Kein Werkstattrisiko in der Kaskoversicherung – Versicherungsnehmer trägt Nachweislast für Ersatzteilpreise
Mit Urteil vom 14.02.2025 (Az. 306 S 14/24) hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass sich Versicherungsnehmer in der Kaskoversicherung nicht auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen können. Anders als im Haftpflichtfall schuldet der Kaskoversicherer nur den Ersatz der tatsächlich erforderlichen Reparaturkosten – überhöhte Rechnungsbeträge muss er nicht tragen.
Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass die ihr in Rechnung gestellten Kosten in Bezug auf den Ersatzteilpreis der Windschutzscheibe „erforderlich“ im Sinne der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen gewesen sind. Sie übersteigen den vom Fahrzeughersteller angegebenen Ersatzteil wesentlich.
Werkstattrisiko im Haftpflichtrecht
Im Haftpflichtschadensrecht wird dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer das sogenannte Werkstattrisiko zugewiesen. Es umfasst das Risiko, dass eine vom Geschädigten beauftragte Werkstatt Leistungen über das Maß des Erforderlichen hinaus abrechnet. Der Geschädigte darf in diesen Fällen grundsätzlich auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechnung vertrauen – selbst wenn einzelne Positionen überhöht sein sollten (BGH, VI ZR 253/22).
Der BGH hat diese Grundsätze mit Urteil vom 12.03.2024 (Az. VI ZR 280/22) auch auf das sogenannte Sachverständigenrisiko übertragen: Auch überhöhte oder unangemessene Kostenansätze eines Kfz-Gutachters sind vom Schädiger zu tragen, solange der Geschädigte nicht selbst schuldhaft zur Überhöhung beigetragen hat.
Sachverhalt
Die Versicherungsnehmerin ließ nach einem Glasbruchschaden an ihrem Fahrzeug die Frontscheibe in einer Werkstatt ihrer Wahl austauschen. Die Reparatur erfolgte ohne Rücksprache mit dem Versicherer, obwohl eine Werkstattbindung vereinbart war. Der Versicherer regulierte lediglich auf Basis des vom Hersteller empfohlenen Ersatzteilpreises. Die Differenz zur Werkstattrechnung wurde nicht erstattet. Die Versicherungsnehmerin klagte – ohne Erfolg.
Entscheidung des LG Hamburg
Das LG Hamburg bestätigte die Abweisung der Klage durch das Amtsgericht. Die Ansicht der Versicherungsnehmerin die Rechtsprechung des BGH zum sog. Werkstattrisiko des Schädigers sei auch auf das Verhältnis zwischen Geschädigtem und Kasko-Versicherer anwendbar, ist unzutreffend.
Die zentrale Begründung:
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Kein Werkstattrisiko im Kaskorecht: Die vom BGH entwickelte Figur des Werkstattrisikos gilt nur im Haftpflichtrecht. Dort trägt der Schädiger das Risiko überhöhter Reparaturkosten, weil der Geschädigte die Werkstattwahl nicht zu vertreten hat. In der Kaskoversicherung besteht hingegen ein vertragliches Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Der Versicherungsnehmer trifft die Werkstattwahl eigenverantwortlich.
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Nachweispflicht für Erforderlichkeit: Der Versicherer ist nur zur Erstattung der „erforderlichen“ Kosten verpflichtet (vgl. Ziffer 1.5.2 AKB). Die Versicherungsnehmerin konnte nicht belegen, dass die teuer berechnete Frontscheibe ein baugleiches Originalteil war. Weder wurde ein Lieferschein vorgelegt noch eine Nachbesichtigung ermöglicht. Der Ansatz eines höheren Preises blieb somit unsubstantiiert.
- Vertragsgemäße Leistungspflicht: Ein Versicherungsnehmer kann nicht erwarten, dass der Kaskoversicherer auch überhöhte oder unnötige Leistungen ersetzt.
Erforderlichkeit im Kasko
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Begriff der „Erforderlichkeit“ dahingehend auslegen, dass ihm im Versicherungsfall diejenigen Aufwendungen ersetzt werden, die ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Betroffener in seiner Lage tätigen würde, um das beschädigte Fahrzeug wieder fachgerecht herzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.2015, VI ZR 426/14, Rdnr. 12, zit. N. juris). Insofern setzt dieses zunächst einmal voraus, dass im konkreten Fall bei der Reparatur ein baugleiches Ersatzteil verwendet und abgerechnet wird.
Kein Werkstattrisiko in der Kaskoversicherung
Im Gegensatz zum deliktischen Haftpflichtverhältnis basiert die Kaskoversicherung auf einem privatrechtlichen Vertrag. Der Versicherer schuldet nur die vertraglich geschuldeten Leistungen, insbesondere die erforderlichen Reparaturkosten. Die Risiken überhöhter Werkstatt- oder Sachverständigenrechnungen trägt der Versicherungsnehmer – es gibt kein Werkstatt- oder Sachverständigenrisiko im Kaskorecht.
Bewertung aus Sicht des Versicherers
Das Urteil stärkt die Interessenlage von Kaskoversicherern und schafft Klarheit hinsichtlich der Abgrenzung zur Haftpflichtversicherung. Es unterstreicht:
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Die Eigenverantwortung des Versicherungsnehmers für Werkstattwahl und Kostennachweis.
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Die Bedeutung vertraglich vereinbarter Werkstattbindung.
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Den Ausschluss des Werkstattrisikos als Argumentationsgrundlage im Kaskoverhältnis.
Fazit
Versicherer sollten bei der Regulierung von Kaskoschäden überhöhte Rechnungen oder nicht belegte Ersatzteile nicht erstatten.