Im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Juli 2024 (Az. L 10 KR 343/24 B ER) geht es um einen Fall, in dem ein selbstständiger Steuerberater vorgeworfen wurde, für einen Arbeitnehmer seit Dezember 2021 die fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt zu haben. Daraufhin hatte die gesetzliche Krankenkasse einen Insolvenzantrag gegen den Steuerberater – in dessen Funktion als Arbeitgeber und Berufsmandatsträger – beim Amtsgericht Essen eingereicht. Der Steuerberater versuchte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Krankenkasse zu verpflichten, diesen Insolvenzantrag zurückzunehmen. Zwar wurde sein Antrag zunächst vom Sozialgericht Gelsenkirchen abgelehnt, doch fand er in der Beschwerde vor dem LSG schließlich Gehör 2.
Im Kern bemängelte das LSG, dass die Annahme – wonach ein Insolvenzantrag bereits allein auf-grund des Vorliegens insolvenzrechtlicher Voraussetzungen gerechtfertigt sei – zu kurz greift. Vielmehr müsse die gesetzliche Krankenkasse ihre sozialrechtlich gebotene Ermessens-entscheidung sorgfältig abwägen. Konkret hatte die Krankenkasse in diesem Fall einen deutlichen Ermessensfehler begangen, indem sie sich, ohne zuvor weniger einschneidende Voll-streckungsmaßnahmen (etwa individuelle Maßnahmen der Einzelvollstreckung) in ausreichen-dem Umfang zu prüfen, als erstes und schwerwiegendstes Mittel des Zwangsvoll-streckungsverfahrens ausschließlich des Insolvenzantrags bedient hat. Dies erscheint ins-besondere vor dem Hintergrund der vorhandenen Vermögenssituation des Steuerberaters – beispielsweise dessen Immobilienvermögen – überzogen, da mildere Eingriffe möglich gewesen wären .
Das Gericht wies zudem darauf hin, dass ein Insolvenzantrag weitreichende Konsequenzen haben kann, etwa im Hinblick auf den beruflichen Status des Steuerberaters. Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 4 Steuerberatungsgesetz steht im Raum, dass die Bestellung zum Steuerberater widerrufen werden kann, wenn dieser in Vermögensverfall gerät. Da das Insolvenzverfahren als solcher Indikator gelten kann, wäre eine vorschnelle Beantragung unter Missachtung milderer Eingriffs-möglichkeiten unangemessen. Aus diesen Gründen verpflichtete das LSG die Krankenkasse, den eingereichten Insolvenzantrag zurückzunehmen, da deren Entscheidung in diesem Fall als er-messensfehlerhaft zu werten ist .
Diese Entscheidung unterstreicht, dass bei der Anwendung von Zwangsvoll-streckungsmaßnahmen – insbesondere solchen mit gravierenden beruflichen und wirtschaft-lichen Folgen – nicht allein die formalen Voraussetzungen zu berücksichtigen sind, sondern auch eine differenzierte, sozialrechtlich fundierte Ermessensprüfung erfolgen muss. Die Maßnahme des Insolvenzantrags darf erst dann infrage kommen, wenn mildere, weniger einschneidende Maßnahmen ausgeschöpft wurden.
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