Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) versucht, die Aufregung nach dem Volksentscheid für ein bis 2040 „klimaneutrales“ Hamburg zu verringern. Eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung dieses Ziels wird das Handwerk in der Hansestadt spielen.
Peter Tschentscher (SPD) mag Statistiken. Hamburgs Erster Bürgermeister war vor seiner politischen Karriere Laborarzt. Solide Zahlenreihen nutzt er gern auch in freier Rede, um seinen Argumenten mehr Struktur zu verleihen. Bei der Jahresschlussversammlung der Handwerkskammer Hamburg am Dienstagabend sprach Tschentscher für seine Verhältnisse fast schon impulsiv. Das lag auch daran, dass der Erste Bürgermeister bei diesem Format traditionell möglichst frei sprechend die Beiträge seiner Vorredner kommentieren und auch kritisieren soll.
Tschentscher widmete die gut 20 Minuten seines Wortbeitrages dem derzeit politisch in der Hansestadt drängendsten Thema: Wie setzen der Senat und die Stadtverwaltung, die Wirtschaft und die gesamte Stadtgesellschaft den Volksentscheid vom Oktober um, wonach ganz Hamburg bereits 2040 „klimaneutral“ sein soll, fünf Jahre früher als bislang vom Senat geplant?
„Ich habe den Volksentscheid nicht bestellt“, sagte Tschentscher, der sich vor der Abstimmung mit seiner Meinung strikt zurückgehalten hatte und der die ungeliebte Entscheidung nun gemeinsam mit den Grünen im Senat in Politik transformieren muss. Er sagte aber auch: „Wir bleiben cool. Wir werden nur sinnvolle Dinge regeln. Wir sind nicht verpflichtet, Dinge zu tun, die Unsinn sind. Vor allem muss das alles sozialverträglich sein.“
Und dann bemühte Tschentscher die Statistik: Rechne man die Hamburger Reduktion der Treibhausgas-Emissionen aus den vergangenen Jahren fort, werde die Hansestadt das Ziel der „Klimaneutralität“ um 2040 oder 2041 erreichen können. Allerdings seien die zurückliegenden Reduktionen einfacher zu realisieren gewesen als das, was noch vor der Stadt liege: „Die ersten Jahre sind einfacher, das sind immer die tief hängenden Früchte, die sich leicht ernten lassen.“
Auch Schleswig-Holstein wolle bis 2040 „klimaneutral“ sein, sagte Tschentscher, allerdings nicht auf der Basis eines Volksentscheides, sondern auf der Grundlage eines Kabinettsbeschlusses der schwarz-grünen Landesregierung. Er glaube, dass Hamburg mit seinem bisherigen Reduktionspfad bei den Treibhausgasen besser aufgestellt sei als das nördliche Nachbarland: „Wir haben in den vergangenen zehn Jahren bei der CO2-Minderung viel erreicht.“
Um tatsächlich zum Ziel zu kommen, braucht die Stadt neben vielen anderen Faktoren allerdings ein starkes Handwerk. Hjalmar Stemmann, Dentalunternehmer und Präsident der Handwerkskammer Hamburg, forderte bei der Jahresschlussversammlung eine Besinnung auf mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Wir brauchen ein neues Wir-Gefühl, einen verlässlichen Konsens, wie wir diese Stadt gemeinsam zukunftsfest machen wollen“, sagte er: „Ein bisschen Hobeln hier und ein bisschen Schleifen da – das ist zu wenig, wenn wir die großen Baustellen von der Umsetzung des Klimaentscheids über den Fachkräfteengpass bis hin zu einer fairen Gewerbeflächenpolitik in unserer Stadt in den Griff kriegen wollen. Wir müssen mit dem richtigen Bohrer an die richtig dicken Bretter heran.“
Die zentralen Forderungen der Handwerkskammer erscheinen vor dem Hintergrund des jüngsten Volksentscheides noch deutlich aktueller und plausibler. Die Handwerksunternehmen müssten die Chance bekommen, ihre Standorte auch in den teuren, hoch verdichteten städtischen Quartieren zu erhalten oder sie neu zu errichten. Das Handwerk müsse in der Innenstadt „präsent und sichtbar“ sein, nicht zuletzt auch, um die Herausforderungen zu Klimawandels meistern zu können.
Das Handwerk brauche zudem mehr und besseren Zugang zu Fachkräften – das sei der selbst ausgebildete Nachwuchs, das seien aber auch Migranten, sagte Stemmann: „Dafür ist eine Verbesserung der Wohnsituation genauso wichtig wie eine fundierte, handwerksspezifische Berufsanerkennungs- und Qualifizierungsberatung.“ Und letztlich müssten die Handwerksbetriebe „auf ihrem Transformationsweg bei Digitalisierung und KI-Anwendungen weiter intensiv begleitet und unterstützt werden.“ Mit voranbringen könne die Stadt all das unter anderem auch durch einen „niedrigschwelligen Zugang zu öffentlichen Aufträgen, unbedingt mit einer einheitlichen Vergabeplattform“.
Den Handbohrer für all die „dicken Bretter“ gab Stemmann dem Ersten Bürgermeister abends gleich mit auf den Weg. Tschentscher bedankte sich mit der Bemerkung, alles, was in der Stadt vor Ort für den Klimaschutz in den kommenden Jahren umgesetzt werden müsse, laufe auf dreierlei hinaus: „Auf Handwerk, Handwerk und Handwerk.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland.
