Trotz der US-Handelspolitik gibt es in Europa auch Zuversicht: Eine der lautesten Stimmen aus der EU für mehr Freihandel ist Österreichs Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer. Er will den Binnenmarkt über die Kontinentalgrenzen hinaus denken – und hofft auf Deutschlands neue Regierung.
Seit fast vier Monaten hält US-Präsident Donald Trump die Wirtschaft und Regierungen in aller Welt mit seiner aggressiven Handelspolitik in Atem. Die extrem hohen Zölle, mit denen er auch enge Partner seines Landes bedroht, stellen das vernetzte globale Wirtschaftssystem infrage – sie könnten ein Ende der Globalisierung bedeuten.
Doch nun zeichnet sich in der EU ab, dass Trumps Drohungen auch das Gegenteil bewirken können: Die Verfechter des Freihandels fordern mehr Abkommen, engere Partnerschaften und geringere Zölle – mit oder ohne USA. Zu den lautesten Stimmen für mehr Freihandel zählt der Wirtschaftsminister von Österreich, Wolfgang Hattmannsdorfer, der seit Anfang April im Amt ist. „Wir müssen einen Binnenmarkt schaffen, der nicht an der Kontinentalgrenze Europas endet“, sagt er im Gespräch mit WELT.
Der Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) fordert einen „EWR Plus“, also eine Erweiterung des Europäischen Wirtschaftsraums, zu dem neben den 27 EU-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein gehören. In diesem Binnenmarkt solle es nicht nur Freihandel geben, sondern unter anderem gemeinsame Produktstandards und die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen.
Aufbauen könne man beispielsweise auf bestehenden EU-Abkommen, die gemeinsame Normen festlegen, etwa mit Israel im Bereich Pharma, mit Kanada beim Maschinenbau oder der Ukraine bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Die Welt verändere sich „und wir dürfen als Europa nicht zuschauen“, sagt der Minister.
Auch die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) spricht sich für mehr Freihandel und weniger wirtschaftliche Grenzen aus, wenn auch nicht so radikal wie ihr Parteifreund aus Österreich. „Handelskonflikte bremsen den Warenaustausch, bremsen das Wirtschaftswachstum und kennen am Ende keinen Sieger“, sagte sie vor dem Treffen der EU-Handelsminister letzte Woche in Brüssel. „Wir unterstützen die Europäische Kommission bei den Gesprächen, um diesen Handelskonflikt beizulegen und werden unseren Beitrag dazu leisten, den Handelskonflikt mit den USA zu lösen. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, Freihandelsverhandlungen mit weiteren Partnerländern und -regionen voranzutreiben.“
Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, das Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten möglichst rasch zu verabschieden und die Verhandlungen mit Indien und Indonesien zu beschleunigen. Damit folgt sie Forderungen der deutschen Wirtschaft, die immer wieder auf mehr Freihandel drängt. Zuständig für Handelspolitik ist allein die EU-Kommission, Verträgen müssen die Mitgliedstaaten und das Parlament zustimmen.
Merz helfe „ganz massiv“
Inzwischen blickt die EU auf eine lange Historie gescheiterter Verhandlungen zurück – auch weil die Abstimmung innerhalb der Union von 27 Ländern so kompliziert ist. Die Gespräche über den Mercosur-Vertrag beispielsweise haben vor 25 Jahren begonnen, die Verhandlungen mit Indien vor 18 Jahren. Zwischenzeitlich wurden diese Gespräche immer wieder unterbrochen. Jetzt könnte sich eine neue Chance ergeben, so hoffen es viele in der Wirtschaft.
Hattmannsdorfer sieht eine „Renaissance der Handelspolitik“. Seine Forderungen gehen aber weit über die mühsame Realität der EU-Verträge hinaus. So ist beispielsweise das Abkommen mit Kanada (Ceta) zwar seit 2017 in Kraft, aber noch immer nicht vollständig ratifiziert. Vor allem den Investitionsschutz-Regeln haben noch nicht alle Mitgliedstaaten zugestimmt.
Im aktuellen Streit mit den USA bemühen sich die Handelsminister, geschlossen hinter der Kommission aufzutreten. Trump hat bereits Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl, Aluminium und Autos verhängt, außerdem einen Basiszoll von zehn Prozent. Weitere Erhöhungen sind bis 9. Juli ausgesetzt. Die Europäische Union hat mit Gegenzöllen reagiert, weitere Maßnahmen aber bis 14. Juli auf Eis gelegt. Nun versucht Handelskommissar Maroš Šefčovič, den Streit vor dieser Frist zu lösen.
Der Österreicher Hattmannsdorfer hofft darauf, dass auch die neue Bundesregierung gegenüber Washington vermitteln kann. Bundeskanzler Friedrich Merz helfe „ganz massiv“, sagt er unter anderem mit Blick auf das Telefonat des deutschen Regierungschefs mit Trump Anfang Mai. „Wir brauchen wieder jemanden in Europa, der als Schlüsselspieler in der Vernetzung eine zentrale Rolle wahrnimmt.“
Er sei sehr zuversichtlich, dass es zu einem Umdenken in den USA komme, meint Hattmannsdorfer. „Ich glaube, Donald Trump hat auch gesehen, dass sein Vorpreschen mit den Zöllen ein Schuss ins Knie war, dass er sich vor allem selbst massiv geschadet hat.“ Es sei richtig, wenn Europa im Zollstreit selbstbewusst auftrete.
Der Handel der EU mit den USA erreichte im Jahr 2023 laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat einen Wert von 1,3 Billionen Euro – wenn man neben Waren auch Dienstleistungen berücksichtigt. In diesem Bereich hat die EU ein Defizit gegenüber den USA, das fast so groß ist wie das Handelsdefizit der Amerikaner bei realen Waren.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über Wirtschaftspolitik und Digitalisierung.