Viele Selbstständige und Arbeitnehmer sichern sich mit einer Krankentagegeldversicherung für den Fall ab, dass sie länger krankheitsbedingt ausfallen. Doch was passiert, wenn der Versicherer plötzlich das vereinbarte Tagegeld kürzen will, weil sich Ihr Einkommen verringert hat? Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) setzt den Versicherern hier klare Grenzen und stärkt die Position der Versicherten erheblich.
Das Problem: Gekürztes Einkommen, gekürztes Tagegeld?
In der Vergangenheit versuchten Krankentagegeldversicherer oft, das versicherte Tagegeld zu reduzieren, wenn das Nettoeinkommen des Versicherten nach Vertragsabschluss sank. Sie beriefen sich dabei auf Klauseln in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die ihnen ein solches Recht einräumten. Eine häufig verwendete Klausel (oft § 4 Abs. 4 der Musterbedingungen MB/KT 2009) wurde jedoch vom BGH bereits im Jahr 2016 für unwirksam erklärt, weil sie nicht klar und verständlich genug war (Verstoß gegen das Transparenzgebot).
Einige Versicherer versuchten daraufhin, diese unwirksame Klausel durch eine neue Regelung in den AVB zu ersetzen, um weiterhin Kürzungen vornehmen zu können. Genau diesem Vorgehen hat der BGH nun in einer wichtigen Entscheidung einen Riegel vorgeschoben.
Das BGH-Urteil vom 12. März 2025 (Az. IV ZR 32/24)
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Versicherer eine unwirksam gewordene Klausel nicht ohne Weiteres durch eine neue, für den Versicherten möglicherweise nachteilige Regelung ersetzen darf, um das Krankentagegeld zu kürzen.
Die Kernpunkte des Urteils sind:
- Kein automatisches Recht zur Klauselersetzung: Ein Versicherer kann eine unwirksame Klausel nur dann durch eine neue ersetzen, wenn dies zur Fortführung des Vertrages „notwendig“ ist. Das ist laut BGH nur dann der Fall, wenn durch die unwirksame Klausel eine Vertragslücke entsteht, die so gravierend ist, dass der Vertrag ohne eine neue Regelung nicht sinnvoll weitergeführt werden kann (sogenannte ergänzende Vertragsauslegung).
- Keine „unzumutbare Härte“ für Versicherer: Der BGH stellte klar, dass es für den Versicherer keine unzumutbare Härte darstellt, wenn eine solche Klausel zur Einkommensanpassung einfach ersatzlos wegfällt. Das bedeutet, der Versicherer muss den Vertrag auch ohne die Möglichkeit zur Kürzung des Tagegeldes bei gesunkenem Einkommen weiterführen. Die bloße Tatsache, dass das versicherte Tagegeld das aktuelle Nettoeinkommen übersteigen könnte, stört das Vertragsgleichgewicht nicht so einschneidend, dass es für den Versicherer unzumutbar wäre. Die Krankentagegeldversicherung ist oft als Summenversicherung ausgestaltet, bei der die Leistung von vornherein vom tatsächlichen Verdienst abweichen kann.
- § 4 Abs. 2 MB/KT (Überstiegsverbot) ist kein Freibrief zur Kürzung: Viele Verträge enthalten eine Klausel (oft § 4 Abs. 2 MB/KT), die besagt, dass das Krankentagegeld zusammen mit sonstigen Krankentage- und Krankengeldern das Nettoeinkommen nicht übersteigen darf. Der BGH hat bekräftigt, dass diese Klausel für sich genommen keine automatische Begrenzung des Leistungsanspruchs auf das tatsächliche Nettoeinkommen darstellt. Sie ist eher ein Programmsatz, der verdeutlicht, dass sich das Tagegeld am Einkommen orientieren soll, aber ohne eine wirksame Anpassungsklausel keine direkte Kürzung rechtfertigt.
Was bedeutet das für Sie als Versicherungsnehmer?
Dieses Urteil ist eine gute Nachricht für alle, die eine Krankentagegeldversicherung abgeschlossen haben:
- Schutz vor einseitigen Kürzungen: Versicherer können Ihr einmal vereinbartes Krankentagegeld nicht einfach kürzen, nur weil eine alte Anpassungsklausel unwirksam war und sie diese durch eine neue ersetzt haben.
- Anspruch auf ursprüngliches Tagegeld: Wurde Ihr Krankentagegeld in der Vergangenheit aufgrund einer solchen ersetzten Klausel gekürzt, könnten Sie Anspruch auf die Zahlung des Differenzbetrages zum ursprünglich vereinbarten Tagegeld haben. Auch für die Zukunft besteht der Vertrag mit dem höheren Tagegeld fort.
Praktische Ratschläge: Was können Sie tun?
- Unterlagen prüfen: Sehen Sie in Ihren Versicherungsunterlagen nach, ob und mit welcher Begründung Ihr Krankentagegeld möglicherweise in der Vergangenheit angepasst wurde. Achten Sie besonders auf Schreiben Ihres Versicherers seit 2016.
- Kürzungen nicht akzeptieren: Akzeptieren Sie eine Kürzung Ihres Krankentagegeldes nicht vorschnell.
- Rechtzeitig handeln: Beachten Sie mögliche Verjährungsfristen für Nachforderungen.
Wann ist anwaltliche Beratung sinnvoll?
Wenn Ihr Krankentagegeldversicherer das Tagegeld gekürzt hat oder dies ankündigt und Sie unsicher sind, ob dies rechtens ist, sollten Sie juristischen Rat einholen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann prüfen, ob die Kürzung unwirksam ist und Ihnen helfen, Ihre Ansprüche durchzusetzen.
Bei versicherungsrechtlichen Fragen, insbesondere im Bereich der Krankentagegeldversicherung, steht Ihnen Rechtsanwalt Wolfgang Benedikt-Jansen als Fachanwalt für Versicherungsrecht gerne mit seiner Expertise zur Seite und ist Ihnen bei der Lösung von Problemen behilflich.