
Ein Auszug aus dem Buch „Wie Arbeit glücklich macht. Und wann man darüber nachdenken sollte, den Job zu wechseln“ von Prof. Dr. Claas Lahmann. Er ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Freiburger Universitätsklinik. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Frage, wie Arbeit uns krank machen kann. Sein neuestes Buch ist im Rowohlt Verlag erschienen.
Grundsätzlich geht die Forschung davon aus, dass wir uns jeden Tag etwa 20.000 mal entscheiden: Wann stehe ich auf? Dusche ich am Morgen oder am Abend? Welches Parfüm nehme ich? Was esse ich zum Frühstück? Nehme ich Tee oder Kaffee? Welchen Tee? Was ziehe ich an? Hose oder Rock? Welchen Rock?
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat in einer Fragerunde mit seinen Mitarbeitern erklärt, dass er immer nur graue T-Shirts tragen würde, um sich Entscheidungen zu sparen, weil er gelesen habe, jede einzelne würde Energie fressen. Ich bin nicht sicher, wie sinnhaft das ist, aber ich finde es interessant, dass erfolgreiche Manager sich offenbar intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie sie bessere Entscheidungen treffen können.
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Warum? Warum? Warum?
Vom Amazon-Gründer Jeff Bezos heißt es, dass er immer dreimal nach dem „Warum?“ frage, wenn er vor einem Problem steht. Ein Beispiel: Ich schaffe meine Arbeit nie. Warum? Weil ich zu spät anfange. Warum? Weil ich morgens nicht aus dem Bett komme. Warum? Weil ich abends immer noch zwei Stunden durch Social Media scrolle, um irgendwie runterzukommen. Auf diese Art soll er versuchen, der Ursache jedes Problems auf den Grund zu gehen.
Man könnte das selbstverständlich auch im Freundeskreis oder mit nahestehenden Personen besprechen. Allerdings vertreten die – häufig sogar unbewusst – ihre eigenen Interessen. Wenn ich beispielsweise einen Freund frage, ob ich eine Stelle in einer weit entfernten Stadt antreten soll, könnte er mich in seiner Nähe behalten wollen und mir deshalb von dem Jobwechsel abraten. Sein Rat kann gar nicht unabhängig sein. Zudem teilen unsere Freunde vermutlich unsere Werte und Lebenseinstellung und werden daher ähnliche Argumente anführen wie wir.
Ich kenne Managerinnen, die aus diesem Grund ganz gezielt Menschen befragen, die eine vollkommen andere Haltung zu den Dingen haben. Diese Andersdenkenden können Argumente liefern, an die sie selbst noch nicht gedacht haben. Einige überlegen sich bis ins Detail, was alles schiefgehen könnte – und dann, wie sie ein solches Scheitern vermeiden könnten.
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Schlaf erhöht Fähigkeit Probleme zu lösen
Ein weiterer Lifehack ist es, während schwieriger Entscheidungsfindungen auf ausreichend Schlaf zu achten. Jeff Bezos hat in einem Interview erklärt, dass er, um zu hochwertigen Entscheidungen zu kommen, mindestens acht Stunden Schlaf benötige. Das ergibt durchaus Sinn, denn wie wir gesehen haben, brauchen wir Verstand und Bauchgefühl – und der Verstand funktioniert bei großer Müdigkeit etwas träger. Zudem laufen viele unbewusste Denkprozesse im Schlaf ab, was gerade bei komplexen Fragestellungen hilfreich sein kann.
Es gibt tatsächlich Hinweise, dass Schlaf unsere Problemlösungsfähigkeit erhöht. Zum Beispiel hat ein Forschungsteam der Uni Lübeck Versuchspersonen gebeten, über verschiedene Runden hinweg komplexe Aufgaben zu lösen, für die ein Trick nötig war. Diesen Trick haben 60 Prozent der Personen, die zwischendurch eine Nacht schlafen durften, entdeckt – aber nur 20 Prozent derjenigen, die nicht schliefen. Woran das liegt, weiß man zwar noch nicht genau, aber wer weiß, vielleicht ist es auch hier die Synergie von Ratio und Emotio.
Auch das Maß an Ablenkung scheint bei der Qualität der Entscheidungsfindung eine Rolle zu spielen: Die permanente Erreichbarkeit und Nutzung von Handy und Internet führen offenbar dazu, dass wir Informationen nur noch oberflächlich wahrnehmen können. Wir lassen uns leichter ablenken. Eine Studie der Stanford University konnte zum Beispiel zeigen, dass Menschen, die in ihrem Alltag oft mehrere Aufgaben parallel ausüben und unterschiedliche Medien zur gleichen Zeit nutzen – wie E-Mails auf dem Handy lesen, während sie Filme gucken –, deutlich schlechter Entscheidungen treffen können. Eine konzentrierte Analyse von Zusammenhängen ist ein zentrales Element in jedem Entscheidungsprozess.
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Um die eigenen Denkprozesse zu verbessern, können deshalb Achtsamkeitstrainings helfen. Untersuchungen zeigen, dass der vordere Teil des Gehirns, der präfrontale Kortex, den wir schon von der Resilienz kennen und der unter anderem für überlegte Entscheidungen verantwortlich ist, dadurch kräftiger wird. So weit zu den Grundlagen. Aber was kann uns denn nun konkret dabei helfen, eine gute Entscheidung zu treffen?
Ganz konkret: Techniken, die bei der Entscheidungsfindung helfen
Eine hilfreiche Technik, die auch ich bei Entscheidungsfindungen nutze, ist die zeitliche Entzerrung. Ich stelle mir die Frage, wie sich meine Entscheidung in zehn Minuten, zehn Monaten und in zehn Jahren anfühlen wird.
Zuletzt bin ich dieses Gedankenspiel mit einer Layouterin durchgegangen, die für eine Zeitung arbeitet, bei der – wie derzeit bei vielen Printmedien – seit Monaten immer wieder Mitarbeitende entlassen wurden. Wir kamen zu folgendem Ergebnis: „Die Entscheidung, meine Festanstellung zu kündigen, fühlt sich in den ersten zehn Minuten schlimm an, weil ich dann kein Einkommen mehr habe. In zehn Monaten sind diese Auswirkungen aber unter Umständen schon nicht mehr spürbar, weil ich bis dahin wahrscheinlich eine neue Tätigkeit gefunden habe, in der ich mich nicht jeden Tag davor fürchten muss, dass bald die nächste Kündigungswelle ansteht. Und in zehn Jahren blicke ich wahrscheinlich zufrieden auf diese Entscheidung zurück, weil ich dadurch Gelegenheit hatte, mich neu zu orientieren und mir neue Bereiche zu erschließen. Ich konnte durch die Kündigung viel flexibler auf die Veränderungen
in der Branche reagieren.“
Keine Frage: Letztlich weiß man erst dann genau, wie sich eine Entscheidung auswirkt, wenn man sie trifft und die notwendigen Schritte geht. Trotzdem ist es häufig so, dass wir uns an viele unserer Entscheidungen, die im „Hier und Jetzt“ Kopfschmerzen bereiten, in zehn Jahren nicht einmal mehr besonders gut erinnern. Oft sind Entscheidungen, von denen wir glauben, dass sie unser Leben fundamental verändern werden, gar nicht so wichtig, wie wir es in dem Moment glauben.
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Dazu gibt es auch ein schönes Zitat von Daniel Kahneman aus dem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“: „Nichts im Leben ist so wichtig, wie du denkst, während du darüber nachdenkst.“ Außerdem – und auch das müssen wir uns in einer solchen Situation bewusst machen: Die Entscheidung über unsere Arbeit betrifft nur einen Teilbereich unseres Lebens. Einen wichtigen – kein Zweifel. Einen, mit dem wir sehr viel Zeit verbringen – auch klar. Aber Familie, Partnerschaft, Freundeskreis und Wohnort können davon – unter Umständen – weitestgehend unberührt bleiben.
Entschließt man sich beispielsweise, einen Arbeitsvertrag zu kündigen, um sich mit dem gleichen Beruf selbstständig zu machen, ändern sich nicht einmal die Tätigkeiten. Vor allem um sich die erwartbaren Auswirkungen deutlich vor Augen zu führen, kann die zeitliche Entzerrung also helfen. Und es gibt noch weitere Techniken.
Entscheidungs-Matrix anlegen
Auch die klassische Pro-und-Contra-Liste kann uns dabei unterstützen, eine tragfähige Entscheidung zu treffen. Am besten lässt man sie einige Tage liegen und ergänzt sie immer wieder um Punkte, die einem in den Kopf kommen. Es gibt auch Kolleginnen aus der Positiven Psychologie, die empfehlen, ausschließlich das Positive hervorzuheben. Also: Was spricht denn dafür, den Vertrag zu kündigen, sich selbstständig zu machen, eine neue Stelle anzutreten, eine Ausbildung in einem anderen Bereich zu beginnen?
Gilt es, verschiedene Dimensionen abzuwägen, könnte sich auch eine Entscheidungs-Matrix als hilfreich erweisen. In diese trägt man verschiedene Faktoren (Gehalt, Standort, Kultur, Entwicklungsmöglichkeiten) ein und bewertet sie dann vergleichend. Ich mache das gerne mit o, +, ++, +++, wobei o eine neutrale Wertung ist, und die Anzahl der Pluszeichen uns zumindest eine Tendenz verraten kann.
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Allerdings sollten wir uns immer daran erinnern, dass es hier keinen objektiven Summen-Score gibt, sondern das Ergebnis uns lediglich Hinweise beziehungsweise Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung geben soll.
Und dann gibt es noch die Methode der sechs Hüte, die der maltesische Arzt, Kognitionswissenschaftler und Schriftsteller Edward de Bono 1990 beschrieben hat. Dabei nähert man sich einer Fragestellung, also beispielsweise der Frage, ob man als Arzt im Krankenhaus bleiben oder lieber eine eigene Praxis gründen möchte, ganz bewusst aus verschiedenen Perspektiven. Man setzt sich also verschiedene Hüte auf.
In der ursprünglichen Form verteilt man die entsprechenden sechs Rollen in einer Gruppe. Man kann das aber durchaus für sich selbst umsetzen, indem man sich beispielsweise für jede der Rollen auf einen anderen Stuhl setzt.
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Sitzt man auf dem ersten Stuhl, bedient man sich des neutralen, analytischen Denkens. Man schaut sich also nur die Fakten an, Zahlen und Daten, und vermeidet es, sich eine Meinung zu bilden. Auf dem zweiten Stuhl erlaubt man sich das subjektive, emotionale Denken. Es geht nur um die persönliche Meinung, positive und negative Gefühle. Nimmt man dann auf dem dritten Stuhl Platz, begibt man sich ganz in die Rolle des Pessimisten im inneren Team und konzentriert sich ausschließlich auf die negativen Aspekte, auf Risiken und Einwände. Auf dem vierten Stuhl praktiziert man das genaue Gegenteil, sammelt positive Argumente, wirft einen Blick auf Chancen und Vorteile. Auf dem fünften Stuhl sammelt man einfach mal alle Ideen und kreativen Vorschläge – und ignoriert jede Kritik. Wechselt man dann auf den sechsten und letzten Stuhl, sorgt man dort für Ordnung, Durch- und Überblick.
Man versucht, alle Ideen und Gedanken zu strukturieren. Und irgendwann hat man auf diese Weise eine Idee ausreichend überdacht, jedes Argument abgewogen und jede nötige Stimme gehört. Dann sollte man seine Entscheidungsfindung auch nicht länger hinauszögern.
Wir alle kennen das Prinzip: Keine Entscheidung ist irgendwie und irgendwann auch eine Entscheidung. Um sich davor zu schützen, kann es hilfreich sein, eine Deadline zu setzen. Am besten macht man diese Deadline sogar offiziell, indem man sie beispielsweise im Freundeskreis teilt. Das erhöht den Druck und die Wahrscheinlichkeit, dass man sie auch wirklich einhält. Oder man stellt fest, die Vorstellung, eine Entscheidung zu treffen, löst so viel Angst aus, dass man dazu einfach nicht in der Lage ist. Auch das erlebe ich häufig.