Reportage
Ob für das Pendeln oder Ausflüge – Millionen Menschen nutzen das Deutschlandticket. Andere lassen die Finger davon. Aber was könnten die Gründe dafür sein? Peter Sonnenberg hat das Angebot ausprobiert.
Was passiert, wenn man als Deutschlandticket-Neuling kurzentschlossen vom Wohnort auf dem Land erst ins nahegelegene Mainz und dann durchs Mittelrheintal Richtung Köln fahren möchte? Am Anfang steht der Kauf des Tickets. Auf der Internetseite der Deutschen Bahn ist erstmal kein Angebot zu finden. Die Suchfunktion bringt 173 Ergebnisse – die meisten sprechen von einem Abo. Das will ich nicht, denke ich, also kaufe ich es im Bus.
Der Dorf-Bus fährt um 13.47 Uhr. Frage an den Busfahrer: „Kann ich bei Ihnen ein Deutschlandticket kaufen?“ Der kann sich das Lachen nicht verkneifen. „Nein, das kriegen sie am Bahnhof und im Internet.“ Ich zahle also 4,90 Euro für den Bus nach Mainz extra – ärgerlich.
„Alle Infos zum einfachen Kauf“
Zwanzig Minuten später beim Ticketverkauf im Mainzer Hauptbahnhof: „Guten Tag, verkaufen Sie Deutschlandtickets?“ Ich soll zuerst eine Nummer ziehen. Fünf Schalter sind offen, kein einziger Kunde da, außer mir. „Sonst können wir ja nicht beweisen, dass wir was arbeiten“, lautet die Erklärung.
Als ich mit Nummer wiederkomme, schiebt der Kundenberater, der sich angeregt mit zwei Kolleginnen unterhält, ansonsten wortlos einen Flyer des zuständigen Verkehrsverbunds RMV über den Tisch. „Alle Infos zum einfachen Kauf“ steht drauf. „Steht alles drin“, sagt der Berater. „Wir verkaufen das nicht – geht nur in der App.“ Der Busfahrer ist also der Falschauskunft überführt. Ein erster Zug Richtung Köln ist in diesem Moment abgefahren.
Kauf nur in der App
Im Flyer gibt es einen Barcode. Den scanne ich, weil daneben steht, so könne man das Deutschlandticket kaufen. Allerdings lässt sich damit nur eine App herunterladen. Man wird aufgefordert, sich zu registrieren. Das gelingt nicht gleich. Auf der dritten Formularseite – hier will der Verkehrsverbund Geburtsdatum und Handynummer wissen – hängt sich die Seite auf. Ich starte neu und dringe bis in die Bezahlfunktion vor, da sind 22 Minuten vergangen.
Die Kreditkarten-App pusht die Info, dass der RMV gerade 0,00 Euro vom Konto abgebucht hat. In einem Fenster erscheint die Info, es sei ein „unerwarteter Fehler“ aufgetreten. Neustart der App – doch die erkennt das gerade generierte Passwort nicht mehr. Also gehe an ich den Schalter, über dem das Banner des Verkehrsverbundes prangt. Kann die Dame helfen? „Nein, kann ich nicht“, sagt sie bestimmt. Es gebe Online-Support in der App. Man könne auch in Frankfurt anrufen, die Hotline, sagt die Frau, die für den RMV arbeitet.
Ein neuer Versuch mit der Eingabe „Passwort vergessen“. Aber anstelle einer Mail mit Ersatzpasswort kommt die Aufforderung, die Mailadresse zu bestätigen – gleich erhalte man eine Mail mit einem Bestätigungslink. Aber nichts passiert. Nach 15 Minuten – ein zweiter Zug ist gerade weggefahren – kommt die Mail doch noch. Ich bestätige, doch die App sagt, der Link sei abgelaufen, ich solle mich neu registrieren. Wäre ich nicht auf Vor-Ort-Recherche, hier hätte ich aufgegeben und wäre ins Auto gestiegen.
Stattdessen drücke ich einfach den Bestätigungslink noch ein zweites Mal – jetzt funktioniert er. Doch nicht abgelaufen? Dem gehe ich nicht weiter nach, ich sitze hier seit 45 Minuten.
Immer einen Monat gültig
Reisetag ist Mittwoch, der 25. Juni. Warum ist das wichtig? Weil die App behauptet, ab dem 21. eines Monats könne man kein Ticket mehr für den laufenden Monat kaufen. Stattdessen versuche ich wenigstens für Juli ein Ticket zu erwerben. Prompt erhalte ich die Kaufbestätigung – für Juni. Ich habe das Ticket, das ich wollte, doch leider ist es nur noch sechs Tage gültig. Das Deutschlandticket gilt nicht für 31 Tage, sondern vom Ersten bis zum Letzten eines Monats, ein großer Unterschied.
Jetzt verstehe ich, dass das Deutschlandticket immer ein Abo-Ticket ist. Monatlich kündbar. Aber nur bis zum 10. eines Monats für den Folgemonat. Der heutigen Kauf für Juni ist also bereits zu spät, um es für Juli wieder zu kündigen. Im Juli bin ich aber im Urlaub und brauche es nicht. Also muss ich zweimal 58 Euro zahlen. Schade, dass es nicht übertragbar ist.
Preislich unschlagbar
Um 15.32 Uhr, endlich an Bord der Regionalbahn Richtung Köln: Hier sitzen viele hochzufriedene Besitzer des Deutschlandtickets. Cornelia Schwahn aus Konstanz erzählt, dass sie zwar nur unregelmäßig fahre. Das mit dem Abo finde sie auch schlecht, aber für solche Touren – sie ist unterwegs nach Oberwesel – sei das Ticket gut. „Früher war der Preis natürlich attraktiver, da war die Hemmschwelle kleiner“, sagt sie.
„Schon allein die normale Monatskarte für mich als Pendler ist viel teurer“, erzählt Markus Oppenhauser. Neulich habe er zusätzlich noch mit der Familie eine Tour nach Bamberg gemacht. Sie hätten zwar fünf Stunden in verschiedenen Zügen gesessen, aber preislich sei es unschlagbar.
Die Erfahrung macht den Unterschied
Einen Waggon weiter sitzt Wolfgang Behr. Er ist Rentner aus dem Ruhrgebiet und besucht mit dem Deutschlandticket öfter als früher seine Enkel in Berlin. „Mit ein bisschen Erfahrung klappt das mittlerweile gut“, sagt er. „Die Umstiege muss man sich mit viel Luft planen, sonst gibt’s Stress. Und man braucht eine Fahrplan-App auf dem Handy“. Gerade kommt er aus Stuttgart und will nach Recklinghausen. Um 9 Uhr ist er losgefahren, um 20 Uhr soll er ankommen.
Detlef und Heidi Banaski aus Hamburg wollen auch ins Mittelrheintal. „Wir machen eine Kombi“, erzählen sie. „Hamburg-Frankfurt machen wir mit dem ICE, den Rest regional.“ Natürlich müssen sie den ICE extra bezahlen, denn Fernzüge sind vom Deutschlandticket ausgenommen. Aber sie sparen viele Stunden Zeit.
„Teurer würde ich es nicht mehr nehmen“
Eine kleine Gruppe Dienstreisender ist gemischter Meinung. „Ich mache meistens weitere Reisen, und man muss schon viel Regionalbahn fahren, damit es sich lohnt“, sagt Daniela Keller. Sie hat diesmal ein Deutschlandticket gekauft. „Würde es aber teurer werden, würde ich es nicht mehr nehmen.“ Ihr Kollege Thomas Jürgensen ergänzt: „Man muss einfach durchrechnen, ob sich das für einen selbst lohnt und ob man in einer Region wohnt, in der die Taktung gut ist.“ Für ihn lohnt es sich, weil ihn eine Netzkarte in Hamburg fast das Doppelte kosten würde und sein Arbeitgeber was zum Deutschlandticket dazuzahle.
Der Zug kommt mit leichter Verspätung in Köln an – es hat drei Stunden und acht Minuten gebraucht, auch ohne einen Umstieg. Auf dem Bahnsteig gegenüber steht ein abfahrbereiter ICE nach Mainz. Der braucht für die Strecke eine Stunde und 22 Minuten, ist also mehr als doppelt so schnell.
Kein „einfacher Kauf“
Fazit: Vor allem wer sich vorher nicht auskennt, kann Pech beim Ticketkauf haben. Aber wer kennt sich vorher schon aus? Ein „einfacher Kauf“ wie vom Flyer versprochen ist es nicht. Nicht wenige haben vermutlich Berührungsängste mit der App.
Mitreisende bestätigen, mit dem Abo tue nur das erste Mal weh – Nachkäufe seien einfacher. Die Leute im Zug sind überwiegend begeistert vom Deutschlandticket. Der Schaffner hat gesagt, er schätze, 95 Prozent seiner Fahrgäste hätten es.
Der Preis scheint das wichtigste Kriterium zu sein. Wäre es deutlich teurer, würden viele Tickethalter womöglich wieder abspringen. Außerdem ist wichtig, dass das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln ausreichend ist. Was sicher eine Rolle spielt: ob der Arbeitgeber etwas dazuzahlt oder ob man vorhat, das Ticket für weitere Reisen zu nutzen. Und ob man bereit ist, sich von seiner Autogewohnheit zu verabschieden.
Die App werde ich in den nächsten Tagen nochmal brauchen, denn für mich lohnt sich das Deutschlandticket tatsächlich nicht. Ich werde versuchen, mein Abo wieder zu kündigen. Hoffentlich gelingt das in weniger als einer Stunde.