die Zukunft der deutschen Gründerszene, eine sehr weibliche Zukunft, mit einem sehr internationalen Hintergrund. Denn Menschen – und gerade Frauen – mit Migrationshintergrund bleibt oft nichts anderes übrig, als in Deutschland zu gründen.
Das führt auch dazu, dass die Gründungsquote von Personen mit Migrationshintergrund beeindruckend hoch ist, deutlich höher als die der einheimischen Bevölkerung. Der „Global Entrepreneurship Monitor“ (GEM), den das RKW Kompetenzzentrum zusammen mit der Leibniz Universität Hannover herausgibt, zeigt: Jeder fünfte Mensch mit Migrationsgeschichte hat in den vergangenen drei Jahren ein eigenes Unternehmen gegründet.
Die sogenannte Gründungsquote bei Migrant:innen (19,9 Prozent) sei damit mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte (8,3 Prozent). Und, das sei noch gesagt, der Einstieg in die Selbstständigkeit für Migrant:innen ist hart, sie haben oft kaum Kontakte und bei Krediten sind Banken häufig noch zögerlicher als bei Nichtmigrant:innen. Dennoch ergreifen sie die Chance. Und tatsächlich wächst eben auch die Anzahl der Frauen, der Gründerinnen mit internationalem Hintergrund entgegen dem allgemeinen Trend. Beeindruckend, weil genau diese Gruppe (weiblich, Migrationshintergrund) die größten Hürden zu überwinden hat – und, was noch beeindruckend war: deren Willensstärke und Haltung. Eine Teilnehmerin sagte: „Wir können hier wirklich was verändern!“ Keine Frage, dass sie es auch gewohnt sind, harte Zeiten zu durchleben, um dieses Ziel zu erreichen.
Schmerzen aushalten
Es gibt noch ein zweites Warum. Warum du dich für die Selbstständigkeit entschieden hast. Das war nicht nur eine Berufswahl – das ist eine Lebensentscheidung. Und für die lohnt es sich schon, durchzuhalten, zu kämpfen. Für viele Menschen ist die Selbstständigkeit schlichtweg das bessere Lebensmodell. Das aufzugeben, wäre langfristig womöglich fataler, als die harte Zeit durchzustehen.
Es gibt nun mal kein Leben ohne Rückschläge. Aber während es in einem Angestelltenverhältnis oft ein langsames Dahinsiechen sein kann („Noch zwölf Jahre bis zur Rente, kann es kaum erwarten, ich habe den Laden so satt“), ist eine Krise in der Selbstständigkeit eher ein vehementer Tiefschlag – der dir, wenn du es klug angehst, allerdings auf deinem weiteren Weg nutzen kann.
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Weil es eben keine Ausreden gibt. Weil du dich nicht verstecken kannst, weil du – und nur du – dich dem Problem stellen und es lösen musst. Weil du schnell daraus lernen musst, und weil du im Grunde morgen schon etwas anders machen kannst. Eine neue Dienstleistung entwickeln, ein neues Produkt anbieten, eine neue Nische suchen. Ein Problem „auszusitzen“, das wird nicht funktionieren, das würde auch dem Selbstverständnis eines Kleinunternehmers nicht entsprechen.
Die Kreativität von Soloselbstständigen ist oft beeindruckend. Wie sie mit geänderten Rahmenbedingungen umgehen, wie sie mit einer anderen Sache neu anfangen. Weil sie nicht rumheulen, auch wenn es zum Heulen ist. Sich diese Warums in Erinnerung zu rufen, das wird helfen. Es hindert dich auch daran, die Opferrolle einzunehmen. Du hast damals so entschieden – und es liegt nun auch an dir, Änderungen durchzuziehen. Auch wenn es Gegenwind gibt.
Wir hatten bei Jimdo oft Gegenwind, viel zu oft wendete sich das Blatt zu unseren Ungunsten. Freunde haben mich oft gefragt, wie lange ich das eigentlich noch machen wolle. Sie hatten durchaus gute Gründe, das zu fragen. Ich habe trotzdem weitergemacht. Irgendwann ist es besser geworden. Das ist nun mal so: Wenn der Kern gut ist, wird es besser.
Später, wenn du auf die Zeit zurückschaust, wirst du mit Stolz auf das Erreichte blicken: „Da bin ich rausgekommen!“ Und darauf kannst du bei der nächsten Krise aufbauen. Das macht die Krise nicht besser, aber du weißt, dass du mit dem Druck umgehen kannst.
Zeitfenster festlegen
Was auch hilft, mit einer Krise fertigzuwerden, ist, sich ein Zeitfenster festzulegen. Vor allem, wenn es um finanzielle Fragen geht. Der Stress, nicht zu wissen, wie man die Fixkosten deckt, ist richtig anstrengend. Kredite, ausbleibende Honorare, Steuerzahlungen, Miete, Handyvertrag, Essen, alles läuft ja weiter – trotz Krise. Da hilft es, sich einen finanziellen Zeitrahmen zu setzen. Also präzise festzulegen:
- Wie weit kannst du noch gehen?
- Wie lang reicht das Geld noch?
Wenn du da ein konkretes Zeitfenster hast, wenn du dir ein Datum setzt, an dem die Reißleine gezogen wird, kann das deinen Kopf auch beruhigen. Denn du weißt jetzt genau, wie viel Zeit dir noch bleibt – allein das kann schon Energie freisetzen. Weil du zwangsläufig aktiv werden musst. Weil dir was einfallen muss.
Es empfiehlt sich übrigens, das Zeitfenster in Abstimmung mit dem Steuerbüro festzulegen. Dort hat man unter Umständen einen genaueren Blick darauf, was noch möglich ist und wann eine Grenze gezogen werden müsste.
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