Erst wird das Buch oder der Schuh im Laden angesehen, inklusive kompetenter Beratung. Doch gekauft wird dann im Internet. Wie geht der Handel damit um? Und wie groß ist das Problem tatsächlich?
Manchmal verbringt Petar Punjek eine ganze Stunde mit seinen Kunden, meist vor ihnen auf dem Boden kniend. Er macht Abdrücke von deren Fußsohlen, probiert Schuhe mit ihnen an und analysiert den Laufstil per Videoaufnahme. Punjek ist Geschäftsführer des Laufschuh-Fachgeschäfts „Rennwerk“ in Karlsruhe und selbst begeisterter Sportler.
So wie Julia Wintringer, die lange Strecken läuft und dafür einen neuen, passenden Schuh sucht. Sie kann sich nicht vorstellen, online und ohne Anprobe zu kaufen. „Online ist es Glückssache, ob er passt oder nicht“, sagt sie. „Und hier weiß ich, es wird angeschaut: Wie laufe ich? Wie ist meine Fußstabilität?“
Aber wird Julia Wintringer den Schuh auch im Laden kaufen? Petar Punjek macht da regelmäßig sehr schlechte Erfahrungen. Häufig fragten Kunden nach Farben, die nicht vorrätig sind, oder wollten plötzlich zuhause den Kauf überdenken. „Und dann wird meist ein Handy ausgepackt und der Schuh oder der Karton abfotografiert, bevor man sich schließlich verabschiedet“, erzählt Punjek. Das komme bei etwa jeder zehnten Beratung vor und sei ein ziemlich sicheres Indiz dafür, dass dann online gekauft wird.
Eine Frage der Fairness?
In einer nicht repräsentativen Online-Umfrage haben ein Drittel der Befragten angegeben, dass sie sich schon einmal so verhalten haben. Und das, obwohl deutlich weniger dieses Verhalten auch gutheißen. Bei besseren Preisen im Internet vergessen also möglicherweise viele die moralischen Bedenken, die sie eigentlich haben.
Petar Punjek möchte seine Kunden an faires Verhalten erinnern. Deshalb hat er vor ein paar Wochen ein Plakat im Schaufenster aufgehängt. Darauf der Hinweis, dass Beratung einen Wert hat und kompetenter Fachhandel auch Umsatz brauche. Dazu noch die Bitte, nicht zu fotografieren. Bisher habe er im Laden nur positive Reaktionen bekommen, sagt er.
Petar Punjek will seine Kunden mit diesem Plakat daran erinnern, dass Beratung einen Wert hat.
Einzelhandel prägt das Stadtbild
Und auch vor der Tür in der Fußgängerzone sorgen sich viele um die Zukunft des Einzelhandels. Sich im Laden beraten lassen und dann online kaufen – die meisten Passanten lehnen das ab. „Ich versuche das nicht zu machen“, sagt etwa Stefan Geyer. Ihm ist es ein Anliegen, dass der Einzelhandel und das durch ihn geprägte Stadtbild erhalten bleiben.
Santiago Cianca dagegen gibt offen zu, dass es Situationen gibt, in welchen er nach einem Ladenbesuch doch im Internet kauft: „Dann, wenn ich keine Eile habe und wenn es einen günstigen Preis online gibt, dann kaufe ich online.“ Und Nele Faust macht es oft umgekehrt: Sie recherchiert im Internet und geht dann gut informiert in den Laden. „Da probiere ich dann an und kaufe da auch meist.“
Internet bringt die Kunden auch in die Läden
Online informieren und dann im Laden kaufen – auch das kommt vor, und das sogar häufiger als der umgekehrte Fall, sagt Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung. Laut seiner Studie, die er im Jahr 2023 im Auftrag von Google Deutschland erstellt hat, geschieht das bei 49 Prozent der Einkäufe im Einzelhandel.
Das Internet bringe die Menschen also auch in die Läden. „Das ist ein sehr starkes Phänomen, wir sehen das Generationen-übergreifend“, erklärt er. Dagegen nehme der Trend, nach Beratung im Laden online zu bestellen, seit Jahren ab.
In Karlsruhe kauft Julia Wintringer ihren Schuh am Ende tatsächlich im Laden. Sie will den Einzelhandel unterstützen, sagt sie, weil sie online schlechte Erfahrungen gemacht hat. „Ich habe schon einmal online bestellt und da war es eben leider so, dass ich mir wirklich Blasen an den Füßen gelaufen habe“, berichtet sie. Petar Punjek freut sich, wenn es so läuft, sagt er. Nicht nur, weil er als Händler überleben wolle. Auch schlicht deshalb, weil in seiner Beratung viel Herzblut stecke.