1. Der Fall – was ist passiert?
Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht aus München bewarb sich auf eine befristete Stelle im Justiziariat einer deutschen Universität. Kurz vor dem Vorstellungsgespräch kam einem Mitglied der Auswahlkommission sein Name bekannt vor, sodass die Personalabteilung den Bewerber „gegoogelt“ hat. Dabei stießen sie auf einen Wikipedia-Eintrag, der eine erstinstanzliche, aber noch nicht rechtskräftige Verurteilung wegen (versuchten) Betrugs auflistete. Die Universität informierte ihn während des weiteren Auswahlprozesses jedoch nicht darüber, dass sie diese Recherche durchgeführt und die gefundenen Informationen ausgewertet hatte. Im Vorstellungsgespräch wurde lediglich allgemein auf seinen „Promi-Status“ verwiesen, ohne Details zur Verurteilung zu nennen. Eine andere Kandidatin bekam schließlich den Job – der Anwalt blieb außen vor und fühlte sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Er machte daher vor Gericht unter anderem einen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO geltend, weil er behauptete, erst durch eine datenschutzwidrige Praxis zum bloßen Objekt der Datenverarbeitung geworden zu sein. 😕
2. Die rechtlichen Leitplanken – Grundlagen und Begriffserklärungen
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Personenbezogene Daten & DSGVO
Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gehören alle Informationen über eine identifizierbare Person zu den „personenbezogenen Daten“. Selbst öffentlich zugängliche Inhalte im Internet – etwa Zeitungsartikel oder Wikipedia-Einträge über eine Einzelperson – fallen unter den DSGVO-Schutz, sobald sie dem Namen oder der Identität einer Person zugeordnet werden können. -
Rechtsgrundlage für eine Google-Recherche
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat bereits bestätigt, dass eine Internetrecherche über Bewerberinnen und Bewerber im Bewerbungskontext grundsätzlich zulässig sein kann, wenn sie „erforderlich“ ist, um die Eignung zu beurteilen (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO). ❗ Insbesondere bei öffentlichen Arbeitgebern kommt das verfassungsrechtliche Gebot der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) hinzu: Wer in der öffentlichen Verwaltung eingestellt wird, soll objektiv den besten Eindruck hinterlassen. Erkennt ein Auswahlgremium Unklarheiten oder Zweifel (etwa ein bekannter Name oder widersprüchliche Angaben im Lebenslauf), ist eine vertiefende Überprüfung per Google-Suche nicht grundsätzlich verboten. -
Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO
Dennoch greift hier eine weitere wichtige Regel: Wenn personenbezogene Daten nicht direkt vom Betroffenen erhoben werden, ist der Verantwortliche (also der Arbeitgeber) verpflichtet, unverzüglich über diese Datenerhebung und deren Zweck zu informieren. Im Klartext heißt das, sobald eine Internetrecherche stattfindet, muss der Bewerber darüber in Kenntnis gesetzt werden:- Welche Datenkategorien wurden recherchiert (z. B. Wikipedia-Eintrag zu Strafverfahren)?
- Zu welchem Zweck wurden sie verarbeitet (z. B. Eignungsprüfung)?
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Wer ist Verantwortlicher (z. B. Universität Düsseldorf)?
Unterlässt der Arbeitgeber diese Mitteilung, verstößt er gegen die DSGVO-Transparenzpflicht und öffnet die Tür für Schadensersatzansprüche.
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Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO
Das Recht auf Entschädigung dient insbesondere dem Ausgleich immaterieller Schäden wie Kontrollverlust oder Verletzung des Persönlichkeitsgefühls. Ein konkreter finanzieller Schaden (z. B. entgangener Gewinn) muss nicht nachgewiesen werden, solange ein immaterieller Schaden plausibel gemacht wird. Die Rechtsprechung des EuGH verlangt zudem einen Zusammenhang („Kausalität“) zwischen Verstoß und Schaden: Der Nachteil muss gerade aus der fehlenden Information resultieren, nicht aus einer völlig anderen Ursache.
3. Lösung durch das BAG
Am 5. Juni 2025 entschied das Bundesarbeitsgericht (Az. 8 AZR 117/24) zu Gunsten des Bewerbers: Die Universität Düsseldorf muss dem Anwalt 1.000 Euro Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO zahlen. 💶 Dabei bestätigte das BAG im Wesentlichen zwei Punkte:
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Zulässigkeit der Google-Recherche: Die Richter sahen keine generelle Unzulässigkeit darin, dass die Uni den Bewerber online überprüft hat. Da der Name dem Auswahlgremium bekannt vorkam und mögliche Zweifel an der Seriosität bestanden, war eine Internetrecherche im Sinne einer Erforderlichkeit gerechtfertigt.
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Verletzung der Informationspflicht: Entscheidend war, dass die Universität den Bewerber nicht darüber informiert hat, dass sie seine personenbezogenen Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen erhoben und ausgewertet hat. Damit lag ein klarer Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO vor, denn er wurde während des Bewerbungsverfahrens nicht mit den gefundenen Informationen konfrontiert oder um eine Stellungnahme gebeten.
Das BAG wies jedoch die weitergehenden Klageanträge (z. B. Entschädigung nach AGG, Ersatz entgangenen Gewinns, weitergehende immaterielle Schäden) ab. Es blieb bei dem pauschalen Wiedergutmachungsbetrag von 1.000 Euro für den immateriellen Schaden. Damit ist (für den Moment) endgültig klargestellt, dass ein bloßer Verstoß gegen die Informationspflicht nicht automatisch höhere Geldforderungen nach sich zieht, solange keine weiterreichenden wirtschaftlichen Schäden bewiesen werden.
4. Einordnung in der Praxis – Was bedeutet das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
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Für Arbeitgeber
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Gezielte Internetrecherche ja – Heimliches Googeln nein: Eine Google-Suche im Bewerbungsverfahren kann zulässig sein, wenn ein konkreter Anlass besteht (z. B. ungewöhnlicher Werdegang, unbekannter Name, offensichtliche Diskrepanzen im Lebenslauf). 🙋♀️
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Transparenz und Dokumentation: Kommt eine solche Recherche zustande, müssen Sie das Bewerbungsverfahren unterbrechen oder zumindest den Kandidaten zeitnah informieren, welche öffentlich zugänglichen Daten Sie gefunden haben und wie Sie diese in Ihre Entscheidung einfließen lassen. Ein kurzer Hinweis per E-Mail oder im Rahmen eines persönlichen Gesprächs schützt vor Bußgeld und Schadensersatzansprüchen. 📧
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Beruflich relevante Informationen: Beschränken Sie sich auf Fakten, die unmittelbar mit der beruflichen Eignung zusammenhängen (z. B. gerichtliche Entscheidungen, Fachartikel zur beruflichen Qualifikation). Private Details, politische Meinungen oder unwahrscheinliche Gerüchte haben in einer Einstellungsentscheidung nichts verloren und bergen hohe Abmahnrisiken. 🚫
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Für Arbeitnehmer
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Aktives Auskunftsrecht nutzen: Wenn Sie den Eindruck haben, dass eine Internetrecherche stattgefunden hat (etwa weil im Gespräch angedeutet wurde, jemand habe Sie „im Blick gehabt“), können Sie eine formlose Anfrage nach Art. 15 DSGVO stellen. Darin fragen Sie: „Haben Sie im Rahmen des Auswahlverfahrens personenbezogene Daten über mich aus anderen Quellen als mir selbst erhoben, und wenn ja, welche?“ Das verschafft Klarheit und signalisiert: „Ich beobachte meine Daten!“ 🕵️
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Bei Unterlassung Schadensersatz prüfen lassen: Wenn Sie erfahren, dass eine solche Recherche unzulässig oder ohne Information durchgeführt wurde, sollten Sie rechtlichen Rat einholen. Ein einmaliger Pauschalbetrag um 1.000 Euro ist in vergleichbaren Fällen nicht ungewöhnlich. Gleichzeitig zeigt das Urteil: Ihr Schutzbedürfnis gegenüber heimlicher Datenverarbeitung wird ernst genommen. 🤝
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Leitlinien für die eigene Internetpräsenz: Achten Sie darauf, dass berufliche Online-Profile (z. B. LinkedIn, XING, Fachpublikationen) aktuell und sachlich sind. So verhindern Sie, dass Arbeitgeber ungewollt oder falsch interpretierbare Inhalte finden. Ein gepflegtes Profil stärkt Ihre Position im Bewerbungsprozess. 📱
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5. Fazit
Das BAG-Urteil vom 5. Juni 2025 unterstreicht: Arbeitgeber dürfen Bewerberinnen durchaus per Google und Co. „hintergrundchecken“, wenn ein konkreter Verdacht oder Anlass vorliegt. ✔️ Die Datenschutzregeln verlangen jedoch zwingend Transparenz. Wer die Recherche verschweigt und dem Bewerber nicht offenlegt, welche Daten er dabei erhoben hat, riskiert einen DSGVO-Verstoß samt Schadensersatzpflicht (hier: 1.000 Euro). Für Bewerberinnen bedeutet das: Lassen Sie sich nicht einfach als bloßes Objekt einer heimlichen Internetrecherche abtun. Nutzen Sie Ihr Auskunftsrecht und holen Sie sich Rat, wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihre Daten unrechtmäßig ausgewertet wurden.
🔔 Tipp: Wenn Sie unsicher sind, welche Daten ein Arbeitgeber über Sie erhebt oder wie Sie selbst im Bewerbungsverfahren vorgehen sollten, sprechen Sie uns gern an. Wir beraten Sie bei allen Fragen rund um Datenschutz im Bewerbungsprozess und helfen Ihnen, Ihre Rechte zu wahren. 😊
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