Körperschmuck mit Folgen: Wer sich freiwillig tätowieren lässt und dadurch arbeitsunfähig krank wird, muss mit finanziellen Konsequenzen rechnen.
Hintergrund: Lohnfortzahlung und Eigenverschulden
Arbeitnehmer haben im Krankheitsfall grundsätzlich bis zu sechs Wochen Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Wichtig: Dieser Anspruch besteht jedoch nur, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden arbeitsunfähig macht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz verpflichtet den Arbeitgeber lediglich, das normale Krankheitsrisiko seiner Beschäftigten zu tragen. Erkrankt jemand hingegen infolge eines selbst gewählten Risikos – etwa durch eine medizinisch nicht notwendige Prozedur – kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Gehalts verweigern. In der Vergangenheit hat z. B. das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass nach einer freiwilligen Organspende kein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht. Genauso wurde bereits bei Schönheitsoperationen geurteilt, dass der Arbeitnehmer in solchen Fällen das Risiko selbst tragen muss. Diese Linie setzt sich nun mit einem aktuellen Fall zum Thema Tätowierung fort.
Der Fall: Tätowierung führt zur Krankschreibung
Eine als Pflegehilfskraft beschäftigte Frau ließ sich ein großflächiges Tattoo auf dem Unterarm stechen. Kurz nach der Tätowierung kam es zu Komplikationen: Die Haut entzündete sich so stark, dass die Frau für mehrere Tage krankgeschrieben werden musste. Für diesen Zeitraum verweigerte die Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung. Die Arbeitnehmerin war damit nicht einverstanden und zog vor Gericht. Sie argumentierte, sie verlange keine Entgeltfortzahlung für den Tag des Tätowierens selbst, sondern für die nachträgliche Entzündung der Haut. Diese Komplikation sei rein zufällig und mit etwa 1–5 % Vorkommenshäufigkeit sehr selten. Zudem seien Tattoos heute weit verbreitet und als Teil der privaten Lebensführung anzusehen – also etwas, das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt ist. Ihre Position: Die spätere Infektionskrankheit sei von der freiwilligen Tätowierung zu trennen und treffe sie ohne eigenes Verschulden.
Die Arbeitgeberin hielt dagegen: Wer sich tätowieren lässt, willigt in eine Körperverletzung ein. Eine daraus folgende Infektion gehöre nicht zum allgemeinen Krankheitsrisiko, das der Arbeitgeber finanziell tragen müsse. Mit anderen Worten: Das Risiko solcher Komplikationen habe die Arbeitnehmerin bewusst selbst auf sich genommen, weshalb es nicht fair wäre, dieses Risiko auf den Arbeitgeber abzuwälzen.
Die Gerichtsentscheidung: LAG Schleswig-Holstein gibt dem Arbeitgeber recht
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein bestätigte mit Urteil vom 22.05.2025 (Az. 5 Sa 284 a/24) die Auffassung des Arbeitgebers. Die Verweigerung der Lohnfortzahlung für die Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeit war rechtmäßig. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet. Entscheidend war § 3 EFZG, der den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausschließt, wenn den Arbeitnehmer an der Erkrankung ein eigenes Verschulden trifft.
Das LAG stellte klar, dass hier ein solches Verschulden vorlag. Verschulden im Sinne des EFZG ist gegeben, wenn ein Arbeitnehmer „in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise“ verstößt. Die Richter führten aus, dass die Frau beim Tätowieren mit einer Entzündung rechnen musste. Selbst nach dem Vortrag der Klägerin treten Infektionen bei Tattoos in bis zu fünf Prozent der Fälle auf – diese Wahrscheinlichkeit sei nicht vernachlässigbar und keine völlig ungewöhnliche Komplikation. Wer ein solches Risiko bewusst eingeht, begeht einen groben Verstoß gegen das eigene Gesundheitsinteresse. Anders gesagt: Ein verständiger Mensch hätte in eigenem Interesse entweder auf die Tätowierung verzichtet oder zumindest damit gerechnet, im Ernstfall arbeitsunfähig zu werden.
Zur Untermauerung zog das Gericht einen Vergleich aus der Medizin: Bereits bei einer Wahrscheinlichkeit von über 1 % spricht man bei Medikamenten von einer häufigen Nebenwirkung. Im Fall der Klägerin lag das Infektionsrisiko sogar am oberen Ende dieses Bereichs (bis zu 5 %). Das LAG machte deutlich, dass die Arbeitnehmerin damit sehenden Auges ein beträchtliches Gesundheitsrisiko eingegangen ist – mit der Folge, dass sie den daraus resultierenden Verdienstausfall selbst tragen muss. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht ließ das LAG nicht zu, das Urteil ist also rechtskräftig.
Rechtliche Grundlagen: Selbstverschuldete Krankheit und Anspruchsausschluss
Der Maßstab für den Anspruchsausschluss ist hier das Kriterium des Eigenverschuldens bei der Krankheitsentstehung. Grundsätzlich schützt das EFZG Arbeitnehmer vor Einkommensverlust bei unverschuldeter Krankheit – es soll das gewöhnliche Lebens- und Krankheitsrisiko abdecken. Normale Krankheiten wie Erkältungen, Infekte oder auch Verletzungen durch übliche Freizeitaktivitäten gelten als vom Arbeitgeber mitzutragendes Risiko. Anders ist es bei Krankheiten, die auf eigenem risikoreichen Verhalten oder persönlich veranlassten Eingriffen beruhen. In solchen Fällen nimmt die Rechtsprechung ein erhebliches Mitverschulden des Arbeitnehmers an, wodurch der Lohnfortzahlungsanspruch entfällt. Tätowierungen, Piercings oder rein kosmetische Operationen sind typische Beispiele: Sie sind medizinisch nicht notwendig und erfolgen aus privaten Gründen – etwa aus Wunsch nach Körperschmuck oder Schönheitsideal. Wer dadurch arbeitsunfähig wird, kann diese Konsequenz nicht dem Arbeitgeber zur Last legen.
Der Gesetzgeber unterstreicht diese Wertung auch im Sozialversicherungsrecht. Nach § 52 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V kann die Krankenkasse das Krankengeld streichen oder kürzen, wenn sich ein Versicherter durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme (z. B. ästhetische Operation, Tätowierung oder Piercing) eine Krankheit zuzieht. Damit wird klargestellt: Die Folgen solch freiwilliger Eingriffe sind dem persönlichen Lebensrisiko des Versicherten zuzuordnen, nicht der Solidargemeinschaft. Dieses Prinzip spiegelt sich im Arbeitsrecht wider. Der Arbeitgeber soll – ebenso wenig wie die Krankenkasse – nicht für Komplikationen aufkommen müssen, die aus rein privaten Entscheidungen des Arbeitnehmers resultieren. Im Ergebnis bedeutet das: Das normale Erkrankungsrisiko wird vom Arbeitgeber finanziell abgesichert, außergewöhnliche Selbstgefährdungen hingegen nicht.
Praxis-Tipps für Arbeitnehmer
Wie können Arbeitnehmer solche Streitfälle vermeiden? Einige praxisnahe Tipps:
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Eingriffe gut planen: Legen Sie freiwillige Tätowierungen, Piercings oder Schönheits-OPs möglichst in die Freizeit oder den Urlaub. So vermeiden Sie, dass eine eventuelle Genesungszeit mit einer Krankschreibung einhergeht, für die kein Lohn gezahlt wird.
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Risiken bewusst machen: Machen Sie sich klar, dass Komplikationen (Infektionen, Wundheilungsstörungen etc.) bei solchen Eingriffen zwar selten, aber möglich sind. Dieses Risiko tragen Sie – finanzielle Einbußen inklusive. Planen Sie im Zweifel einen Puffer ein (z. B. ausreichend Urlaubstage oder Ersparnisse für Verdienstausfälle).
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Offen kommunizieren: Wenn doch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nach einem freiwilligen Eingriff eintritt, überlegen Sie, offen mit dem Arbeitgeber umzugehen. Zwar besteht kein Zahlungsanspruch, aber Transparenz kann Vertrauen schaffen. Gegebenenfalls kann man über unbezahlten Urlaub oder eine andere einvernehmliche Lösung sprechen, statt einfach krank zu feiern.
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Keine Täuschung: Versuchen Sie nicht, einen geplanten freiwilligen Eingriff als „normale Krankheit“ zu tarnen. Der Arbeitgeber könnte misstrauisch werden – und spätestens vor Gericht käme der wahre Grund ans Licht. Offenheit und Ehrlichkeit sind hier der bessere Weg, um arbeitsrechtliche Konsequenzen (etwa eine Abmahnung wegen vortäuschen einer Krankheit) zu vermeiden.
Praxis-Tipps für Arbeitgeber
Auch Arbeitgeber können aus diesem Urteil wichtige Lehren ziehen:
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Fall genau prüfen: Erhalten Sie Kenntnis, dass die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters in Folge einer freiwilligen Maßnahme (Tattoo, Piercing, Schönheits-OP etc.) eingetreten ist, sollten Sie den Anspruch auf Lohnfortzahlung hinterfragen. Im Zweifel darf die Zahlung verweigert werden, da es sich nicht um ein vom Arbeitgeber zu tragendes Krankheitsrisiko handelt.
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Belege sichern: Stützen Sie Ihre Entscheidung auf klare Fakten. Etwaige Informationen aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Diagnosehinweise), Aussagen des Mitarbeiters oder andere Nachweise über den Zusammenhang zwischen Eingriff und Erkrankung sollten dokumentiert werden. Im Streitfall tragen Sie zwar grundsätzlich die Beweislast für das Verschulden des Arbeitnehmers, doch klare Belege erhöhen Ihre Erfolgsaussichten vor Gericht.
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Kommunikation suchen: Statt sofortiger Zahlungsverweigerung kann ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer sinnvoll sein. Stellen Sie sachlich dar, warum Sie Zweifel an der Lohnfortzahlungspflicht haben, und hören Sie sich die Sicht des Mitarbeiters an. Mitunter lässt sich einvernehmlich klären, wie mit der Fehlzeit umgegangen wird (z. B. Anrechnung auf Urlaub oder unbezahlte Freistellung), ohne dass gleich ein Rechtsstreit entsteht.
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Grenzfälle beachten: Nicht jede Freizeitaktivität oder private Entscheidung rechtfertigt die Verweigerung der Entgeltfortzahlung. Gewöhnliche Sportverletzungen oder Alltagsunfälle sind in der Regel vom Arbeitgeber zu bezahlen, da sie zum allgemeinen Lebensrisiko gehören. Seien Sie daher zurückhaltend und prüfen Sie jeden Einzelfall sorgfältig. Bei Unsicherheit lohnt es sich, arbeitsrechtlichen Rat einzuholen, bevor Sie die Lohnfortzahlung einstellen.
Wichtigste Leitsätze und rechtliche Einschätzung
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Kein Lohn bei selbst verschuldeter Krankheit: Wer sich freiwillig einem nicht notwendigen gesundheitlichen Risiko aussetzt – sei es eine Tätowierung, ein Piercing oder eine Schönheitsoperation – und infolgedessen arbeitsunfähig wird, hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
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Normales versus erhöhtes Krankheitsrisiko: Arbeitgeber müssen nur das normale Krankheitsrisiko ihrer Mitarbeiter finanzieren, nicht aber besondere Risiken, die der Mitarbeiter aus persönlichen Gründen eingeht. Eine tätowierungsbedingte Infektion zählt nicht als gewöhnliche Krankheit, sondern als Folge einer bewusst eingegangenen Gefahr.
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„Ohne eigenes Verschulden“ als Maßstab: § 3 EFZG verlangt für die Lohnfortzahlung, dass den Arbeitnehmer kein Verschulden trifft. Ein grobes Eigenverschulden liegt vor, wenn ein verständiger Mensch die gesundheitsgefährdende Handlung in eigenem Interesse vermieden hätte. Im Zweifel wird die Entgeltfortzahlung dann verwehrt.
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Klare Rechtslage – bewusste Entscheidungen: Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein bestätigt die bereits bestehende Rechtslage und setzt ein deutliches Signal. Arbeitnehmer sollten persönliche Eingriffe verantwortungsvoll planen, da sie das finanzielle Risiko von Komplikationen selbst tragen. Arbeitgeber sind auf der sicheren Seite, wenn sie bei selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit keine Lohnfortzahlung leisten. Dennoch empfiehlt sich im Umgang mit solchen Fällen Fingerspitzengefühl und eine offene Kommunikation, um vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen nicht zu gefährden.
Einschätzung: Insgesamt verdeutlicht dieses Urteil die Grenze zwischen vom Arbeitgeber mitzutragenden allgemeinen Gesundheitsrisiken und privaten Lebensentscheidungen mit Krankheitsfolgen. Die Rechtslage ist für beide Seiten nun klarer: Eigenverantwortung spielt eine große Rolle. Arbeitnehmer müssen im Zweifel selbst für die Konsequenzen freiwilliger gesundheitlicher Risiken einstehen, während Arbeitgeber legitimerweise Zahlungen verweigern dürfen, wenn eine Erkrankung eindeutig persönlich verursacht ist. Beide Seiten sind gut beraten, im Vorfeld offen zu kommunizieren und kluge Entscheidungen zu treffen – so lassen sich Konflikte vermeiden, bevor sie entstehen.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der Kanzlei JURA.CC ist auf das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht spezialisiert.
Er berät und vertritt sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber bei der Gestaltung und Verhandlung von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Kommt es zu einer Kündigung, übernimmt er – falls erforderlich – auch die gerichtliche Vertretung im Rahmen einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Ziel ist dabei stets eine interessengerechte Lösung: Für Arbeitnehmer kann dies etwa die Durchsetzung einer angemessenen Abfindung, ein wohlwollendes Arbeitszeugnis oder die Rücknahme der Kündigung und Weiterbeschäftigung sein; Arbeitgeber unterstützt er bei rechtssicheren Kündigungen, der Vermeidung langwieriger Prozesse und der Gestaltung von fairen Einigungen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder telefonisch unter 0221-95814321