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Die schwarz-rote Koalition will die Pendlerpauschale erhöhen. Richtig, finden die einen – klimaschädlich, kritisieren die anderen. Doch das Hauptproblem liegt ganz woanders.
Mark Nothum ist Pendler. Jeden Tag fährt er vom schwäbischen Renningen nach Metzingen zur Arbeit. Von einer ländlichen Gegend in die andere, irgendwo im Stuttgarter Speckgürtel, hin und zurück rund 100 Kilometer. Viel Zeit, Energie und Geld lässt er dabei auf der Straße liegen.
Dass die neue Bundesregierung Menschen wie ihn durch eine Erhöhung der Pendlerpauschale unterstützen will, findet er prinzipiell erst einmal gut. „Wir brauchen nicht darüber diskutieren, dass das ein gewisser Kostenblock ist, den ich da jeden Monat durch das Pendeln bereit bin zu tragen“, sagt Nothum.
Und das ganz bewusst: Früher habe er näher am Arbeitsort gewohnt, dann sei er aber aus persönlichen Gründen wieder näher in seine alte Heimat zu Freunden und Familie gezogen. Seinen Traumjob im Bereich Führungskräfteberatung und -entwicklung in einem großen Metzinger Outletcenter habe er aber nicht einfach aufgeben wollen – deswegen die Entscheidung fürs tägliche Pendeln.
Es geht auch um Wertschätzung
Das Finanzielle ist für Nothum bei der Pendlerpauschale das Eine. Nicht unbedeutend sei aber auch die Wertschätzung, die dadurch für Berufspendler ausgedrückt werde. „Ich beschäftige mich tagtäglich mit der Gewinnung von Fachkräften und weiß, wie da im Moment gerade die aktuelle Situation ist“, sagt Nothum.
Wenn eine höhere Pendlerpauschale, wie von der Regierung geplant, dazu beitrage, die ein oder andere Fachkraft zu motivieren, doch eventuell auch außerhalb der gewohnten Regionen nach Stellen zu suchen, sei das ein großer Gewinn.
Aktuell liegt die Pendlerpauschale bei 30 Cent ab dem ersten Kilometer, erst ab dem 21. Kilometer des Arbeitsweges sind es dann 38 Cent pro Kilometer, die Pendlerinnen und Pendler von der Steuer absetzen können. Laut Koalitionsvertrag soll genau diese Grenze wegfallen – künftig läge die Pauschale dann ab dem ersten Kilometer bei 38 Cent. Schon bei relativ kurzen Entfernungen – etwa 30 Kilometer täglich zur Arbeitsstelle – macht das im Jahr 350 Euro mehr, die absetzbar sind.
Unterstützung für Besserverdienende?
Ein falscher Anreiz, sagt Nisha Toussaint-Teachout, Stuttgarter Klimaaktivistin, unter anderem bei Fridays for Future. „Die Pendlerpauschale ist letztendlich eine klimaschädliche Subvention, die auch noch ungerecht ist“, findet sie. Sie motiviere nicht, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, und unterstütze zudem Menschen mit besserem Einkommen. Während diejenigen, die wirklich Unterstützung brauchen, oft leer ausgingen.
In diese Kerbe hatte auch das Umweltbundesamt (UBA) vor wenigen Wochen im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio geschlagen. Tendenziell würden Besserverdienende durch die Pendlerpauschale immer bevorzugt, kritisiert etwa Christine Kornher, Expertin für umweltschädliche Sanktionen beim UBA. Wer so wenig verdiene, dass er ohnehin kaum Steuern zahle, könne auch kaum etwas absetzen – Pendlerpauschale hin oder her.
Der Deutsche Landkreistag hält dagegen: Der Staat besteuere seine Bürger nun mal nach der objektiven Leistungsfähigkeit. Mit der Folge, dass beruflich bedingte Kosten von der Steuer abgesetzt werden könnten.
Es mangelt an Alternativen zum Auto
Für Klimaaktivistin Toussaint-Teachout ist die Diskussion über die Pendlerpauschale nicht mehr als ein „Ablenkungsmanöver“, wie sie es nennt. „Merz und Klingbeil wollen davon ablenken, dass Busse, Bahn, Gesundheitsvorsorge und Bildung runtergespart worden sind“, sagt sie. „In Deutschland werden jedes Jahr Tausende Kilometer neue Straßen gebaut, aber kaum neue Schienen. Unsere Infrastruktur ist nicht auf die Realität vieler Menschen ausgerichtet.“
Eine Mehrheit würde sogar vom Auto auf ÖPNV oder Fahrrad umsteigen, wenn die Anbindung besser und das Angebot günstiger wäre, sagt die Klimaaktivistin und bezieht sich dabei auf verschiedene Studien, etwa eine Umfrage der Förderbank KfW, die Anfang 2022 veröffentlicht wurde.
Stattdessen sei es aktuell aber noch oft umgekehrt: Selbst überzeugte Bus- und Bahnfahrer pendelten vielerorts mit dem Auto, weil sie zu weit weg von der Stadt wohnten und es keine vernünftige Anbindung gebe. „Das zeigt, wie falsch unsere Mobilitäts- und Wohnstruktur derzeit organisiert ist.“
Forderung nach „echter“ Mobilitätswende
Toussaint-Teachout fordert eine echte Mobilitätswende. „Wenn man die verlorenen Gelder durch Steuerhinterziehung, klimaschädliche Subventionen und all die anderen Fehlanreize dazurechnet und tatsächlich politischer Wille da wäre, dann hätten wir mehr als genug Mittel dafür.“
Pendler Mark Nothum braucht für die gut 100 Kilometer, die er täglich hin und zurück mit dem Auto pendelt, gut eineinhalb Stunden. Mit dem öffentlichen Nahverkehr? „Keine Chance“, sagt er. Mit dem Zug müsse er je nach Verbindung zwischen zwei und viermal umsteigen, einfache Fahrtzeit: über zwei Stunden.
Vier Stunden täglich im Zug gegen 90 Minuten im Auto – eine klare Sache. „Aber würde beides ungefähr gleich lange dauern, wäre ich definitiv bereit umzusteigen.“ Wie viele Pendler, die auf das Auto angewiesen sind – mangels Alternativen.