Jahrzehntelang war die Currywurst das beliebteste Essen in Deutschlands Kantinen. Nun erreicht die Fast-Food-Legende einen neuen Tiefpunkt. Stattdessen schreitet der Fleischlos-Trend voran – gerade in Kitas und Schulen.
Ein Klassiker liegt an der Spitze der Menücharts am Arbeitsplatz. Spaghetti Bolognese war 2024 das beliebteste Essen in den Betriebsrestaurants hierzulande, meldet der Großcaterer Apetito, der seit 1992 das entsprechende Ranking erstellt. In 28 dieser 33 Jahre lag die Currywurst auf Platz eins. Vor fünf Jahren dann begann der Abstieg der Fast-Food-Legende, die nun sogar erstmals aus den Top-3 geflogen ist und in der Gunst der Mittagspausengäste nur noch Platz vier belegt.
Vor der Currywurst stehen mit dem indischen Chicken Korma mit Reis und dem indonesischen Nudelgericht Bami Goreng zwei internationale und zudem noch leichtere Gerichte. Und Hannah Dammann wundert das nicht. „Die Verbraucher machen einen Shift zu gesünderem Essen“, sagt die Marktforscherin von Innova Market Insights. „Zudem wird mittlerweile gerne ausprobiert und bewusst auf ethnische Geschmacksrichtungen gesetzt.“ Das bestätigt auch Apetito. „Die Arbeitnehmer lassen sich kulinarisch gerne aus aller Welt inspirieren“, sagt Vorstandschef Jan-Peer Laabs.
Im weiteren Verlauf der Top-10 der beliebtesten Kantinenessen wird es dann aber vielfach wieder klassisch: etwa mit Schwäbischen Käsespätzle auf Platz fünf, dem Schweineschnitzel Cordon bleu auf der Sieben oder einem Burger auf dem zehnten Rang. Auffällig ist noch der hohe Anteil vegetarischer Gerichte. Vier der zehn Topplatzierten sind fleischlos, darunter neben den Käsespätzle zum Beispiel Chili sin Carne und Spaghetti mit vegetarischer Bolognese. Und es findet sich kein einziges Fischgericht in den Menücharts. 2023 hatte es der Alaska-Seelachs mit Ratatouille-Gemüse und Kartoffeln immerhin noch auf Platz sieben geschafft.
Das Ranking passt damit zum aktuellen Trend bei den Kantinen in Deutschland, die zunehmend weniger auf Fast-Food und Tablett-Gerichte in einem schmucklosen Essenssaal setzen und stattdessen ein schönes Ambiente und möglichst Essen in Restaurantqualität anbieten. Mitarbeiterzufriedenheit gehört in Zeiten von Fachkräftemangel schließlich zu den Kernthemen von Unternehmen, sagen Experten. Noch dazu werde die Kantine als ein Instrument gesehen, die eigene Belegschaft aus dem Homeoffice wieder in die Büros zu locken.
Etliche Unternehmen organisieren ihr Betriebsrestaurant dabei selbst, die meisten indes beauftragen Cateringunternehmen mit der Verpflegung. Apetito aus dem westfälischen Rheine ist dabei eins der Schwergewichte. 2024 hat das Familienunternehmen einen Umsatz in Höhe von 1,35 Milliarden Euro erzielt, 8,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Versorgt werden von Apetito nach eigenen Angaben täglich über 1,2 Millionen Tischgäste in neun Ländern. Gut 55 Prozent des Umsatzes entfallen dabei auf Deutschland.
Gemeinschaftsverpflegung ist hierzulande einer der größten Bereiche der Gastronomie. Hochrechnungen zufolge werden täglich 17 Millionen Menschen versorgt, darunter sechs Millionen Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen. Dort finden sich laut den entsprechenden Menücharts von Apetito übrigens acht vegetarische Gerichte in den Top-10, allen voran Linsensuppe, Spaghetti mit fleischloser Bolognese und Gemüseravioli. Einzige nicht vegetarische Mahlzeiten unter den beliebtesten Speisen sind Fischstäbchen mit Püree und Spinat sowie Hühnerfrikassee mit Reis.
Direkt beschäftigt sind in der Gemeinschaftsverpflegung rund 100.000 Mitarbeiter, der Umsatz liegt bei fast 17 Milliarden Euro, zeigt eine von der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) und dem Deutschen Institut für Gemeinschaftsgastronomie (DIG) in Auftrag gegebene und erst kürzlich erschienene Marktstudie, die auf aktuellen Daten des Marktforschungsinstitutes Circana, dem CREST Verbraucherpanel sowie Experten-Interviews beruht.
Rund zwei Drittel des Umsatzes entfallen dabei auf die Betriebsgastronomie. Bestbesuchte Kantinen in Deutschland sind dabei die Angebote von drei Automobilherstellern: von BMW mit über acht Millionen Gästen, von Mercedes-Benz mit 5,2 Millionen und von Volkswagen mit 3,5 Millionen. Die Zahlen aus der Zeit vor der Corona-Pandemie sind damit allerdings noch nicht erreicht, heißt es in der Studie. Circana rechnet allerdings auch 2025 mit steigenden Gästezahlen und in der Folge mit einer weiteren Annäherung.
Die Herausforderungen für den Sektor sind allerdings groß, heißt es in der Studie, die WELT vorliegt. Aufgelistet werden unter anderem wirtschaftliche Unsicherheiten durch Inflation, Lieferkettenprobleme und steigende Kosten für Lebensmittel und Energie sowie ein zunehmender Mitarbeitermangel. Fast 40.000 Stellen sind derzeit in der Gastronomie insgesamt als offen gemeldet, darunter auch viele in der Gemeinschaftsverpflegung.
Und die Dunkelziffer dürfte noch mal bei einem Vielfachen liegen, sagen die Experten der Bundesagentur für Arbeit, bei der längst nicht alle Jobgesuche hinterlegt werden. In der Gemeinschaftsverpflegung wird daher zunehmend auf Systemlösungen und Convenience-Produkte gesetzt, um effizienter arbeiten zu können und die Preise nicht noch stärker steigen zu lassen, heißt es in der Studie, die auch Preise aufzeigt. Demnach lagen die durchschnittlichen Ausgaben für ein Kantinenessen 2024 bei 8,07 Euro, fünf Jahre zuvor kostete der Besuch noch 6,69 Euro.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.