Deutschlands Unternehmen zahlen ihre Rechnungen häufig zu spät – oder gar nicht mehr. Vor allem eine Branche fällt negativ auf. Für die Volkswirtschaft insgesamt kann das gefährliche Folgen haben.
Deutschlands Unternehmen sehen sich zunehmend mit verspäteten Zahlungen, steigenden Forderungsausfällen und rückläufiger Liquidität konfrontiert. Das zeigt das aktuelle Zahlungsmoralbarometer des Kreditversicherers Atradius. Lediglich 35 Prozent aller Rechnungen zwischen Unternehmen wurden in den ersten Monaten 2025 termingerecht beglichen, heißt es in der Studie. 57 Prozent der Forderungen waren überfällig und in acht Prozent der Fälle blieben die Außenstände uneinbringlich.
Als Gründe nennen die befragten Unternehmen zuvorderst wirtschaftlichen Druck und Liquiditätsprobleme ihrer Kunden, aber auch Störungen in der Lieferkette. Und die Lage soll auch in den kommenden Monaten schlecht bleiben. „Das volatile wirtschaftliche und handelspolitische Umfeld löst breite Besorgnis über zunehmende finanzielle Belastungen aus“, berichtet Atradius-Deutschland-Chef Frank Liebold im WELT-Gespräch. Knapp zwei Drittel der Unternehmen erwarten in den kommenden zwölf Monaten einen Anstieg der Insolvenzen unter ihren Kunden – und damit Forderungsausfälle. „Die finanzielle Widerstandsfähigkeit von Geschäftskunden ist angesichts der Störungen im internationalen Handel eine zentrale Sorge.“
Die Sorge vor dem Dominoeffekt
Zwar bekommen die meisten Firmen am Ende ihr Geld – allerdings später als geplant und in vielen Fällen damit auch später als nötig. Und das kann gefährlich werden. „Wenn in der gesamten Lieferkette nur einer nicht mehr kann, entsteht eine Kettenreaktion“, erklärt Experte Liebold. „Wenn Kunden eine Rechnung nicht oder sehr spät bezahlen, fehlt dem betroffenen Unternehmen am Ende selbst das Geld, um den eigenen Zahlungsverpflichtungen bei Lieferanten nachzukommen oder um Investitionen zu tätigen.“ Atradius, einer der weltweit größten Anbieter von Kreditversicherungen, Bürgschaften, Inkassodienstleistungen und Wirtschaftsinformationen, sieht in der aktuellen Entwicklung daher ein Alarmzeichen und einen Frühindikator für steigende Insolvenzzahlen.
Dabei ist der Trend bei den Pleitefällen ohnehin schon bedenklich. 2024 mussten laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform 22.400 Unternehmen in die Insolvenz, das sind fast 25 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Und schon da hatte es einen Sprung von fast 23 Prozent gegeben. Für das laufende Jahr wird von Creditreform längst die nächste spürbare Steigerung vorhergesagt.
Das Thema Zahlungsmoral hat der Dienstleister ebenfalls im Blick. Über das sogenannte Debitorenregister werden dafür jeden Monat rund 10,6 Millionen Zahlungserfahrungen über deutsche Unternehmen analysiert. Das Ergebnis: Im ersten Quartal 2025 lag der Verzug, also die Differenz zwischen dem vereinbarten Ziel und dem tatsächlichen Geldeingang, bei im Durchschnitt knapp acht Tagen.
Dass dieser Wert einen Tag unter dem Vorjahreswert liegt und damit scheinbar im Widerspruch steht zur Atradius-Einschätzung einer sich weiter verschlechternden Zahlungsmoral, erklärt Creditreform mit der Datenbasis. So hat sich Atradius vor allem auf die Branchen Maschinenbau, Automobil und Baugewerbe konzentriert. Und da sieht es derzeit besonders kritisch aus. Das zeigen auch die Creditreform-Zahlen.
Denn der Unterschied zwischen einzelnen Branchen ist groß. Den geringsten Verzug gibt es dabei in Industrien wie Chemie und Kunststoff mit jeweils nur fünf Tagen, aber auch in Segmenten wie Konsumgüter oder Großhandel und Einzelhandel mit gut sechs Tagen, zeigt die Debitorenregister-Auswertung. Überdurchschnittlich schlecht sind die Werte dagegen bei Grundstoffanbietern, in der Logistik, bei Dienstleistern – und vor allem im Baugewerbe.
Fast zwei zusätzliche Wochen müssen Unternehmen auf ihr Geld von Firmen aus dem Baubereich warten, obwohl das Zahlungsziel bereits abgelaufen ist, meldet Creditreform. Und das ist kein neues Phänomen, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter Wirtschaftsforschung bei Creditreform. „Baufirmen überstrapazieren permanent ihre Zahlungsziele, weil sie wenig finanzielle Reserven haben und viel mit Fremdkapital arbeiten müssen.“ Und das Geld anderer Firmen, also letztlich ein Lieferantenkredit, wird dafür häufiger genutzt als Bankdarlehen.
Gleichzeitig ist Liquidität elementar in der Branche, in der es nicht nur viele kleine Anbieter ohne professionelles Zahlungsmanagement gibt, sondern auch reihenweise Sub- und Sub-Subunternehmen. „Die Gefahr eines Dominoeffektes ist im Baugewerbe damit besonders hoch“, sagt Hantzsch, der zudem noch auf die anhaltend schwache Auftragslage und damit seltenere Geldeingänge verweist. Zudem ergeben sich dadurch Lagerbestände, die Kapital binden und die Betriebskosten in die Höhe treiben.
Das Problem der späten Buchhaltung
Atradius hat der Branche in seinem Zahlungsmoralbarometer ein eigenes Kapitel gewidmet – und sieht ebenfalls große Herausforderungen. Überfällige Zahlungen betreffen demnach zwei Drittel der Betriebe, damit liegt die Branche knapp zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt. Gleichzeitig berichten viele Unternehmen von Cashflow-Störungen und einem zunehmend schwierigen Balanceakt zwischen kundenfreundlichen Zahlungszielen und eigener finanzieller Stabilität. Hauptfinanzierungsquelle für die Baufirmen war laut Umfrage in den letzten zwölf Monaten der Lieferantenkredit, gefolgt von Bankdarlehen. In anderen Branchen ist es demnach umgekehrt.
Allerdings könnte die Lage bei etlichen Unternehmen besser aussehen, meint Atradius-Deutschland-Chef Liebold. Beim Großteil der Handwerksbetriebe hapere es aber am Zahlungsmanagement: „Rechnungen werden zu spät gestellt, Rechnungseingänge nicht eng genug nachgehalten und säumige Zahler nicht schnell genug gemahnt.“ Zwar zeigt Liebold durchaus Verständnis. „Gerade am Bau verändern sich Aufträge oder ergeben sich Abweichungen und damit neue Sachverhalte für die Abrechnung.
Das macht die Rechnungsstellung komplex.“ Zudem arbeite der Eigentümer oftmals selbst mit auf der Baustelle und habe dementsprechend weniger Zeit für die Buchhaltung. „Dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass sich das Insolvenzrisiko weiter erhöht hat.“ Schon 66 Prozent der Baufirmen befürchten eine Zunahme des Insolvenzrisikos bei ihren Kunden in den nächsten zwölf Monaten. Liquiditätserhalt sei damit eine der wichtigsten Aufgaben.
Hinzu kommt, dass die Geschäftslage im Handwerk in Deutschland so schlecht ist wie seit 15 Jahren nicht mehr. Nur gut die Hälfte der Betriebe hierzulande bewertet ihre aktuelle Situation als gut oder sehr gut, zeigt eine aktuelle Analyse der Wirtschaftsauskunftei Creditreform aus dem Frühjahr. „Die Rezession trifft das Handwerk mit voller Wucht“, beschreibt Wirtschaftsforscher Hantzsch. „Vielen Handwerksbetrieben, vor allem im Baubereich, brechen die Aufträge weg. Gleichzeitig stiegen die Kosten für Kredite und Personal. Unter dieser Doppelbelastung brechen viele zusammen.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.