Seit der Corona-Pandemie hat die Zusammenarbeit mit Freelancern für Unternehmen an Attraktivität gewonnen. Keine festes Personal, geringere Kosten durch den Wegfall von Sozialabgaben, schnelle Verfügbarkeit – die Vorteile liegen auf der Hand. Doch was viele Firmen unterschätzen, ist das Damoklesschwert der „Scheinselbstständigkeit“. Dieser Begriff beschreibt eine Situation, in der ein Freelancer formal selbstständig auftritt, tatsächlich aber wie ein festangestellter Mitarbeiter arbeitet. Die Folgen? Von Nachzahlungen in exorbitanter Höhe bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen für Geschäftsführer – die Risiken sind enorm. Schauen wir einmal auf die Einzelheiten, und was Sie tun können.
Was ist Scheinselbstständigkeit – und warum ist sie so tückisch?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn ein Freelancer in die Arbeitsorganisation eines Unternehmens eingebunden ist, Weisungen erhält und kein unternehmerisches Risiko trägt – Merkmale, die ihn von einem echten Selbstständigen unterscheiden. Ein typisches Beispiel: Ein IT-Freelancer sitzt täglich im Büro des Auftraggebers, nutzt dessen Equipment, hält sich an feste Arbeitszeiten und hat nur diesen einen Kunden. Aus Sicht eines Dritten unterscheidet er sich nicht von einem Angestellten. Genau hier lauert die Gefahr. In Deutschland und der EU – insbesondere in Ländern wie Frankreich – prüfen Sozialversicherungsträger und Finanzbehörden solche Konstellationen streng. Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, gelten rückwirkend alle Pflichten eines Arbeitsverhältnisses: Sozialabgaben, Lohnsteuer, Kündigungsschutz. Die Nachforderungen können bis zu vier Jahre zurückreichen – bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre.
Die Pandemie hat diese Grauzone verschärft. Chaotische rechtliche Rahmenbedingungen und staatliche Förderungen, die teils gegen Arbeitsrecht verstießen, haben den Einsatz von Freelancern normalisiert. Doch die Behörden holen auf – und die Konsequenzen treffen Unternehmen unvorbereitet.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Startup hat jahrelang „Consultants“ im EU-Ausland, insbesondere Spanien & Frankreich, als Freelancer beschäftigt. Im Rahmen einer Betriebsprüfung schaltete ein pfiffiger Betriebsprüfer die zuständigen Finanzbehörden im Ausland ein. Spoiler: Es ergab sich ein hoher sechsstelliger Betrag, um mit Ach und Krach aus dieser „Geschichte“ herauszukommen. Drohende Strafermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführung wegen Sozialversicherungsbetrugs & Steuerhinterziehung konnten wir mit guter Begründung und Überzeugungsarbeit abwehren.
Solche Fälle sind aber keine Seltenheit!
Internationaler Kontext: Employer of Record vs. EU-Recht
Außerhalb Europas, etwa in den USA oder Asien, greifen viele Unternehmen auf „Employer of Record“ (EOR)-Dienstleister wie Deel zurück. Diese übernehmen die rechtliche Arbeitgeberrolle, entlasten Firmen von Haftungsrisiken und stellen Compliance sicher. Startups nutzen solche Modelle gerne, um global flexibel zu bleiben. Doch in Deutschland und anderen EU-Ländern existiert dieses Konzept nicht. Hier haftet der Auftraggeber direkt, wenn die Grenze zur Scheinselbstständigkeit überschritten wird. Der Versuch, EOR-Modelle in der EU zu kopieren, scheitert oft an den strengen nationalen Vorschriften. Das macht die Lage für international tätige Unternehmen besonders komplex – und (dankenswerterweise) meine Beratung umso gefragter.
Die Risiken im Fokus: Finanzen, Recht und Reputation
Die finanziellen Folgen sind nur die Spitze des Eisbergs. Neben Nachzahlungen drohen strafrechtliche Konsequenzen: Geschäftsführer können persönlich haftbar gemacht werden, wenn Beiträge vorsätzlich nicht abgeführt wurden. Auch der Imageschaden ist nicht zu unterschätzen – ein Unternehmen, das als „Sozialbetrüger“ gilt, verliert Vertrauen bei Kunden und Partnern. Hinzu kommt: Scheinselbstständige können nach Feststellung ihres Status Arbeitnehmerrechte einklagen, etwa Urlaubsansprüche oder Abfindungen.
Auch hier aus meiner eigenen Praxis: Ein Freelancer wurde plötzlich „gekündigt“, nachdem er jahrelang Kernbestandteil des Teams war und sogar auf der Homepage des „Kunden“ vorgestellt wurde. Hier haben wir für den Freelancer natürlich eine hohe Vergleichssumme erzielen können, weil das Unternehmen so ziemlich alles falsch gemacht hat, was es falsch machen konnte.
Wie vermeiden Sie Scheinselbstständigkeit? Praktische Tipps aus der Erfahrung
Es ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Diese Struktur steht und fällt mit der Darstellung nach Außen – wenn eine Konstellation gut begründet ist und Sinn macht, dann gibt es wenig zu befürchten. Hier ein paar allgemeine, dennoch wertvolle Hinweise:
- Vertragliche Klarheit: Formulieren Sie Verträge so, dass die Selbstständigkeit eindeutig ist – keine Weisungsgebundenheit, freie Arbeitszeiten, eigene Arbeitsmittel.
- Mehrere Auftraggeber: Ermutigen Sie Freelancer, für verschiedene Kunden tätig zu sein, um die Abhängigkeit zu reduzieren.
- Statusfeststellung: Beantragen Sie frühzeitig ein Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung, um Klarheit zu schaffen.
- Unternehmerisches Risiko: Stellen Sie sicher, dass Freelancer eigene Risiken tragen, etwa durch Investitionen in Equipment oder Kundenakquise.
- Schulung: Sensibilisieren Sie Ihre Führungskräfte für die Risiken und Kriterien.
Warum jetzt handeln?
Die Behörden verschärfen ihre Kontrollen, die Rechtsprechung wird strenger und auch der Gesetzgeber gibt nicht nach, weitere Hürden zu schaffen (insbesondere verschärfter Regelungen am AÜG hinsichtlich der o.g. Employer of Record-Konstellation). Unternehmen, die jetzt nicht umsteuern, riskieren nicht nur finanzielle Verluste, sondern auch ihre Existenz. Die Erfahrung insbesondere aus meiner Beratungspraxis zeigt: Prävention ist günstiger als Schadensbegrenzung. Ob Startup oder Konzern – überall gibt es Verbesserungsbedarf.
Ihr nächster Schritt
Scheinselbstständigkeit ist ein Minenfeld, aber eines, das Sie mit der richtigen Beratung sicher durchqueren können. Fragen Sie gern einmal nach.
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