Ein Fintech direkt aus der Uni heraus zu starten, gleicht einer Achterbahnfahrt – mit Höhen, Tiefen und so mancher schlaflosen Nacht. Während einige Dinge auf Anhieb funktionieren, erfordern andere deutlich mehr Anpassung und Geduld. Die nachfolgenden Learnings aufgeteilt nach Abteilungen haben sich dabei als besonders wertvoll erwiesen. Angefangen bei der Frage, wie man die richtigen Leute findet, über den Aufbau einer skalierbaren IT bis hin zu operativen Strukturen, die Wachstum ermöglichen. Jedes Fintech bringt zwar eigene Herausforderungen mit sich, doch diese Erfahrungen von Artur Schlaht, CEO und Mitgründer des Hamburger Fintechs payever zeigen, welche Faktoren immer wieder über langfristigen Erfolg entschieden haben.
IT: Remote-First als strategische Chance
Gerade für Fintechs, die aus dem universitären Umfeld oder kleineren Städten heraus gegründet werden, stellt sich früh die Frage, wie und wo die ersten Talente gefunden werden. Insbesondere im Bereich IT und Produktentwicklung zeigt sich schnell, dass der lokale Arbeitsmarkt oft nicht ausreicht, um den Bedarf an spezialisierten Fachkräften zu decken.
Eine sinnvolle Option kann es daher sein, den Suchradius von Anfang an zu erweitern – sei es auf größere Metropolregionen oder gleich auf internationale Märkte. Besonders in osteuropäischen Ländern hat sich in den vergangenen Jahren eine starke Remote-Kultur entwickelt, die Unternehmen den Zugang zu hochqualifizierten Entwicklerteams ermöglicht. Der Vorteil liegt nicht nur in der größeren Talentdichte, sondern auch in einer hohen Flexibilität, die schnelles Wachstum besser unterstützt als starre Vor-Ort-Strukturen.
Ein vollständig remote organisiertes IT-Team ist für viele Fintechs längst keine Notlösung mehr, sondern wird zunehmend als fester Bestandteil moderner Unternehmensstrategien betrachtet. Hybride Modelle, in denen eine kleine lokale Mannschaft die Nähe zum Markt sichert, während spezialisierte Teams remote arbeiten, haben sich dabei besonders bewährt.
HR: Globale Teams und datengetriebenes Hiring als Erfolgsfaktor
In vielen Fintechs spielt die IT nicht nur eine unterstützende Rolle, sondern ist das Herzstück des gesamten Geschäftsmodells. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an Geschwindigkeit, Qualität und Skalierbarkeit in der Softwareentwicklung. Gerade in dieser Branche zeigt sich, dass traditionelle Hiring-Ansätze – stark fokussiert auf den lokalen Arbeitsmarkt – oft an ihre Grenzen stoßen.
Ein zunehmend verbreiteter Ansatz ist es, den Recruiting-Prozess radikal zu öffnen und von Anfang an international auszurichten. Statt sich auf regionale Netzwerke zu verlassen, wird zunehmend auf datengetriebene Auswahlprozesse gesetzt: Große Pools an EntwicklerInnen werden über standardisierte Tests und Assessments gescreent, bevor die besten Spezialisten gezielt weiter ins Auswahlverfahren genommen werden.
Dieser systematische Fokus auf Qualität statt Standort zahlt sich vor allem bei hochspezialisierten Technologien aus. Ob Node.js, Go oder Kubernetes: Für nahezu jedes Technologiefeld lassen sich weltweit Expertinnen und Experten finden, die genau die Skills mitbringen, die in einer bestimmten Wachstumsphase benötigt werden. Die technische Infrastruktur vieler Fintechs ist inzwischen so aufgestellt, dass selbst leitende Rollen remote besetzt werden können – ohne dass dies die Steuerbarkeit oder Produktivität des Teams einschränkt.
Sales: Zwei Welten zusammenbringen
Für viele Fintechs liegt eine der größten Herausforderungen darin, zwei unterschiedliche Seiten eines Marktes miteinander zu verknüpfen. In einem Ökosystem, das sowohl auf Händler als auch auf Banken angewiesen ist, bedeutet das oft doppelten Aufwand – mit völlig unterschiedlichen Herangehensweisen.
Während sich Händler oft direkt und unkompliziert ansprechen lassen, sind Banken und institutionelle Partner schwerer zugänglich. So ist eine Bank nicht durch klassische Kaltakquise per Telefon oder E-Mail ansprechbar, während beide Methoden als wichtiger Akquisekanal für Händler genutzt werden können. Für Finanzinstitute lohnt es sich, gezielt relevante Fachartikel oder Veröffentlichungen zu analysieren, um die richtigen Ansprechpartner zu finden. Plattformen wie LinkedIn oder branchenspezifische Events bieten dann Möglichkeiten, den Erstkontakt herzustellen.
Gerade in stark regulierten Branchen zeigt sich immer wieder, dass persönliche Begegnungen eine entscheidende Rolle spielen. Messen, Konferenzen und Netzwerkevents bleiben für den Aufbau vertrauensvoller Geschäftsbeziehungen essentiell, besonders wenn es darum geht, langfristig Brücken zwischen zwei Marktseiten zu schlagen.
Operations: Strukturen, die Wachstum tragen
Sobald die ersten großen Partner an Bord sind, verlagert sich der Fokus schnell: von der reinen Akquise hin zur Skalierung der internen Abläufe. Denn mit den ersten Kunden steigt nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Komplexität. Wer hier keine belastbaren Strukturen schafft, riskiert, dass Wachstum zum größten Engpass wird.
Ein zentraler Punkt ist das Ticket- und Support-Management. Kunden erwarten schnelle und verlässliche Antworten – ein schlecht organisiertes System kann schnell zum Hindernis werden. Viele Fintechs setzen daher früh auf professionelle Lösungen, um jede Anfrage systematisch zu erfassen und effizient zu bearbeiten.
Genauso entscheidend ist das Thema Knowledge Management. Je größer eine Plattform wird, desto mehr Prozesse, Schnittstellen und Spezialfälle entstehen. Dokumentation ist daher nicht nur eine interne Formalität, sondern essentiell, um Skalierbarkeit und Qualität langfristig sicherzustellen. Wer dieses Wissen strukturiert und zugänglich macht, spart nicht nur Zeit, sondern verhindert auch, dass kritisches Know-how an Einzelpersonen gebunden bleibt.
Marketing: Fokus schlägt Streuung
Gerade in der Anfangsphase eines Fintechs scheint es naheliegend, möglichst viele Marketingkanäle gleichzeitig zu bespielen. Veröffentlichungen sorgen für erste Aufmerksamkeit, und schnell entsteht der Impuls, auf sämtlichen Plattformen präsent zu sein – von LinkedIn über Instagram bis hin zu TikTok. Doch in der Praxis zeigt sich, dass ein breiter Ansatz selten nachhaltig funktioniert, wenn nicht für jeden Kanal eigene Ressourcen bereitstehen.
Erfolgreiche Fintechs setzen auf einen kanalzentrierten Ansatz, der genau dort ansetzt, wo ihre Zielgruppe aktiv ist. Besonders im B2B-Bereich haben sich Website-Content und LinkedIn als wertvolle Werkzeuge erwiesen – nicht nur, weil hier branchenspezifische Inhalte gut performen, sondern auch, weil Fachpublikum und Entscheidungsträger leichter direkt angesprochen werden können.
Suchmaschinenwerbung (SEA) hingegen erweist sich in vielen Fällen als Herausforderung. Während Endkunden gezielt nach Finanzierungsoptionen suchen, sind spezifische B2B-Keywords oft nicht profitabel, da das Suchvolumen schlicht nicht existiert. Ein Händler sucht in der Regel nicht nach “Finanzierung für Kunden anbieten” – hier greifen andere Strategien wie eine gezielte Ansprache besser.
Das zentrale Learning: Marketing funktioniert dann am besten, wenn Content und Zielgruppe präzise aufeinander abgestimmt sind. Statt sich auf zu viele Kanäle zu verteilen, lohnt es sich, Energie gezielt in einen oder zwei wirklich relevante Touchpoints zu stecken.
Die Kunst, sich anzupassen
Ein Fintech zu gründen bedeutet, immer wieder ins Ungewisse zu springen. Pläne funktionieren oft anders als gedacht, Märkte verändern sich und manche Strategien, die anfangs vielversprechend erscheinen, erweisen sich als Sackgassen. Gleichzeitig gibt es Entscheidungen, die sich rückblickend als genau richtig herausstellen – auch wenn sie sich in dem Moment nicht so anfühlen.
Beispielsweise liest man immer, dass man als Startup nicht auf Konzerne setzen sollte, diese haben lange Prozesse und oft scheitert es an der finalen Vertragsunterschrift. Wir hatten uns bewusst für diesen Weg entschieden und haben über diese Option ohne Wachstumsfinanzierung ein profitables Unternehmen aufbauen können.
Wachstum ist nicht nur eine Frage der richtigen Idee, sondern vor allem der Fähigkeit, sich anzupassen. Die größten Fortschritte entstehen nicht aus perfekt durchdachten Strategien, sondern aus pragmatischen Lösungen für akute Probleme. Und manchmal zeigt sich erst im Rückblick, welche dieser Entscheidungen ein Volltreffer waren.
Über Artur Schlaht
Artur Schlaht ist Mitgründer und CEO des Fintechs payever, das sich auf Bezahllösungen für den Onlinehandel spezialisiert hat. 2013 in Hamburg gegründet, ist das Unternehmen in neun Märkten aktiv und zählt 5.000 Kunden wie MediaMarkt/Saturn und 1Komma5.
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