Ein Beitrag von Michael Böhler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Konstanz
Wenn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren – etwa wegen Körperverletzung, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort oder Gefährdung des Straßenverkehrs – eingeleitet wird, beginnt eine Phase, in der entscheidende Weichen gestellt werden – nicht selten für den Ausgang des gesamten Verfahrens. Für Strafverteidiger ist das Ermittlungsverfahren daher nicht bloße Vorbereitung, sondern der Zeitpunkt für die Weichenstellung. Ziel ist es, belastende Entwicklungen zu verhindern, Rechtsverstöße aufzudecken und – wenn möglich – eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.
1. Schnelles Handeln: Kontaktaufnahme und erste Sicherungsmaßnahmen
Zunächst sollte geklärt werden:
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In welchem Stadium befindet sich das Verfahren?
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Gab es bereits Maßnahmen wie eine Durchsuchung, Vernehmung oder Beschlagnahme?
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Ist der angebliche Täter bereits beschuldigt – oder steht dies erst bevor?
Oft ist schnelles Handeln gefragt – sei es, um drohende Nachteile abzuwenden, oder um die Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden zu kanalisieren.
2. Akteneinsicht ist oberstes Gebot
Ohne vollständige Akteneinsicht kann es keine fundierte Verteidigungsstrategie geben. Der Verteidiger beantragt daher umgehend Einsicht in die Ermittlungsakte (§ 147 StPO) – einschließlich digitaler Beweismittel, Gutachten oder Vernehmungsprotokolle.
Erst nach Durchsicht der Akte kann beurteilt werden, ob der Tatverdacht tragfähig ist, ob Beweise rechtmäßig erhoben wurden und ob eine Einlassung zur Sache geboten ist.
3. Ruhe bewahren: unbedingt (zunächst) schweigen
Ein häufiger Fehler von Beschuldigten besteht darin, sich spontan zur Sache zu äußern – in der Hoffnung, Missverständnisse aufzuklären. Der Verteidiger muss ihm daher klarmachen:
👉 Keine Aussage ohne Aktenkenntnis.
Das Aussageverweigerungsrecht ist kein Schuldeingeständnis – sondern ein fundamentales Verteidigungsrecht. Eine frühzeitige, unüberlegte Aussage kann später kaum noch korrigiert werden. Manche reden sich leider „um Kopf und Kragen“.
4. Zwangsmaßnahmen prüfen und angreifen
Wird das Verfahren mit Eingriffsmaßnahmen flankiert – etwa einer Hausdurchsuchung, Beschlagnahme oder Untersuchungshaft – ist die sofortige rechtliche Überprüfung unerlässlich:
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Wurden Formvorschriften eingehalten?
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War der Durchsuchungsbeschluss ausreichend begründet?
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Liegen konkrete Verdachtsmomente vor?
Ggf. sind Beschwerden (§ 304 StPO) oder Anträge auf richterliche Entscheidung einzureichen, etwa bei unzulässigen Beschlagnahmen (§ 98 Abs. 2 StPO).
5. Verteidigungsstrategie: aktiv oder defensiv?
Nach Sichtung der Akte stellt sich die Kernfrage:
🔹 Einlassung oder Schweigen?
In vielen Fällen ist eine schriftliche Stellungnahme des Verteidigers sinnvoll – etwa zur Aufklärung von Missverständnissen oder zur Darstellung eines abweichenden Sachverhalts.
Ziel kann sein:
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eine Einstellung mangels Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO),
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eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit (§§ 153, 153a StPO),
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oder eine Deeskalation des Ermittlungsdrucks.
6. Gespräche mit der Staatsanwaltschaft suchen
Die Verteidigung im Ermittlungsverfahren lebt auch vom Dialog mit der Staatsanwaltschaft. Ein aktiver Verteidiger lotet frühzeitig aus, ob eine einvernehmliche Lösung möglich ist – etwa im Rahmen einer Einstellung gegen Auflagen, eines Täter-Opfer-Ausgleichs oder einer Bewährungsvereinbarung.
7. Eigenes Beweismanagement
Auch in der frühen Verfahrensphase sollte die Verteidigung nicht nur reagieren, sondern:
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Entlastende Beweise sichern
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Zeugen kontaktieren (mit Vorsicht!)
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Sachverständige einschalten, insbesondere bei komplexen Sachverhalten (Verkehr, IT, Medizin etc.)
8. Vorbereitung auf eine mögliche Anklage
Gelingt keine Einstellung, muss frühzeitig die Strategie für das Zwischenverfahren und ggf. die Hauptverhandlung vorbereitet werden. Dazu gehört auch die Überlegung, ob Verfahrenshindernisse (z. B. Verjährung, fehlende Zuständigkeit) oder rechtliche Einwände vorliegen.
Fazit: Die Verteidigung beginnt nicht erst im Gerichtssaal
Ein Ermittlungsverfahren ist keine bloße Vorstufe der Hauptverhandlung – es ist das Herzstück der Strafverteidigung. Wer hier frühzeitig eingreift, strategisch denkt und konsequent handelt, kann nicht nur das Risiko einer Verurteilung mindern, sondern oft auch ein Gerichtsverfahren ganz vermeiden.
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Als erfahrener Verteidiger stehe ich Ihnen bundesweit zur Seite – diskret, kompetent und engagiert.