Die EZB hat die Leitzinsen unverändert gelassen, doch die Aussichten sind unsicher. Auf Prognosen, wie es im September weitergeht, lässt sich die Zentralbank nicht ein.
Es ist Sommer in Frankfurt: Hin und wieder scheint die Sonne, es weht ein lauer Wind. Am Main, direkt am Eurotower, ziehen Jogger ihre Runden und flanieren Menschen mit einem Eis in der Hand. Urlaubsstimmung nicht nur außen, sondern auch innerhalb der Glastürme der EZB. Und so verabschiedete sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde heute mit einer gewissen Zufriedenheit über das „gut bestellte Haus“ in die Sommerpause.
„Wir sind gut positioniert, um abzuwarten und mit den turbulenten Wassern, die auf uns warten, umzugehen“, summierte die Chefin der weltweit zweitwichtigsten Notenbank nach der amerikanischen Federal Reserve die aktuelle Lage – um damit auch zu skizzieren, warum der EZB-Rat beschloss, die Zinsen nach acht Zinssenkungen in neun Monaten nun erst einmal stabil zu halten.
Nicht ohne Stolz betonte Lagarde mehrfach, dass man die Inflationsrate auf das angestrebte Ziel von zwei Prozent gedrückt habe und davon ausgehe, dass dies mittelfristig tendenziell auch so bleibe. Zwar ist die Teuerung für Lebensmittel und Dienstleistungen weiter zu hoch, insgesamt wird aber mit einem nachlassenden Druck auf die Preise gerechnet – auch weil die Lohnsteigerungen nicht mehr so stark ausfallen.
Konjunktur läuft besser als erwartet
Mit Blick auf die teilweise zweistelligen Teuerungsraten vor noch wenigen Monaten betonte Lagarde: „Der Inflationsschock liegt endgültig hinter uns.“ Damit nicht genug: Die Konjunktur in Europa läuft insgesamt besser als noch vor wenigen Wochen gedacht. Die Zinssenkungen haben zu mehr Investitionen bei Unternehmen geführt, in vielen Euro-Ländern hat sich auch die Konsumstimmung verbessert. Ein Großteil des Wachstums gehe zwar auf vorgezogene Käufe der Unternehmen aus Angst vor höheren Zöllen zurück. Aber eben nicht nur, so Lagarde.
Für Deutschland trifft das positive Bild zwar nur teilweise zu, aber die Widerstandsfähigkeit und Robustheit der gesamten Eurozone hat selbst den EZB-Rat überrascht. Unter diesen Vorzeichen seien unmittelbare Zinssenkungen derzeit nicht notwendig, so die EZB-Chefin.
Das Damoklesschwert aus Washington
Doch das Szenario kann sich auch schnell wieder ändern: Der weiterhin nicht gelöste Zollkonflikt zwischen der EU und den USA birgt viel Sprengstoff. Weil niemand einschätzen kann, was US-Präsident Donald Trump als nächstes aus dem Hut zaubert, kann auch niemand die Effekte der Handelspolitik genau voraussagen.
Läuft es gut für die EU und die Zölle werden – wie aus Washington angedeutet – möglicherweise auf 15 Prozent eingefroren, könnte das die Konjunktur hierzulande weiter stimulieren. Das wäre zwar positiv, könnte die Teuerung aber auch wieder etwas antreiben. Sollte Trump hingegen die EU weiter unter Druck setzen und die Zölle doch hoch lassen, was möglicherweise auch Gegenreaktionen durch die EU auslöst, könnte das die Konjunktur in der Eurozone wieder belasten, was die Inflation etwas dämpfen würde.
Fakt ist: Die Unsicherheit ist riesig, und niemand weiß, was kommt. Lagarde betonte heute mehrfach, dass man sich unter diesen Bedingungen nicht festlegen könne und bei der nächsten Sitzung im September je nach Lage neu über die Zinsen entscheide. Dann liegen auch die neuen Inflationsprognosen vor, die von der EZB vierteljährlich veröffentlicht werden.
Mit einem Seitenhieb auf Donald Trump sagte Lagarde aber auch: „Je eher die Handelskonflikte gelöst werden, umso weniger Unsicherheit gibt es, mit der wir zu tun haben.“ Das würde nicht nur von Unternehmen und Finanzmärkten, sondern auch von der EZB selbst sehr begrüßt werden.
Eine Spitze in Richtung Paris
Interessant war bei der heutigen Pressekonferenz, dass Lagarde den Regierungen in der Eurozone ziemlich eindringlich die Leviten las. Die müssten alles unternehmen, um mit geeigneten Maßnahmen die Konjunktur zu stützen und die Haushalte zu sanieren. Dieser Passus, der in jedem Statement wie ein Mantra seit Jahren wiederholt wird, bekam dieses Mal gleich am Anfang eine prominente Positionierung.
Beobachter werten das auch als Spitze gegen die französische Regierung. Die kommt wegen ihrer überbordenden Verschuldung zunehmend in Schwierigkeiten. Weil Investoren Vertrauen verlieren, muss Paris immer höhere Zinsen für neue Staatsanleihen zahlen.
Mit ihrer Mahnung an die Verantwortung der Politik machte Lagarde deutlich, dass die EZB kein Interesse daran habe, wieder die Feuerwehr zu spielen wie bei der Eurokrise vor rund zehn Jahren. Damals hatten ähnliche Entwicklungen in Griechenland zu massiven Problemen in der Währungsunion geführt.
Auch in anderer Hinsicht war die heutige Entscheidung ein politisches Statement: Frankreichs Premierminister François Bayrou hatte wegen der Verschuldungsproblematik lautstark weitere Zinssenkungen von der EZB gefordert.
Doch die Währungshüter zeigten ein geeintes Bild, um ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen: Die Entscheidung des EZB-Rates heute war einstimmig. Nicht einmal der Notenbankchef aus Frankreich, Villeroy de Galhau, folgte dem Appell aus Paris. Entscheidung gefällt, Zeichen gesetzt – und ab geht es in den Sommerurlaub.