marktbericht
Vor dem morgigen Zinsentscheid der US-Notenbank haben die DAX-Anleger die Reißleine gezogen. Der Leitindex weitet seine jüngsten Verluste aus und schließt unter 23.500 Punkten.
Weltweit gibt es an den Börsen derzeit nur ein Thema: Wie geht es nach der morgen fest erwarteten Zinssenkung durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im Zinssenkungszyklus weiter? Während an der Wall Street zuletzt eine regelrechte Zinseuphorie mit immer neuen Allzeithochs herrschte, sind die heimischen Anleger weit weniger wagemutig.
Zwar könnte eine US-Zinssenkung für Rückenwind sorgen. Ohne die US-spezifische KI-Fantasie der Nasdaq sowie in einem weiter sehr schwierigen Marktumfeld für die deutsche Exportindustrie meiden die Anleger hierzulande aber das Risiko. Im Ergebnis bröckelte sich der DAX im Stil eines „Salami-Crashs“ in den letzten Handelstagen bereits sukzessive nach unten durch, um heute seine Verluste deutlich auszuweiten.
Bei einem Schlussstand von 23.329 Punkten stand ein kräftiges Minus von 1,77 Prozent auf der Anzeigetafel der Frankfurter Börse, nahe des Tagestiefs bei 23.318 Punkten. Am Morgen stand der Index am Tageshoch noch bei 23.717 Zählern gut 400 Punkte höher und es war nicht abzusehen, dass später so hohe Verluste entstehen würden.
Damit steht der Leitindex schon über 1.000 Punkte unter seinem Allzeithoch aus dem Juli bei 24.639 Punkten. Mit dem Fall der Marke von 23.500 Punkten ist auch ein charttechnische Unterstützung verletzt worden, womit nun die runde Marke von 23.000 Punkten, dem Zwischentief aus dem Juni, in den Blick rückt. Auch der MDAX fiel am Nachmittag stärker zurück und schloss 1,21 Prozent schwächer bei 30.100 Punkten.
„Die Fed wird sich aller Voraussicht nach morgen den Spekulationen und den zuletzt schwachen Arbeitsmarktdaten beugen und den Leitzins um 25 Basispunkte senken“, so Marktanalyst Jochen Stanzl von CMC Markets. Spannend sei nun vor allem der Zinspfad, also ob die US-Notenbank auf einen kontinuierlichen Zinssenkungszyklus einschwenke oder nicht. Viele der jüngst von den Anlegern aufgebauten spekulativen Positionen seien nur dann gewinnbringend, wenn die Fed nicht allzu restriktiv klinge.
Vor allem die Schwäche der Schwergewichte SAP, Allianz und Telekom lastete überproportional auf dem deutschen Leitindex und stand alleine für rund ein Drittel der rund 420 Minuspunkte im DAX.
Auch Finanzwerte wie Deutsche Bank, Münchener Rück oder Commerzbank tendierten deutlich schwächer. Sie zollten damit den veränderten Zinsperspektiven Tribut: Für gewöhnlich gehen Anleger davon aus, dass niedrigere Zinsen die Attraktivität von Kredit- und Zinsgeschäften verschlechtern können. Dem hatten Porsche AG und Sartorius, die den Index an Montag ohnehin verlassen müssen, nicht viel entgegenzusetzen. Tagessieger waren FMC, auch die Aktie der Muttergesellschaft Fresenius stieg gegen den Markt leicht.
Der Maschinenbau ist neben der Auto- und Chemiebranche eine weitere Schlüsselbranche in Deutschland mit einer Million Beschäftigten – und steckt in einer Krise. Eine lange Phase der Konjunkturschwäche, hohe US-Zölle und strukturelle Probleme in Deutschland belasten die Unternehmen. „Die Lage ist ernst“, sagte der Präsident des Branchenverbands VDMA, Bertram Kawlath, beim Maschinenbau-Gipfel in Berlin. Seine Botschaft an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): Die Bundesregierung müsse liefern, um Firmen zu entlasten
Der Maschinen- und Anlagenbau ist mittelständisch geprägt, das Exportgeschäft spielt eine herausragende Rolle (was durch den derzeit starken Euro zusätzlich belastet wird). Die wirtschaftliche Lage der Branche ist angespannt. Der Branchenverband VDMA korrigierte deswegen seine Prognose für das laufende Jahr nach unten. „Bisher gingen wir von einem Minus von 2 Prozent aus, nun rechnen wir mit minus 5 Prozent für 2025“, sagte Kawlath.
Auch die Stahlbauer haben es hierzulande bekanntlich nicht leicht. Die Meldung, dass der indische Stahlkonzern Jindal ein unverbindliches Angebot zum Kauf der Thyssenkrupp-Stahltochter Steel Europe abgegeben hat, sorgte aber an der Börse für Fantasie. Aus einem Minus von bis zu sechs Prozent wurde für die Thyssenkrupp-Aktie im MDAX ein Plus von über vier Prozent. Der Kurs lag im Tageshoch bei 11,82 Euro und somit über dem Juli-Hoch von 11,62 Euro.
Mitte August hatte der Kurs des Stahlkonzerns seinen zuletzt guten Lauf eingeleitet. Kurz davor hatte zwar noch ein gesenkter Ausblick auf den Aktien gelastet, doch seither hat der Kurs nun etwa 40 Prozent zugelegt – auch wegen Rüstungsfantasie, die vor Monaten schon wegen der Marinetochter TKMS geweckt wurde. Getrieben davon sind die Aktien in diesem Jahr schon um fast das Dreifache gestiegen. Zum Jahreswechsel waren sie noch bei der Marke von vier Euro gehandelt worden
Knappe neue Höchststände erreichten zum Handelsstart Nasdaq und S&P 500, aktuell bestimmt aber eher Abwarten die US-Märkte zur Eröffnung. Alle großen Indizes stehen am Mittag Ortszeit nahe ihre Schlusstände moderat im Minus.
Ansonsten heißt es Warten auf den Zinsentscheid der Fed. Besonders an der Nasdaq sorgte die Hoffnung auf sinkende Zinsen zuletzt für große Euphorie. Die Experten von Index Radar sprachen von der längsten Gewinnserie seit zwei Jahren, bezeichneten die Technologiebörse aber auch als „Scheinriese“. Die Kursrally werde von wenigen Giganten getragen. Etwa die Hälfte der Indexmitglieder stecke seit Beginn der jüngsten Gewinnserie im Minus. Auch im S&P 500 hätten zuletzt an den meisten Tagen die Verlierer überwogen.
Vor der US-Zinsentscheidung richten die Anleger ihren Fokus auf frische Konjunkturdaten. Diese dämpften allerdings die Erwartung einer stärkeren Zinssenkung oder gar einer ganzen Serie von solchen Senkungen. Nachdem der Konsum in den USA merklich zurückgegangen war, sei der Einzelhandelsumsatz von großem Interesse bei den Investoren, kommentierte Marktbeobachter Andreas Lipkow. Im August stiegen die Erlöse nun stärker als erwartet.
Konkret legten die Umsätze der Einzelhändler im Vergleich zum Vormonat um 0,6 Prozent zu, wie das Handelsministerium heute in Washington mitteilte. Volkswirte hatten im Schnitt einen Anstieg um 0,2 Prozent erwartet. Ohne die volatilen Umsätze mit Fahrzeugverkäufen stiegen die Einzelhandelserlöse im August um 0,7 Prozent. Hier war ein Anstieg um 0,4 Prozent erwartet worden. Auch die Importpreise stiegen im Monatsvergleich im August um 0,3 Prozent, erwartet worden war ein Rückgang um 0,2 Prozent.
„Ungeachtet der verschlechterten Konsumentenstimmung haben die Verbraucher mehr ausgegeben als einen Monat zuvor“, sagte Analyst Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen. So hatte sich das von der Universität von Michigan erhobene Konsumklima im September eingetrübt. „An einer geldpolitischen Lockerung bei der morgigen Fed-Entscheidung bestehen ungeachtet der Überraschung kaum Zweifel“, schreibt Umlauf.
Derweil schwächelt der Dollar immer weiter. Am Markt werden aktuell am Tageshoch 1,1837 Dollar für einen Euro bezahlt. Dies war mehr als im späten Handel am Montag. Die Aussicht auf fallende US-Zinsen drückt den Greenback schon eine geraume Zeit. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs gestern auf 1,1766 (Freitag: 1,1718) Dollar fest.
Ganz anders Gold: Das gelbe Edelmetall befindet sich seit Wochen schon auf einem Höhenflug und hat das nächste Rekordhoch markiert. In der Spitze zahlen Anlegerinnen und Anleger heute knapp 3.699 Dollar für eine Feinunze Gold. Was unter anderem auch mit dem fallenden Dollarkurs zu tun hast, denn für Dollar-Ausländer wird das gelbe Edelmetall dadurch billiger.
„Die Stimmung ist sehr optimistisch“, sagt Capital.com-Analyst Kyle Rodda. „Die Aussichten für Gold bleiben kurz- bis mittelfristig gut.“ Gold hat in diesem Jahr rund 40 Prozent zugelegt, nach einem Anstieg von 27 Prozent im vergangenen Jahr.
Hinzu kommen anhaltende geopolitische Spannungen: Gold kann in diesem Kontext von seinem Image als sicherer Hafen profitieren. Experten wie Marktanalyst Ricardo Evangelista vom Broker ActivTrades sehen vor diesem Hintergrund Spielraum für weitere Kursgewinne.
Im DAX setzte der Rüstungskonzern Rheinmetall zunächst seine Rekordjagd fort – und näherte sich der Marke von 2.000 Euro weiter an. In der Spitze zahlten Anlegerinnen und Anleger 1.983 Euro für Papiere des deutschen Rüstungskonzerns. Zuletzt fiel die Aktie mit dem Markt aber wieder zurück.
Sowohl die Deutsche Bank als auch das Bankhaus Metzler haben derweil ihre Kaufempfehlungen für Rheinmetall bestätigt. Mit der Übernahme der Marinesparte der Werftengruppe Lürssen bekomme der Rüstungskonzern Zugang zu einem Bereich, der langfristig wachsen sollte und die Umsätze diversifiziere, so die Deutsche Bank.
Der DAX wird am Donnerstag ausnahmsweise aus 41 statt aus 40 Werten bestehen. Der Frankfurter Autozulieferer Aumovio, der vom Reifenkonzern Continental abgespalten wird, wird dann für einen Tag in den DAX aufgenommen. Das ist bei Abspaltungen von DAX-Unternehmen üblich, unter anderem um Index-Investoren die Chance zu geben, die ins Depot gebuchten Aktien wieder geregelt zu verkaufen.
Wegen schwacher Nachfrage nach Elektrofahrzeugen streicht der US-Autobauer Ford in seiner Kölner Produktion bis zu 1.000 Stellen. Man stelle Anfang 2026 vom bisherigen Zwei-Schicht-Betrieb auf Ein-Schicht-Betrieb um, teilte das Unternehmen mit. Ford will in diesem Zusammenhang freiwillige Abfindungspakete anbieten.
Im Vorfeld des Staatsbesuchs von US-Präsident Trump in Großbritannien hat Google angekündigt, fünf Milliarden Pfund im Vereinigten Königreich zu investieren. Unter anderem solle ein Rechenzentrum in der Nähe von London entstehen, um die wachsende Nachfrage nach KI-Diensten wie Google Cloud zu bedienen, teilte der US-Technologiekonzern mit.