Sachverhalt
In dem aktuellen Verfahren (BAG, Urteil vom 12.02.2025 – 5 AZR 171/24) entschied das Bundesarbeitsgericht über die Wirksamkeit des Widerrufs der privaten Nutzungsmöglichkeit eines Dienstwagens während einer Freistellung in der Kündigungsfrist. Hintergrund war ein Arbeitsverhältnis zwischen einer gemeinnützigen Einrichtung (Beklagte) und einem Angestellten (Kläger), in dessen Arbeitsvertrag ihm ein Firmenfahrzeug „der Mittelklasse“ auch zur privaten Nutzung zugesichert worden war.
Das monatliche Bruttogehalt des Klägers betrug rund 10.457 Euro, hinzu kam als geldwerter Vorteil die Privatnutzung des Dienstwagens. Dieser Vorteil wurde – entsprechend der sogenannten 1-Prozent-Regelung aus dem Einkommensteuerrecht – in Höhe von monatlich 457 Euro brutto in den Gehaltsabrechnungen berücksichtigt und lohnversteuert.
Nach einer Umorganisation im Unternehmen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 31. August 2023 und stellte ihn zugleich sofort von der Arbeit frei. In derselben Erklärung forderte sie den Kläger auf, das Firmenfahrzeug umgehend (konkret zum 24. Mai 2023) zurückzugeben. Der Kläger kam dieser Aufforderung einen Tag früher, am 23. Mai 2023, nach.
Als Rechtsgrundlage zog die Beklagte hierfür eine Klausel (§ 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags) heran, die den Widerruf der privaten Nutzung des Dienstwagens vorsah, sofern das Arbeitsverhältnis gekündigt und der Arbeitnehmer wirksam freigestellt wird. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Ausgleichszahlungen für den Wegfall dieser privaten Nutzungsmöglichkeit solle in diesem Fall nicht bestehen.
Der Kläger hielt diese Klausel – insbesondere die entschädigungslose Entziehung der privaten Nutzung – für unwirksam. Er verlangte Nutzungsersatz für die entgangene Privatnutzung des Fahrzeugs, und zwar anteilig für den Restmonat Mai 2023 sowie für die Folgemonate bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2023.
Das Arbeitsgericht wies seinen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung zunächst ab. Auch das Landesarbeitsgericht folgte diesem Ergebnis. Erst das BAG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise auf und sprach dem Kläger eine Entschädigung für den anteiligen Monat Mai 2023 zu; im Übrigen blieb der Kläger jedoch erfolglos.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte zunächst die grundsätzliche Zulässigkeit eines vertraglichen Widerrufsrechts für die Privatnutzung eines Dienstwagens in Fällen, in denen der Arbeitnehmer freigestellt wird. Allerdings widmete es sich im Kern der Frage, wie die Ausübung dieses Widerrufsrechts konkret im Einzelfall zu erfolgen hat und unter welchen Voraussetzungen sie „billigem Ermessen“ (§ 315 BGB) entspricht.
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Wirksamkeit der Widerrufsklausel
Die Klausel (§ 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags), welche den Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens bei berechtigter Freistellung vorsah, wurde einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterzogen.
Das BAG entschied, dass eine solche Widerrufsklausel wirksam sein kann, sofern sie hinreichend transparent und verständlich formuliert ist und sachliche Gründe benennt, die den Widerruf rechtfertigen.
Da die Klausel klar „berechtigte Freistellung nach einer Kündigung“ als Widerrufsgrund nannte, genügte sie dem Transparenzgebot des § 308 Nr. 4 BGB.
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Kein Recht auf Änderungskündigung
Die Privatnutzung des Dienstwagens stellt in aller Regel einen Entgeltbestandteil dar. Wird jedoch weniger als 25 Prozent des regelmäßigen Verdienstes berührt, kann der Arbeitgeber ohne gesonderte Änderungskündigung widerrufen, sofern die entsprechenden Klauseln inhaltlich und formal wirksam sind.
Im Streitfall lag der geldwerte Vorteil bei ca. 457 Euro brutto, also deutlich unter 25 Prozent des Bruttomonatsgehalts von 10.457 Euro. Folglich reichte ein einseitiger Widerruf anstelle einer förmlichen Änderungskündigung aus.
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Erfordernis einer „berechtigten Freistellung“
Nach § 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags war der Widerruf der privaten Nutzung u. a. davon abhängig, dass die Freistellung des Klägers „berechtigt“ erfolgte.
Das BAG erläuterte, dass ein Beschäftigungsanspruch nur dann entfällt, wenn die tatsächlichen Umstände (z. B. Auftragsrückgang, Umorganisation, rechtmäßige betriebsbedingte Kündigung) schutzwürdige Belange des Arbeitgebers überwiegen.
Vorliegend konnte der Kläger – nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung und entsprechend angepasster Organisationsstruktur – tatsächlich nicht weiterbeschäftigt werden.
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Billigkeitskontrolle und „Zeitpunkt“ des Widerrufs
Hauptstreitpunkt war schließlich die Frage, ob die Beklagte den Dienstwagen mitten im Monat (nämlich zum 24. Mai 2023) herausverlangen durfte, ohne dem Kläger eine Ausgleichsleistung zu gewähren.
Das BAG verwies darauf, dass der geldwerte Vorteil der Privatnutzung einkommensteuerlich stets für den gesamten Monat (nach der 1-Prozent-Regel) abgerechnet wird. Gibt der Arbeitnehmer das Fahrzeug vor Ablauf dieses Kalendermonats zurück, entstehen ihm infolgedessen Nachteile, weil er für den gesamten Monat den geldwerten Vorteil versteuern muss, obwohl er das Fahrzeug nur einen Teil des Monats (oder gar nicht mehr) privat nutzen kann.
Eine solche Handhabung widerspreche dem Grundsatz „billigen Ermessens“ i. S. d. § 315 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitgeber überhaupt keinen Ausgleich anbietet.
Aus diesem Grund urteilte das BAG, dass ein entschädigungsloser Widerruf in der Regel erst zum Ende des jeweiligen Monats erfolgen kann – es sei denn, der Arbeitgeber zahlt dem Arbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für jene Tage, in denen er das Fahrzeug nicht mehr nutzen darf, aber steuerlich so behandelt wird, als hätte er es noch.
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Konsequenz im Einzelfall
Das BAG nahm eine sogenannte „Ersatzleistungsbestimmung“ nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vor und erklärte den Widerruf der Privatnutzung zum 24. Mai 2023 für unwirksam. Rechtens sei allein ein Widerruf zum 31. Mai 2023.
Für die 9 Tage (23. bis 31. Mai 2023), in denen der Kläger den Wagen nicht mehr privat nutzen konnte, sprach das BAG ihm eine Nutzungsausfallentschädigung i. H. v. 137,10 Euro brutto zu. Wichtig: Der Kläger hatte den Schadensersatz als „netto“ geltend gemacht, da sich eine Entschädigung in Höhe des bisherigen geldwerten Vorteils in seinen Augen logischerweise an seiner Nettolohnsituation hätte orientieren müssen. Doch das BAG stellte klar, dass Schadensersatz im Arbeitsverhältnis grundsätzlich brutto zu gewähren ist, sofern eine sonstige Lohnzahlung betroffen ist.
Für die Monate Juni, Juli und August 2023 blieb das Begehren des Klägers ohne Erfolg, da das BAG den Widerruf (zumindest ab dem 31. Mai 2023) für wirksam und angemessen hielt.
Praxishinweise
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Prüfung von Widerrufsklauseln
Dienst- oder Firmenwagenklauseln, die eine Privatnutzung zum Bestandteil der Vergütung machen, unterliegen der AGB-Kontrolle. Arbeitgeber sollten bei Vertragsmustern genau darauf achten, den Widerruf ausreichend transparent und nachvollziehbar zu formulieren (z. B. Angabe konkreter Tatbestände wie „berechtigte Freistellung nach Kündigung“ oder „krankheitsbedingte Abwesenheit über einen bestimmten Zeitraum“). Arbeitnehmer wiederum können überprüfen, ob eine solche Klausel tatsächlich zweifelsfrei ist und ob bei Ausübung des Widerrufs die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden. -
Privatnutzung als „Sachbezug“
Die Privatnutzung eines Dienstwagens führt in der Regel zu einer Lohnsteuerpflicht in Form eines geldwerten Vorteils. Erfolgt der (teilweise) Entzug mitten im Monat, wird steuerlich dennoch oft ein ganzer Monatsbetrag abgezogen – was Arbeitnehmer:innen doppelt benachteiligen kann. -
„Billiges Ermessen“ bei Ausübung
Selbst wenn eine Widerrufsklausel formell und materiell wirksam ist, darf deren Ausübung nicht willkürlich oder ermessensfehlerhaft erfolgen. Das BAG stellt klar, dass der Arbeitgeber berücksichtigen muss, ob die sofortige (oder fristlose) Entziehung der Nutzungsmöglichkeit finanziell unbillige Auswirkungen für den Arbeitnehmer hat. Häufig wird deshalb ein Widerruf erst zum Monatsende angemessen sein. -
Kein genereller „Entschädigungs-Ausschluss“
Pauschale Formulierungen im Arbeitsvertrag wie „Ein Anspruch des Mitarbeiters wegen des Entzugs besteht nicht“ schützen den Arbeitgeber nicht automatisch und grenzenlos. Zwar kann dies im Regelfall Bestand haben, wenn die Freistellung berechtigt ist und der Widerruf ordnungsgemäß erfolgt. Steht die Ausübung des Widerrufsrechts jedoch im Widerspruch zur Billigkeit (§ 315 BGB), wird der Arbeitgeber zur Schadensersatzzahlung verpflichtet sein. -
Praxistipp für Arbeitgeber
Wenn Sie beabsichtigen, einen kündigungsschutzrechtlich wirksam freigestellten Arbeitnehmer seines Dienstwagens zu „entkleiden“, sollten Sie prüfen, ob eine Entziehung mitten im Monat wirklich notwendig ist.
Andernfalls bietet sich an, die Freigabe zumindest auf den jeweiligen Monatsletzten festzusetzen oder einen angemessenen Ausgleich zu gewähren, damit sich der Arbeitgeber nicht schadensersatzpflichtig macht.
Für Neuverträge empfiehlt es sich, explizit in der Klausel auf den Monatseintritt bzw. -austritt einzugehen oder klarzustellen, dass die Entziehung spätestens zum Monatsletzten erfolgt, sofern kein Ausgleich gezahlt wird.
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Praxistipp für Arbeitnehmer
Wer während der Kündigungsfrist freigestellt wird und zur Rückgabe des Dienstwagens aufgefordert wird, sollte genau prüfen, ob dies erstens von einer wirksamen Klausel gedeckt ist und zweitens „billigem Ermessen“ entspricht.
Ein besonderer Knackpunkt ist die steuerliche Behandlung des geldwerten Vorteils im laufenden Monat: Arbeitnehmer:innen sollten sich den konkreten Kalendertag merken, an dem sie das Fahrzeug abgeben mussten, und nachweisen, dass trotz anteiliger Nutzung ein ganzer Monat versteuert wurde.
Mitunter lässt sich so zumindest für den Restmonat Mai (oder den betreffenden Zeitraum) ein Schadensersatzanspruch geltend machen.
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Brutto vs. Netto beim Schadensersatz
Grundsätzlich werden Vergütungsansprüche, die durch Vertragsverstoß entfallen und als Schadensersatz wiederaufleben, in brutto zugesprochen. Der Arbeitnehmer hat später jedoch die Möglichkeit, vom Arbeitgeber für die abgeführten Lohnsteuern eine Entsprechung in der Jahres- oder Monatssteuerbescheinigung ausgestellt zu bekommen.
Das Urteil des BAG (5 AZR 171/24) zeigt, dass der Widerruf der Privatnutzung eines Dienstwagens in der Kündigungsfrist zwar grundsätzlich möglich ist, sofern eine entsprechende und inhaltlich wirksame Widerrufsklausel vorliegt. Dennoch steht jeder Widerruf unter dem Vorbehalt „billigen Ermessens“. Erfolgt die Rückforderung des Autos mitten im laufenden Kalendermonat, obwohl der Nutzer den vollen geldwerten Vorteil versteuern muss, sollte der Arbeitgeber die Folgen finanziell ausgleichen – oder zumindest den Widerruf auf das Monatsende datieren. Andernfalls kann ein Schadensersatzanspruch entstehen.
Wer also als Arbeitgeber rechtssicher vorgehen möchte, sollte den Zeitpunkt des Fahrzeugentzugs so wählen, dass Steuerlast und tatsächliche Nutzung in Einklang stehen. Arbeitnehmer hingegen sollten aufpassen, ob ihre (ggf. nur noch theoretische) Privatnutzung zu einem ganzen Monatswert geführt hat, obwohl ihnen das Auto gar nicht mehr zur Verfügung stand. Liegt hier eine Unbilligkeit vor, könnte ein Anspruch auf Schadensersatz – zumindest im anteiligen Umfang – entstehen.