Es liegt ein neueres Urteil des Sozialgericht Aurich vor, welches nochmals auf die Frage eingeht, wann Leistungsberechtigte individuelle und objektiv erkennbare Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen und welche Rechtsfolgen daraus erwachsen.
Zusammenfassung des Urteils
Das Sozialgericht Aurich hat im Urteil vom 25.02.2025 (Az. S 55 AS 378/23) entschieden, dass einer alleinerziehenden Mutter und ihrer schwerbehinderten Tochter (Pflegegrad 5, Rett-Syndrom) höhere Leistungen für Unterkunftskosten im Rahmen des Bürgergeldes zu gewähren sind. Trotz Überschreitens der abstrakten Angemessenheitsgrenze wurden die tatsächlichen Bruttokaltmietkosten in Höhe von 790 € als konkret angemessen anerkannt.
Das Gericht stellte fest, dass durch die schwerwiegende Behinderung des Kindes erhebliche Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt bestehen. Zudem beeinträchtigt der umfassende Betreuungsbedarf des Kindes die zeitlichen Ressourcen der alleinerziehenden Mutter, was eine intensive Wohnungssuche unmöglich macht. Der Leistungsträger hatte keine ausreichende Unterstützung im Rahmen des Kostensenkungsverfahrens angeboten und mußte daher die konkreten Kosten der Wohnung tragen.
Leitsätze
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Konkrete Angemessenheit trotz abstrakter Überschreitung: Unterkunftskosten können auch dann als angemessen gelten, wenn sie über der abstrakten Grenze liegen, sofern die besondere Lebenssituation – etwa eine erhebliche Behinderung innerhalb der Bedarfsgemeinschaft – den Zugang zu Wohnraum erheblich erschwert.
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Behinderung eines Familienmitglieds ist entscheidungsrelevant: Bei der Prüfung der Wohnkosten ist nicht nur die Situation des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu berücksichtigen, sondern auch die des behinderten Angehörigen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft.
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Pflicht zu konkreten Hilfsangeboten: Fordert ein Leistungsträger eine Kostensenkung, muss er im Falle individueller und objektiv erkennbarer Zugangshemmnisse konkrete Hilfestellungen zur Wohnraumbeschaffung anbieten; unterbleibt dies, bleibt es bei der tatsächlichen Miete als Maßstab.
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Zeitliche Einschränkungen durch Alleinerziehung: Der umfangreiche Betreuungsaufwand für ein schwerbehindertes Kind schränkt die Möglichkeiten eines alleinerziehenden Elternteils erheblich ein, aktiv und intensiv nach alternativem Wohnraum zu suchen und kann für sich ein Zugangserschwernis darstellen.
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Recht auf familiäres Zusammenwohnen: Das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) schützt auch das Recht einer Familie, gemeinsam in einer Wohnung zu leben; daraus folgt ein Anspruch auf Wohnraum, der der konkreten Familiensituation Rechnung trägt.