In Deutschland werden jährlich rund 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Allerdings landen geschätzt rund 400 Millionen auf den Konten von Erbschleichern. Diese gehen bei ihren Opfern strategisch vor.
Sie erschleichen sich Vertrauen, manipulieren oder täuschen die Erblasser, überreden sie zu Testamentsänderungen oder Schenkungen. Der emotionale und finanzielle Schaden, den Erbschleicher anrichten, ist enorm. Auch für Unternehmen. Das erlebt Jürgen Bühler aus Schwäbisch Gmünd. Er fürchtet um die Existenz seines Betriebes.
Seit beinahe 30 Jahren führt er das Agrartechnikunternehmen seiner Familie. Er war immer der Meinung, dass er als Geschäftsführer auch Eigentümer der Firma ist, da ihm sein Vater, der inzwischen verstorben ist, ein Vorausvermächtnis über die Firma gegeben hatte. Bühler muss 2018 erfahren, dass ein naher Verwandter über eine Vorsorgevollmacht der Mutter Ansprüche über das Firmenvermögen anmeldet. „Er überzieht mich mit Anzeigen, mit gerichtlichen Verfahren, so dass ich meinen Betrieb ziemlich herunterfahren muss. Es geht soweit, dass ich Mitarbeiter freistellen musste“, beklagt Bühler.
Anschleichen, Abschotten, Abzocken
Wolfgang Böh aus Gräfelfing bei München ist Fachanwalt für Erbrecht und spezialisiert auf Erbschleicherei. Er kennt die Strategie der Erbschleicherinnen und Erbschleicher, die meist nach einer bewährten Methode vorgehen: anschleichen, Abschotten, Abzocken. Der Anwalt weiß, dass auch Unternehmer und Unternehmerinnen im Visier von Erbschleichern sind, da die Täter dort Vermögenswerte vermuten.
Die Erbschleicher kommen aus der eigenen Familie oder es sind Fremde, die sich das Vertrauen von älteren Menschen erschleichen. „Ich habe sehr viele Fälle, in denen ältere Menschen – also Unternehmenspersönlichkeiten – schwer erkranken, sich dann ein Erbschleicher andockt und dann nicht nur dieses persönliche Umfeld knackt, sondern letztlich das gesamte Unternehmen.“ Dies betreffe dann alle, die mit dem Unternehmen zu tun haben.“Die Zulieferer, die Mitarbeitenden alle werden geschädigt, weil das Unternehmen in den Konkurs getrieben wird – und manchmal nichts übrig bleibt.“
Erbschleicherei bleibt unbestraft
Erbschleicherei ist in Deutschland keine Straftat. Nur wenn Urkundenfälschung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Spiel sind, können die Strafverfolgungsbehörden tätig werden.
Der bayerische Staatsminister für Justiz, Georg Eisenreich, möchte Senioren besser vor Erbschleichern schützen und sagt: „Ich habe schon 2021 bei der Justizministerkonferenz einen Antrag eingebracht. Zum einen, dass das Strafantragserfordernis bei der Haus- und Familienuntreue wegfällt. Dann könnten die Staatsanwaltschaften von Amts wegen ermitteln. Und, dass ein Vorsorgebevollmächtigter nicht die Vorsorgevollmacht eines anderen widerrufen kann. Beide Forderungen sind eingebracht. Jetzt liegt es am Bundesgesetzgeber, zu handeln. Ich hoffe, dass dies bald geschieht“, so der CSU-Politiker.
Bei Verdacht schnell handeln
Eine solche Gesetzesänderung könnte auch Christa Z. helfen. Die vermögende Seniorin aus Ismaning bei München gab ihrem Untermieter Matthias M. eine Vorsorgevollmacht, woraufhin er innerhalb von kürzester Zeit ihr Konto leerräumte und eine Eigentumswohnung verkaufte. Zudem untersagte er Christa Z. den Umgang mit ihrer Familie und ihren Freundinnen und brachte sie in ein Pflegeheim. Dort gab er dann an, dass er auch der Alleinerbe der Villa der Seniorin sei.
Experte Böh betont in dem Zusammenhang, wie wichtig es sei, schnell zu handeln, wenn der Verdacht eine Erbschleicherei besteht. „Man muss sofort reagieren. Abwarten nützt nichts. Zu hoffen, dass eine staatliche Institution von selbst agiert oder dass man vielleicht am besten erst den Erbfall abwartet und dann sieht, was kommt, das halte ich für falsch.“
Hohe Kosten für Angehörige
Wer gegen einen Erbschleicher vorgehen will, für den bedeutet das allerdings, dass er detaillierte Beweise selbst vorlegen muss. Das verursacht häufig Kosten und Mühen. So auch im Fall von Christa Z., in dem ihre Angehörigen Gisela C. und Margot B. helfen wollen. Sie haben bereits Tausende von Euro an Anwaltskosten gezahlt. „Der ganze Schriftverkehr und die Rechnungen, da sind wir dann schon bei bei 10.000 Euro.“ Dies könne aber nicht jeder stemmen.
Margot B. und ihre Freundin Gisela C. wollen dennoch weiter darum kämpfen, dass die Verträge rückgängig gemacht werden, der mutmaßliche Erbschleicher die Verluste erstattet und Christa Z. wieder nach München kommt. Auch Jürgen Bühler nimmt die Kosten und den Aufwand in Kauf, um sein Unternehmen vor dem mutmaßlichen Erbschleicher zu schützen.
